# taz.de -- Ein persönlicher Abschiedsbrief: Leb wohl, Krim!
       
       > „Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt“, schreibt Ana Gordijenko aus
       > Simferopol. „Eines aber weiß ich: Auf der Krim erwartet mich nichts Gutes
       > mehr.“
       
 (IMG) Bild: Das war's. Sonnenuntergang auf der Krim
       
       Meine innig geliebte Krim, Du hast dich so verändert. Ich erkenne Dich
       nicht mehr wieder.
       
       Ich weiß noch, wie wir uns kennenlernten. Ich kam hier zur Welt, du warst
       seit Ewigkeiten schon da. Meine Heimatstadt ist Simferopol. Ich ging hier
       in den Kindergarten, später zur Schule. Dann habe ich an der Universität
       studiert. Viele Freunde aus allen Ecken der Welt hielten mich für einen
       Glückspilz, weil ich in einer der schönsten Ecken der Ukraine geboren wurde
       – der Krim, die wie eine wunderschöne Perle glänzte.
       
       Und je älter ich wurde, desto mehr bewunderte ich Dich. Deine Einmaligkeit
       liegt darin, dass Du so vielfältig bist und doch so harmonisch. So viele
       verschiedene Völker, so viele verschiedene Religionen waren hier zu Hause.
       Es war ein friedliches Miteinander. Jetzt ist alles anders.
       
       „Jenseits der Krim gibt es kein Leben!“, haben sich die Leute zugerufen,
       haben gesagt: „Der Mensch hat nur ein Leben – er sollte es doch auf der
       Krim leben!“
       
       Warum wohl? Die Halbinsel hat alles, was man zum Glücklichsein braucht. Sie
       wird von zwei Meeren umspült, hat hohe Berge, weite Steppen, Wälder und
       über allem leuchtet ein azurblauer Himmel. Kann man sich mehr wünschen?
       
       ## Ich fliehe aus meiner Heimat
       
       Doch manchmal treiben Menschen ein böses Spiel. Leider hat diese Medaille
       schon immer eine Kehrseite – es fanden sich immer Menschen, die versessen
       darauf waren, dieses Land ihr Eigen zu nennen.
       
       Und genau das geschah im Februar 2014, als Wladimir Putin Truppen auf die
       Krim entsandte. Fremde traten in meinem Haus, der Krim, die Türen mit den
       Füßen ein. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, die Krim im Krieg
       erleben zu müssen. Niemals hätte ich gedacht, dass ich einmal das Pfeifen
       von Warnschüssen hören würde, nur weil ich jemandem verdächtig vorkomme.
       
       Heute habe ich hier in Simferopol zum ersten Mal eine Bahnfahrt ohne
       Rückfahrkarte gekauft. Ich fliehe aus meiner Heimat. Ich lasse meine Arbeit
       zurück, die ich liebe, und meine Wohnung bleibt leer. Ich weiß nicht, was
       mich in Zukunft erwartet. Eines aber weiß ich ganz genau: Hier auf der Krim
       erwartet mich nichts Gutes mehr.
       
       Es gibt nichts Schlimmeres als Angst. Und Angst ist seit zwei Wochen meine
       treue Begleiterin. Krim, warum schaust Du so böse auf mich? Ich bin es,
       Deine Tochter, die Dich von ganzem Herzen liebt! Vertreib mich nicht! Ich
       bitte Dich sehr!
       
       ## Wie soll ich leben?
       
       Vor einer Woche hat man mitten in Simferopol versucht, mir meine
       Wyschiwanka vom Leibe zu reißen, die gestickte ukrainische Bluse. Ich ging
       durch die Straße, als eine Frau plötzlich schrie und sich auf mich stürzte.
       Sie beschimpfte mich als „Banderowza“, als eine Anhängerin des radikalen
       Nationalistenführers Stepan Bandera aus der Westukraine.
       
       Die Propaganda der Kreml-Medien trichterte den Menschen auf der Krim ein,
       dass ukrainische Patrioten allesamt Faschisten sind. Wenn jemand auf der
       Straße Ukrainisch spricht, glauben sie, dass die Eroberer schon auf der
       Krim wären. Aber wie soll ich leben, wenn Herz und Seele nach der
       ukrainischen Sprache verlangen?
       
       Es ist gefährlich geworden, einfach nur seine Heimat zu lieben. Die Krim
       hat sich in einen Abgrund verwandelt. Der Zug bringt mich fort von meinen
       Freunden und Verwandten. Was gibt es Schlimmeres, als von der Heimat
       verstoßen zu werden?
       
       Mein Herz ist zerrissen von Erniedrigung und Hoffnungslosigkeit. Das
       Referendum ist nichts als ein Zirkus. Für lange Zeit wird es mein Herz, das
       an der Krim hängt, von meiner Seele trennen, die in der Ukraine lebt.
       
       Was bleibt, sind Gebete und der Glaube an die Wahrheit. Denn gegen die
       mächtige russische Propagandamaschine zu kämpfen ist so, als würde man sich
       ohne Waffen vor einen Panzer stellen. Das Einzige, was hoffen lässt, ist
       das Wissen, dass die Ukraine eins ist und unteilbar bleibt. Jetzt empfinden
       sich die Ukrainer als eine Nation – Wladimir Putin sei Dank!
       
       Übersetzung: Irina Serdyuk
       
       17 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ana Gordijenko
       
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