# taz.de -- Nachruf auf Vera Chytilova: Im Pantheon der Subversion
       
       > Vera Chytilova, Regisseurin von „Tausendschönchen“ und Grande Dame des
       > osteuropäischen Kinos, ist am Mittwoch in Prag verstorben.
       
 (IMG) Bild: Nach der Zerschlagung des „Prager Frühlings“ wurde sie mit Berufsverbot belegt: die Regisseurin Vera Chytilova.
       
       2009 richtete die Berlinale die Reihe „Winter adé – Filmische Vorboten der
       Wende“ aus. Das Programm konzentrierte auf Werke der 1980er Jahre, mit
       denen das realsozialistische Selbstdarstellungsideal unterlaufen wurde. Als
       Beispiel für die CSSR zeigten wir - ich war seinerzeit einer der Kuratoren
       - „Panelstory“ von Vera Chytilova. Der Film erzählt die Geschichte eines
       alten Herren, der seine Kinder und Enkel in einer frisch aus dem Boden
       gestampften Neubausiedlung besuchen will. Er gerät dabei in eine groteske
       Odyssee der Geworfenheit.
       
       Zu unablässig tönender, atonaler Musik werden Anekdoten angerissen; einen
       herkömmlichen Plot gibt es nicht. In der unfertig wirkenden Siedlung laufen
       urbane und soziale Widersprüche zusammen, werden zu einem in Beton
       gegossenem Utopia – einem Un-Ort, in dem sich überleben, aber kaum wohnen
       lässt.
       
       Das 1979 gedrehte Werk muss bei den Auftraggebern einen Schock ausgelöst
       haben. „Panelstory“ wurde verboten und erst zwei Jahre später freigegeben.
       Bezeichnend an dieser Verbotsgeschichte war, dass sich die Regisseurin
       eigentlich bewähren sollte. Nach der Zerschlagung des „Prager Frühlings“
       war sie mit Berufsverbot belegt worden. Anders als ihr wendiger Kollege
       Jiri Menzel beispielsweise kam für sie ein Kotau vor den Machthabern nie in
       Frage. Nein, Kompromisse waren ihre Sache nicht; lieber überwinterte sie,
       ohne zu wissen, wie lange diese Eiszeit noch anhalten würde.
       
       ## Müßiggang bis zur letzten Konsequenz
       
       Ihre berühmteste Arbeit „Sedmikrasky“ ("Tausendschönchen") ist 1966 als
       vehementes Statement der Kompromisslosigkeit in die Geschichte eingegangen.
       Danach gab es für sie kein Zurück mehr. Hier werden die Zuschauer mit zwei
       Mädchen konfrontiert, die eine blond, die andere dunkel, beide tragen den
       gleichen Namen: Marie. Ihr fragwürdiges Tagwerk besteht im Müßiggang, dies
       jedoch bis zur letzten Konsequenz. Sie befinden sich unablässig in
       aufgekratzter Stimmung, kichern, provozieren, spielen mit zahllosen
       oberflächigen Gesten zwischen Eleganz und Vulgarität.
       
       Amos Vogel, der Chronist der filmischen Subversion, konstatierte: „Kein
       Werk aus dem Osten hat sich jemals weiter von der eintönigen Sterilität des
       Sozialistischen Realismus entfernt.“ Das Stakkato aus Handlungssplittern,
       Animationen und dokumentarischen Einschüben arbeitet mit experimentellen
       Stilmitteln, es ist märchenhaft, verspielt, anarchisch, komisch, burlesk
       und vor allem völlig unberechenbar. Der Film ist ein Wunder - und wird als
       solches alle Moden überleben.
       
       ## Das Exil kam nicht in Frage
       
       Die 1929 im mährischen Ostrava geborene Vera Chytilova studierte zunächst
       Architektur, wurde 1957 gemeinsam mit Milos Forman an der legendären
       Filmhochschule FAMU in Prag immatrikuliert. Gewachsene Arbeitsstrukturen
       waren ihr wichtig. Vielleicht kam deshalb das Exil für sie nicht in Frage.
       Vor allem mit dem Kameramann Jaroslav Kucera und der Bühnen- und
       Maskenbildnerin Ester Krumbachova arbeitete sie mehrfach zusammen.
       
       Trotz ihrer gebrochenen Biografie hat die Regisseurin ein reiches Oeuvre
       hinterlassen, das seiner gebührenden Wahrnehmung harrt. Als sie 2009 in
       Berlin zu Gast war, nahm sie meine ihr gegenüber dargebrachte Huldigung,
       „Sedmikrasky“ sei einer der wichtigsten Filme, die je gedreht worden sind,
       freundlich-gelassen entgegen. Sie war voller Pläne.
       
       13 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claus Löser
       
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