# taz.de -- Ruandisches Tagebuch Folge 8: Auch ein wenig mein Land
       
       > Zum Abschluss ihres Ruanda-Aufenthalts zieht unsere Autorin Bilanz –
       > Bilanz ihrer Reise und eine Bilanz des Wandels in Ruanda.
       
 (IMG) Bild: Marie-Claude Bianco in Kigali.
       
       Sonntag/Montag 13./14. April. Das Ende der Trauerwoche ist auch das Ende
       meiner Reise. Im Vorfeld war ich sehr skeptisch, was für ein Land ich wohl
       vorfinden mag. Ob der propagierte Wandel der Gesellschaft tatsächlich auch
       in den Köpfen der Menschen stattfindet, oder ob es lediglich von oben
       vorgegeben und quasi übergestülpt ist?
       
       Ich war mir auch unsicher, was mich persönlich betrifft. Ob ich mich darauf
       einlassen kann, die Menschen kennenzulernen, oder ob ich mir mit meiner
       Abwehrhaltung selbst im Weg stehe?
       
       Jetzt, nach diesen zehn Tagen hier, bin ich sehr froh, den Schritt gewagt
       zu haben und mir mein eigenes Bild von diesem Land zu machen versuche, das
       auch ein wenig mein Land ist.
       
       Ruanda ist tatsächlich im Umbruch. Wenn man sich Ruanda vor 20 Jahren vor
       Augen führt, grenzt es an ein Wunder, was die Menschen hier geleistet
       haben.
       
       ## Eine andere Vorstellung von Gesellschaft
       
       Das Allererstaunlichste ist, dass man sich tatsächlich sicher fühlt. Das
       war eine meiner größten Sorgen, denn niemand weiß, wer welches Gedankengut
       wirklich in sich trägt. Für mich ist das Sicherheitsgefühl eine der
       entscheidensten Leistungen der Regierung. Und obwohl überall Soldaten und
       Polizisten zu sehen sind, fühlt man sich dennoch nicht wie in einem
       Polizeistaat. Man braucht sich keine Gedanken zu machen, noch nicht mal vor
       Taschendieben.
       
       Eine weitere Kraftleistung ist die Ausbildungsförderung von Kindern und
       Jugendlichen, in die viel investiert wird. Auch wenn immer noch die meisten
       Kinder nur die Grundschule besuchen - in Sachen Bildung ist Ruanda einen
       gewaltigen Schritt nach vorne gekommen.
       
       Die Frage ist auch, an welchem Maßstab man Entwicklung und Erfolge messen
       will. Ich habe lange nicht verstanden, wie man den Völkermordverbrechern
       mit Gacaca-Verhandlungen beikommen will - den sogenannten Dorfgerichten, wo
       Täter und Überlebende aufeinandertreffen. Ich war sicher, dass das nicht
       funktionieren könne. Hier habe ich gelernt, dass mir meine westlich
       geprägte Vorstellung von Gesellschaft im Weg stand.
       
       Gesellschaft in Deutschland ist eine Ansammlung von Individualisten, man
       grenzt sich - nicht nur im Konfliktfall - deutlich gegeneinander ab. Hier
       in Ruanda wird Gesellschaft genau gegenteilig definiert: Die Gemeinschaft
       bestimmt das Leben. Und bei Konflikten setzen sich alle zusammen, man trägt
       die Probleme sozusagen in die Öffentlichkeit, um darüber zu diskutieren.
       Und zwar so lange, bis man eine Lösung findet, die für alle Seiten tragbar
       ist, und die dazu führt, dass die Gemeinschaft wieder harmonisch ist.
       
       ## Noch immer geteiltes Land
       
       Natürlich es gibt noch einige schwerwiegende Probleme. Dass die ruandische
       Gesellschaft im Grunde genommen mehrfach geteilt ist, ist eines davon.
       
       Da ist zum ersten der krasse Gegensatz zwischen Kigali und dem großen
       „Rest“ des Landes. Während die Hauptstadt boomt und mit ihren
       Shoppingmalls, Zebrastreifen, Ampeln, Straßenlaternen und Apartmenthäusern
       kaum mehr an Afrika denken lässt, sieht es auf dem Land ganz anders aus.
       Und das Land fängt direkt an den Rändern der Hauptstadt an. Bei allem
       Aufbruch in Kigali darf man nicht übersehen, dass die große Mehrheit der
       Ruander auf dem Land in großer Armut lebt.
       
       Hinzu kommt, dass die Gesellschaft dreigeteilt ist. Einerseits sind da die
       Ruander, die nach 1994 aus dem Exil gekommen sind, und die von dem
       Völkermord, wenn man so will, indirekter betroffen sind. Sie leben in
       Kigali, sind der eigentliche Motor des Aufschwungs in der Hauptstadt und
       natürlich auch dessen größte Profiteure.
       
       Von denen, die den Völkermord direkt erlebt haben, ist die weitaus größere
       Gruppe die der Täter und ihrer Angehörigen. Sehr viele zeigen keine
       Einsicht in ihre persönliche Schuld, sondern berufen sich auf die damalige
       Zeit und dass sie ja nur taten, was man ihnen gesagt hat. Die meisten sind
       der Ansicht, dass sie ihre Schuld durch Gefängnis oder Gacaca-Verhandlungen
       abgegolten haben. Und es damit jetzt auch gut sei. Sie wollen nach vorne
       schauen.
       
       Und dann gibt es noch die Überlebenden, die mit ihren Traumata, ihren
       Erinnerungen und oft auch den davon stammenden körperlichen Gebrechen leben
       müssen. Längst nicht alle schaffen es, zuversichtlich in die Zukunft zu
       schauen.
       
       ## Frust - und Hoffnung
       
       Eine große Zukunftshoffnung aber steckt in der Tatsache, dass über 60
       Prozent der Bevölkerung unter 25 Jahre alt ist und diese jungen Menschen
       mit enormen Anstrengungen versuchen sich eine Zukunft aufzubauen. Während
       des Völkermords waren sie Kinder oder noch gar nicht geboren. In Kigali
       spürt man die Energie und auch die Motivation vieler junger Leute, am
       gesellschaftlichen Wandel teilzuhaben.
       
       Doch man bekommt auch Frust zu spüren: Frust darüber, gut ausgebildet zu
       sein und dennoch keinen Job zu finden. Die hohe Arbeitslosigkeit ist ein
       massives Problem, vielleicht das drängendste. Wer keine Beziehungen hat,
       hat kaum Aussichten, eine gute Anstellung zu finden. Zudem ist Kigali so
       teuer, dass die meisten schlicht darum kämpfen müssen, ihre Familien satt
       zu bekommen.
       
       Bei all diesen Problemen bin ich sehr beeindruckt, was die Menschen und die
       Regierung in Ruanda in der kurzen Zeit seit dem Völkermord erreicht haben.
       Denn 20 Jahre sind so gut wie nichts, gemessen an dem Umfang der Zerstörung
       der gesamten Gesellschaft. Es ist zwar noch ein sehr langer Weg, aber die
       Ruander haben den Willen, ihr Land erfolgreich nach vorne zu bringen.
       
       Und ich werde bestimmt bald wieder nach Ruanda fahren. Schließlich kennen
       meine Kinder das Land ihrer Großmutter noch nicht. Das will ich jetzt
       ändern.
       
       15 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marie-Claude Bianco
       
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