# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Afghanistan: Nach Karsai ist mit Karsai
       
       > Die Präsidentschaft Hamid Karsais geht zu Ende, aber nicht die Ära des
       > umsichtigen Taktikers und Netzwerkers. Schon ist die Rede vom
       > Putin-Medwedjew-Modell.
       
 (IMG) Bild: Der Mann mit der Karakulmütze: Hamid Karsai.
       
       Nach mehr als zwölf Jahren wird am Sonnabend ein Nachfolger für
       Afghanistans scheidenden Präsidenten Hamid Karsai gewählt. Die zweite
       Amtsperiode des Paschtunen aus Süd-Afghanistan endet am 22. Mai. Laut
       Verfassung darf er nicht wieder antreten, da er bereits zwei Amtszeiten
       hinter sich hat. Dass er überhaupt ins Amt kam, ist das Ergebnis der
       Afghanistankonferenz 2001 auf dem Bonner Petersberg, dort wurde er von der
       internationalen Gemeinschaft zum Präsidenten ernannt.
       
       Zum ersten Mal in Afghanistans Geschichte überhaupt scheidet ein
       Staatsoberhaupt freiwillig und friedlich aus dem Amt und wird mit Hilfe von
       Wahlen ersetzt. Viele seiner Vorgänger überlebten ihre Amtsperiode nicht.
       Unmittelbar vor ihm ging 2001 Borhanuddin Rabbani, zwar in Frieden, aber
       nicht freiwillig. Jüngere, aber mächtige Mitglieder seiner Organisation,
       die auf dem Petersberg Schlüsselämter unter Karsai bekamen, mussten einiges
       an Überredungskunst dafür aufbringen.
       
       Karsai kann auch für sich verbuchen, dass er die erste pünktliche
       Präsidentschaftswahl durchführt. 2004 und 2009, als die internationale
       Gemeinschaft noch stärker mitmischte, kam es jeweils zu monatelangen
       Verschiebungen. Diese stellten nicht nur die Legitimität der Wahlen in
       Frage, sondern beschädigten auch die Verfassung. Wenn man Wahltermine so
       einfach und ohne Protest aus dem Ausland verschieben kann, schlussfolgerten
       afghanische Politiker, sind wohl auch andere Verfassungsbestimmungen nicht
       so ernst gemeint.
       
       Die Schwäche der afghanischen Verfassung ist ein Resultat der Ära Karsai.
       Sie ist mit ihrer Ambivalenz zugleich eines ihrer Symbole. Einerseites
       enthält sie das Bekenntnis zu internationalen Werten wie Menschenrechte und
       Geschlechtergleichheit, andererseits darf auch kein Gesetz dem Islam
       widersprechen. Das öffnet einflussreichen islamistischen Kräften die
       Hintertür, Rechte und Freiheiten immer wieder in Frage zu stellen.
       
       ## Enttäuschte Erwartungen
       
       Auch wenn Karsai nicht allein dafür verantwortlich ist – seine Amtszeit
       erfüllte die Erwartungen, die die Afghanen in ihn setzten, nicht. Karsai,
       nun 56-jährig, wurde 2004 als Hoffnungsträger ins Amt gewählt. Damals trat
       er mit einem Reformprogramm sowie dem Versprechen an, die Koalition mit den
       Warlords zu beenden. Das brachte ihm den Wahlsieg, allerdings nicht ohne
       Geschmäckle: Er verfehlte die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang, unter
       internationalem Druck verzichteten seine Gegner darauf, in eine zweite
       Runde zu gehen.
       
       Als geschickter Taktiker baute er ein vielschichtiges Netz von Verbündeten
       auf. In dessen Zentrum steht seine Hausmacht um die alte
       Paschtunen-Hauptstadt Kandahar. Es ist ein Netzwerk aus Milizen, die eng
       mit US-Spezialeinheiten und der CIA kooperieren.
       
       Zudem kontrollieren seine Brüder landesweit verschiedenste wirtschaftliche
       Aktivitäten. Er spaltete gegnerische politische Gruppen und verbündete sich
       mit einigen Gruppenchefs. Dieses auf Patronage beruhende Machtgeflecht
       verhindert aber, dass Karsai eines der Grundübel Afghanistans bekämpfen
       konnte: die Korruption. Sie wird von dem Milliardenzufluss an
       Wiederaufbauhilfe gespeist. Die norwegische Afghanistan-Analystin Astri
       Suhrke sieht das Nach-Isaf-Afghanistan so: „schwache Institutionen und eine
       Menge bewaffneter Männer“.
       
       ## „Kein Blut an den Händen“
       
       Während die internationale Öffentlichkeit zu lange von Karsais
       pointenreichen Reden in fließendem Englisch und seiner aus mehreren lokalen
       Traditionen kombinierten exotischen Kleidung – blau-grün gestreifter
       Tschapan der Usbeken, weite Paschtunenhose und Karakulmütze der städtischen
       Intelligenzija – beeindruckt war, waren die Afghanen von Anfang an
       skeptischer. Ihr Staatschef sollte weniger Witze machen und selbstbewusster
       auftreten, fanden sie. „Dar schahr-e nabini-ha, jak-tschaschma shah ast“
       (in der Stadt der Blinden ist der Einäugige König), war eine oft gehörte
       Einschätzung.
       
       Die Afghanen hielten ihm zugute, dass er kein Kämpfer war und deshalb „kein
       Blut an den Händen“ hatte. Sie wussten aber auch, dass Karsai zu den
       Mudschaheddin gehörte, für die er im pakistanischen Exil Kontakte zu
       Botschaften herstellte und Geld besorgte. Nach der Machtübernahme 1992
       stürzten die Mudschaheddin das Land erneut in einen Bürgerkrieg, aus dem
       die Taliban als Sieger hervorgingen.
       
       Karsai und sein Vater Abdul Ahad liebäugelten eine Zeit lang auch mit den
       Taliban, in der Hoffnung, diese würden sich zur Wiedererrichtung der
       afghanischen Monarchie instrumentalisieren lassen, unter der Karsai senior
       ein einflussreicher Parlamentarier war.
       
       Nach den Terroranschlägen im September 2001 nutzte Karsai seine Beziehungen
       zu der US-Regierung, um eine Widerstandsfront in Südafghanistan zu
       errichten. Heute gehen die Einschätzungen dieser Zeit auseinander: Ob er
       von Anbeginn ein Mann der Amerikaner war? Oder setzten sie nur auf ihn
       mangels Alternativen?
       
       ## Ein neues Domizil ist schon gebaut
       
       Inzwischen haben sich die Beziehungen zwischen Washington und Karsai fast
       bis zum Nullpunkt abgekühlt. Hintergrund ist Karsais Weigerung, ein
       bilaterales strategisches Abkommen zu unterzeichnen. Es soll die Grundlage
       für die neue Nach-Isaf-Mission der Nato bilden, um die afghanischen
       Sicherheitskräfte – auch mit deutscher Beteiligung – weiter auszubilden.
       Denn ohne US-Logistik kann kein anderes Nato-Land solch eine Mission allein
       stemmen.
       
       Auch wenn ein großer Teil der politischen Klasse und der Bevölkerung Karsai
       zur Unterschrift drängt, er will offenbar nicht als der Präsident in die
       Geschichte seines Landes eingehen, der eine US-Militärpräsenz verstetigt
       hat. Zudem glaubt Karsai, dass er in der Lage ist, Friedensgespräche mit
       den Taliban zu führen. Diesem Plan würden insbesondere US Special Forces im
       Wege stehen, die ab 2015 eine parallele Anti-Terror-Mission stellen sollen.
       
       Auch wenn am 5. April Karsais Nachfolger gewählt wird, die Ära Karsai endet
       damit nicht. Er übergibt seinem Nachfolger sein Patronagesystem, dem dieser
       seine Wahl verdanken und von dem er abhängig sein wird – und damit wiederum
       von Karsai. Karsai selbst plant, wie er in einer Rede im letztem Jahr
       sagte, weiter am Kabinettstisch zu sitzen, „nicht oben, aber an der Seite“.
       
       Ein neues Domizil für ihn gleich neben dem Präsidentenpalast ist bereits
       fertiggestellt. Vielleicht wird es auch einen neuen Präsidentschaftsrat
       geben, mit Karsai als grauer Eminenz an der Spitze. Und auch das
       Putin-Medwedjew-Modell wird in Kabul diskutiert – ein Comeback Karsais nach
       einer Pause.
       
       Der Autor ist Co-Direktor des unabhängigen Afghanistan Analysts Network,
       Kabul/Berlin.
       
       4 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Ruttig
       
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