# taz.de -- Die Wahrheit: Vertikutieren geht über studieren
       
       > Wer seinen Rasen liebt, muss gegen Unkraut kämpfen. Gegen das Vordringen
       > des Mooses hilft dem Hobbygärtner kein Verharren in der Scheinidylle.
       
 (IMG) Bild: Im Nettnapf der Höflichkeitshölle.
       
       Wir Hobbygärtner lieben die Natur, solange alles zu seiner Zeit an seinem
       Platz bleibt. Mit der ersten Frühlingssonne ziehen wir hinaus ins Grün,
       bewaffnet mit Harke, Spaten und Vertikulator, und es beginnt der Kampf Gut
       gegen Böse. Denn wer die Natur liebt, der muss gegen sie kämpfen. Wer die
       Blumen liebt, muss gegen das Unkraut kämpfen, wer den Rasen liebt, gegen
       das Moos, das sind die ewigen Gesetze des Gartens. Es sind die ältesten
       Gesetze der Welt, schließlich hat in einem Garten ja alles einmal
       angefangen.
       
       Nun also zu den Moosen, diesen lichtscheuen und durstigen Gesellen, den
       Punks unter den Gartenpflanzen. Für uns Hobbygärtner, die wir nach getaner
       Arbeit rechtschaffen in den Sessel sinken, sind Moose ungebetene Gäste.
       Laien werden den Groll gegen das immergrüne Gewächs nicht nachvollziehen
       können.
       
       Auch ich war als Novize in meiner Kolonie zunächst verstört über die
       Moos-Aversion der Altvorderen. Ich genoss das wundervolle Gefühl, an einem
       sonnigen Maimorgen barfuß über den samtenen Teppich zu wandeln. Doch mit
       der Integration in die Gemeinschaft der Gärtner wurden mir die Augen
       geöffnet. Es begann mit rührender Anteilnahme angesichts meines vermoosten
       Rasens. Es folgten lange Diskussionen darüber, wie dieser Plage Herr zu
       werden sei: Vertikulator vs. chemische Keule vs. Ausbrennen. Später stand
       ich staunend vor Regalen voller Moos-Killer und -Vernichter im Baumarkt und
       hörte in abendfüllenden TV-Ratgebern Geschichten über den immer währenden
       Kampf Mann gegen Moos. Immer ging es um die Frage, wie der unschuldige
       Rasen vom grünen Schmarotzer freizuhalten sei. Mir dämmerte, dass ich mich
       von pseudoromantischen Idyllen hatte einlullen lassen und den Ernst der
       Lage unterschätzt hatte.
       
       Damit wir uns nicht falsch verstehen, wir Kleingärtner haben nichts gegen
       Moose. An der Nordseite einer zweihundertjährigen Buche im Pfälzerwald oder
       an den Felsen im Lauf klarer Gebirgsbäche faszinieren uns die urtümlichen
       Bonsai-Flokatis. Dort schrauben wir gerne unsere Objektive auf unsere
       digitalen Spiegelreflexkameras, um die faszinierende Feinstruktur und das
       atlantikfrische Grün auf unseren Festplatten zu verewigen. Dann bewundern
       wir in Fotobänden die exotische Schönheit der archaischen Natur, das
       rassige Temperament, die glühende Leidenschaft, die kastanienbraunen Augen.
       Aber im eigenen Garten? Da gehört ihr nun mal nicht hin, liebe Moose, alles
       an seinem Ort zu seiner Zeit.
       
       Den endgültigen Beweis für die Nichtsnutzigkeit der Moose lieferte der
       Gartenexperte im Baumarkt, als ich ihn, mit einer Packung „Moosfrei“ in der
       Hand, um Rat fragte: „Warum muss Moos eigentlich unbedingt runter vom
       Rasen?“ Der Experte schaute mich derart verblüfft an, als habe ihn jemand
       gefragt, warum er eine Hose trage. Dann dachte er sehr lange nach, ließ die
       gesamte Fachdiskussion der letzten Jahre Revue passieren, wägte These und
       Antithese sorgfältig ab und kam zu einer weltklugen, in ihrer Einfachheit
       geradezu genialen Synthese: „Weil es Moos ist, halt.“
       
       24 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Joachim Frisch
       
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