# taz.de -- Polnische Migranten in Rotterdam: Irgendwo bei Gouda
       
       > Das neu eröffnete Flexhotel in Rotterdam beherbergt nur polnische
       > Migranten. Es geht um gute Wohnverhältnisse – und den Kampf gegen
       > Vorurteile.
       
 (IMG) Bild: Er hatte die Geschäftsidee: Johan Roorda in einem gerade unbewohnten Zimmer seines Hotels
       
       ROTTERDAM taz | Zufriedene Hausmeister – das ist wohl ein gutes Zeichen.
       Die Frühschicht ist schon aus dem Haus, die Spätschicht schläft noch oder
       isst gerade. Zeit zum Durchatmen. Die Ruhe des Mittags liegt über dem fast
       leeren Foyer. Wie sind die ersten Wochen gelaufen? Magdalena Szerszynska
       und Darek Haska schauen sich an, lächelnd. „Besser als ich erwartet habe“,
       sagt sie. Er erklärt: „Bisher gab es keine Probleme. Die Atmosphäre ist
       gut, und niemand hat sich beschwert.“
       
       Eigentlich sind Darek Haska und Magdalena Szerszynska nicht nur Hausmeister
       im Flexhotel Zuiderpark, einem verschachtelten Gebäudekomplex aus grauem
       Backstein tief im Süden Rotterdams. Sie teilen sich auch die Arbeit in dem
       großen Glaskasten, der die Rezeption beherbergt. Beantworten Fragen,
       verleihen Staubsauger oder sagen den Neuen, in welchem Zimmer sie den
       Autobesitzer finden, der sie am nächsten Tag mit zur Arbeit nimmt. Ganz
       schön viel zu tun, bei 271 Bewohnern. 271 meist junge Zeitarbeiter, von
       denen manche vier Wochen bleiben, andere länger als ein halbes Jahr.
       
       „Polenhotel“ wird das Hotel genannt, weil alle Gäste aus Polen kommen. Sie
       arbeiten für die Zeitarbeitsfirma Tempo Team, die in ganz Polen Personal
       anwirbt. Als das Hotel Anfang Januar eröffnete, war es sofort voll belegt.
       Für Magdalena Szerszynska und Darek Haska, beide Ende 20 und schon lange in
       den Niederlanden, bedeutet das Hotel: eine Festanstellung und ein kleines
       Appartement im Gebäude. Dafür müssen sie rund um die Uhr erreichbar sein.
       Ihre Handynummern kleben an der Scheibe der Rezeption, neben den Prospekten
       eines polnischen Supermarkts und des Schönheitssalons von „Nagelstylistin
       Dorota“.
       
       Die Welt der Zeitkontrakte und Leihfirmen haben sie hinter sich gelassen.
       Aber nicht ganz, die Erfahrung der letzten Jahre steckt ihnen in den
       Knochen. Mit Erleichterung sprechen sie über die ersten Wochen in ihrem
       neuen Job. Wenn Darek Haska sagt, die Bewohner sollten sich wohlfühlen, ist
       das nicht alles. „Das Wichtigste ist für uns“, erklärt Magdalena
       Szerszynska und schaut jetzt ernst, „den Niederländern zu zeigen, dass die
       Polen nicht so schlecht sind, wie sie denken.“ Magdalena Szerszynska und
       Darek Haska haben Angst, dass ihre Landsleute die Klischees und Vorurteile
       der Niederländer bestätigen könnten: Polen, die saufen. Polen, die klauen.
       Darum wirkt das Hausmeisterpärchen mitunter wie Bewährungshelfer, deren
       Klienten nicht rückfällig werden dürfen.
       
       ## Neues Marktsegment
       
       Der Mann, der sich das mit dem Hotel ausgedacht hat, sitzt an einem kleinen
       Tisch in einem zugigen Gang hinter der Lobby. „Dzien dobry“, grüsst Johan
       Roorda ein paar vorbeilaufende Hausbewohner. Je mehr Arbeitsmigranten aus
       Osteuropa in den letzten Jahren in die Niederlande kamen, desto dringlicher
       stellte sich die Frage, wie man sie unterbringt. Der Immobilienhändler
       Johan Roorda, 29 Jahre alt, mit seinen Jeans, dickem Pulli und
       zurückgegeltem Haar kaum von den Arbeitern zu unterscheiden, spezialisierte
       sich auf dieses Marktsegment. Im Osten der Niederlande betreibt er ein noch
       größeres Hotel für polnische „Flexwerker“, wie man sie hier nennt.
       Zeitarbeiter, flexible Menschen. Auch Roorda ist flexibel. In einer anderen
       Sammelunterkunft beherbergte Roorda einst Zeitarbeiter aus Ostdeutschland.
       
       Der Jungunternehmer hält darauf, dass es in seinem Flexhotel „anständig“
       zugeht. Saubere Zweibettzimmer, für die die Zeitarbeitsfirma pro Person
       jede Woche zwischen 55 und 75 Euro vom Lohn einbehält und ihm und seinen
       drei Partnern überweist. „Ich habe die unmöglichsten Orte gesehen“, sagt er
       und erzählt: von einem alten Bauernhof, auf dem statt einer Familie 20
       Arbeitsmigranten untergebracht waren. Von zehn Saisonkräften, die sich
       einen kleinen Bungalow teilten. Oder einer Stadtwohnung, deren Betten von
       Fabrikarbeitern umschichtig benutzt wurden. Huisjesmelkers, nennt man diese
       Ausbeuter auf niederländisch. Häuschenmelker. Roorda sagt das Wort voller
       Verachtung.
       
       Dann nimmt er den Generalschlüssel und geht los. Durch einen
       Gemeinschaftsraum mit Bar, dahinter ein Fitnessraum, neu eingerichtet. Der
       PVC-Boden in den Gängen ist eine Reminiszenz an das Asylbewerberheim, das
       hier bis 2011 untergebracht war. An das Vier-Sterne-Hotel aus den 1990ern
       erinnert dagegen nichts mehr. Dafür gibt es auf jeder Etage große
       Gemeinschaftsküchen und Gratis-Waschsalons. Dann schließt Johan Roorda das
       letzte freie Zimmer auf: 25 Quadratmeter inklusive Bad. Zwei Betten, TV,
       ein Tisch und zwei Stühle, Essgarnitur, Kühlschrank.
       
       ## Wohngebiete „entlasten“ will der Ratsherr
       
       Roordas politischer Partner sitzt im Stadthaus von Rotterdam: Ratsherr
       Hamit Karakus, zu dessen Portfolio nicht nur Soziales und Wohnen gehören,
       sondern auch alles, was mit Arbeitsmigranten aus Mittel- und Osteuropa zu
       tun hat. Karakus ist Sozialdemokrat, Ende 40, selbst Sohn einer türkischen
       Gastarbeiterfamilie. Als das Hotel eröffnet wurde, entkorkte er eine
       Sektflasche – vielleicht, weil sich die Stadt damit gleich zwei heikler
       Themen entledigen könnte. Ka
       
       rakus spricht von der Verantwortung der Arbeitgeber für „ordentliche
       Unterkünfte“, und dass Arbeitsmigranten nicht durch hohe Mieten oder
       niedrige Löhne ausgebeutet werden dürfen. „Darum arbeiten wir mit dem
       Flexhotel zusammen.“ Finanzielle Unterstützung für das Flexhotel gibt es
       jedoch von der Stadt nicht. Man möchte das Projekt gerne als Vorbild
       propagieren.
       
       Doch da ist noch ein anderer Grund: Karakus sagt, die Städte waren auf die
       vielen Osteuropäer nicht vorbereitet. Darum will er manche Wohngegenden
       „entlasten“. Die, wo es Beschwerden über Lärm gibt, über all die Autos mit
       weißen Kennzeichen und PL-Aufklebern, über Parkplatzmangel. Er weiß, solche
       Klagen gehen oft fließend in einen Abwehrreflex über, der osteuropäische
       Arbeitsmigranten pauschal als overlast („Belästigung“) bezeichnet. Hamit
       Karakus ist vorsichtig – im März sind Kommunalwahlen. „Die Rotterdamer
       diskriminieren nicht“, sagt er. Und nuanciert dann: „Es ist klar, dass eine
       überbelegte Wohnung zu Parkplatzproblemen führt, und dass es im Treppenhaus
       laut ist. Aber für Belästigung sorgen die Umstände, nicht die Leute an
       sich.“
       
       Im Flexhotel hat sich nun eine Schlange vor dem Beratungsbüro der
       Zeitarbeitsfirma gebildet. Es gibt Fragen, Formulare müssen ausgefüllt
       werden. Eine junge Frau kauert in einem Sessel, die Arme um die Knie
       geschlagen. Manuela, die ihren Nachnamen lieber für sich behält, schafft in
       der Frühschicht im Lager der Textilfirma Warnaco. 220 Euro bekommt sie
       dafür in der Woche, 270, wenn sie die Spätschicht übernimmt. Zum dritten
       Mal ist Manuela in den Niederlanden. Lieber wäre sie in Polen, doch da
       findet sie keine Arbeit. Draußen vor dem Fenster bricht die Dämmerung ein.
       
       ## Die Käserasierer
       
       Ein Stockwerk höher lockt der Geruch von Fisch und gebratenem Gemüse in die
       Gemeinschaftsküche. Am Herd stehen zwei junge Männer. Krzysztof Galicki,
       kurzes Stoppelhaar und Brille, und Kamil Falbowski, ein dürrer
       Vollbartträger mit Mütze. Im Hotel fühlen sie sich wohl. „Mehr
       Privatsphäre“, sagt Kamil Falbowski. Bei seinem letzten Einsatz wohnte er
       zu sechst in einem kleinen Ferienbungalow. Und die Arbeit? Falbowski lacht.
       „Wir rasieren Käse“, sagt er. Sein Kollege zeigt ein Handyvideo : ein
       riesiger Käselaib, ein blauer Handschuh mit einem Schleifgerät erscheint im
       Bild. Martialisches Kreischen setzt ein, und die Rindenstücke spritzen.
       
       Die Fabrik liegt „irgendwo bei Gouda“. Dass der Käse von dort berühmt ist,
       hört Kamil Falbowski zum ersten Mal. „Da bin ich aber stolz!“, spottet er.
       Die Arbeit sei hart, aber man gewöhne sich dran. „Ich habe meinen Mp3 dabei
       und spiele Punk über Kopfhörer. Ich hoffe, die merken es nicht.“ Zur Zeit
       sind beide in der Nachtschicht, was ihnen 320 Euro pro Woche einbringt.
       „Besser als in Polen“, sagt Falbowski, der sein Philologiestudium früh
       schmiss und dann ein paar Jahre in Wroclaw in einer Bank arbeitete. Bis Mai
       bleibt er in Rotterdam, danach will er reisen. Montenegro, Albanien,
       Griechenland.
       
       Wenig später wird es still im Flexhotel. Nur im Fitnessraum machen noch
       drei Männer Zirkeltraining. Nebenan in der Bar sind die letzten
       Billardspieler verschwunden. Manuela schläft, in ein paar Stunden geht ihr
       Wecker. Kamil Falbwoski und Krysztof Galicki werden gleich zur Nachtschicht
       aufbrechen. Nicht eine Person ist zu sehen, die ein Bier trinkt. Oder gar
       Wodka. Das ist ganz nach dem Geschmack von Darek Haska, der im Glaskasten
       an der Rezeption sitzt und Wache hält. Und hofft, dass die Niederländer die
       Polen irgendwann doch noch mögen.
       
       12 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tobias Müller
       
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