# taz.de -- Selbstorganisierte Jugendarbeit: Die Kids meinen’s ernst
       
       > Seit drei Wochen ist das „Freizi“ Buntentor in der Neustadt besetzt.
       > Seitdem versorgen die Jugendlichen sich selbst – und schaffen das ganz
       > hervorragend.
       
 (IMG) Bild: Besetzen derzeit ihr "Freizi": Leonardo (14) und Diyan (13).
       
       In den Fenstern hängen Ostereier. Ein Mädchen übt Gitarre, drei Jungs
       zeichnen Vorlagen für ihr nächstes Graffiti. Mit vereinten Kräften
       schleppen vier Jugendliche ein schweres Sperrmüll-Sofa in die Sonne, andere
       verteilen Reste der selbst gebackenen Pizza vom Mittag. Die friedliche
       Stimmung im „Freizi“ Buntentor trügt freilich, denn nach wie vor ist das
       Jugendzentrum besetzt. Davon zeugen Transparente im Außenbereich und vor
       allem die zugesperrte Eingangstür. „Man hat uns zwar gesagt, dass man uns
       keine Steine in den Weg legt“, sagt Besetzer Yuri de Melo, „aber wir gehen
       lieber auf Nummer sicher.“
       
       Mit „man“ meint Yuri, der Sozialwissenschaften studiert und zur Zeit
       Semesterferien hat, MitarbeiterInnen vom Amt für Soziale Dienste (ASD) und
       VertreterInnen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Das ist Träger des
       Freizi. „Wenn die sich vorher anmelden und sagen, was sie von uns möchten,
       lassen wir sie vielleicht rein“, sagt Yuri, „aber wer einfach hier
       auftaucht, hat Pech gehabt.“ Yuri und die anderen Jugendlichen versorgen
       sich selbst, und das nun schon seit drei Wochen.
       
       ## Rund um die Uhr ist jemand da
       
       Rund um die Uhr ist seither immer jemand hier, mindestens 15 Kinder und
       Jugendliche übernachten im Freizi, verteilt auf zwei Schlafsäle, einer für
       „Lücke-Kinder“ zwischen 12 und 16 Jahren und einer für die Älteren. Dort,
       im „Chill-Raum“ gab es auch schon vor der Besetzung ein paar Sofas und
       Matratzen. „Den Rest haben wir selbst organisiert. Teilweise haben auch
       völlig fremde Jugendliche Decken, Kissen oder Isomatten vorbeigebracht“,
       erzählt die 18-jährige Melissa Budancamanak, die genau wie Yuri jede Nacht
       hier schläft. Auch sonst erfahren die BesetzerInnen große Unterstützung:
       „Wir bekommen Spenden oder Lebensmittel von Nachbarn, und der Bäcker von
       nebenan schenkt uns jeden Abend eine riesige Tüte mit Brötchen und Kuchen.“
       
       Sämtliche Einkäufe müssen durch Spenden finanziert werden: „Letzte Woche
       gab es ein Soli-Konzert in der Dete, da kam ganz gut was zusammen“, erzählt
       Yuri, „und ein paar linke Jugendgruppen nutzen seit der Besetzung unsere
       Räume und lassen auch oft eine Spende da.“ Überhaupt habe er noch nie einen
       solchen Zulauf auf das Haus erlebt wie im Moment: „Viele sind erst durch
       die Besetzung auf uns aufmerksam geworden. Ein Mädchen, das vorher noch nie
       hier war, ist kurzerhand bei uns eingezogen und lernt hier jetzt fürs Abi.“
       
       Das kommt für Saskia von Tungeln nicht in Frage. Sie hat ebenfalls in zwei
       Wochen ihre Abiturprüfungen und übernachtet deswegen zu Hause: „Hier fehlt
       mir die Ruhe zum Lernen“, sagt sie. In den Osterferien freilich unterstützt
       sie die BesetzerInnen: „Aber gerade jetzt, wo wir ein bisschen Zeit haben,
       steht bei den Ämtern alles still.“ Saskia ist Sprecherin des Neustädter
       Jugendbeirats: „Dort haben wir am Dienstag beschlossen, dass zwei von uns
       künftig Mitglieder im Controlling-Ausschuss werden.“ Die beiden Sitze
       wurden bislang von normalen Beiratsmitgliedern besetzt, aber der Beirat
       habe selbst vorgeschlagen, die Plätze für die Jugendlichen zu räumen: „Die
       haben jetzt gemerkt, dass wir in der Vergangenheit nicht ernst genommen
       wurden“, sagt Saskia. Dafür macht sie nicht zuletzt die Freizi-Besetzung
       verantwortlich. Auch Yuri sagt: „Es scheint angekommen zu sein, dass das
       hier eine politische Sache ist.“
       
       ## Kochen, putzen, einkaufen, lernen
       
       Das demonstrieren die Jugendlichen auch durch die Ernsthaftigkeit, mit der
       sie den Freizi-Alltag bestreiten: Mindestens ein Volljähriger ist immer vor
       Ort. Während der Schulzeit müssen die „Lücke-Kinder“ um 22 Uhr ins Bett,
       neben den normalen Mahlzeiten bekommen sie auch Essenspakete für die Schule
       mit. Jetzt, in den Osterferien, wird bei den Schlafenszeiten zwar ein Auge
       zugedrückt, aber es muss trotzdem geputzt, gekocht und eingekauft werden –
       ganz zu schweigen von der Gestaltung des Freizeitangebots: „Wir malen
       Ostereier an, veranstalten Spieleabende, machen Ausflüge an den Werdesee
       zum Grillen“, erzählt Melissa. Einzig die geplante Oster-Ferienfreizeit ist
       ins Wasser gefallen.
       
       Platz für die provisorischen Schlafstätten ist im großen Jugendhaus genauso
       vorhanden wie eine voll ausgestattete Küche, Toiletten, Waschbecken und
       Rückzugsmöglichkeiten. Bloß eine Dusche hatte das Freizi nie – also haben
       die Jugendlichen kurzerhand selbst eine gebaut, in den Hinterhof, direkt an
       den Regenwasser-Ablauf. Dort haben sie aus bunt bemalten und besprayten,
       übermannsgroßen Spanplatten eine Duschkabine errichtet, Wasser kommt aus
       einem verlängerten Gartenschlauch. „Den haben wir in der Küche
       angeschlossen, damit man warm duschen kann“, sagt Melissa.
       
       Telefonisch halten die volljährigen Jugendlichen Kontakt zum DRK, zum Amt,
       zur Kontaktpolizei, den „ausgesperrten“ Freizi-PädagogInnen „und natürlich
       zu den Eltern“, sagt Yuri. Die stünden mehrheitlich hinter den
       BesetzerInnen: „Sie vertrauen uns und wissen, dass wir uns an ihre Regeln
       halten.“ Die jüngeren Kinder begreifen Sinn und Zweck der Besetzung
       freilich oft nicht: „Viele denken, dass sie nun für immer hier schlafen
       können, dass das ewig so bleiben wird“, sagt Melissa. Damit die
       „Lücke-Kinder“ sich nicht allzu sehr an das Abenteuer gewöhnen, werden sie
       einmal in der Woche für eine Nacht nach Hause geschickt. „Das ist auch für
       uns wichtig – zum Durchatmen“, sagt Yuri.
       
       ## Langer Atem ist nötig
       
       Langen Atem werden die BesetzerInnen möglicherweise brauchen, denn sie
       wollen das Freizi zukünftig entweder selbst verwalten oder einen Träger
       finden, der, so Yuri, „kreativer ist als das DRK“. Weil die Zuschüsse um
       22.000 Euro gekürzt wurden, hatte das einen Freizi-Sozialarbeiter abgezogen
       und die Öffnungszeiten eingeschränkt. „Wir wollen, dass die Kürzungen nicht
       einseitig auf uns lasten, sondern auf die drei großen Jugendeinrichtungen
       in der Neustadt verteilt werden“, sagt Yuri. Außerdem könne man Einbußen
       zumindest teilweise durch Eigenleistungen ausgleichen. „Allerdings wird
       Geld auch in Zukunft ein Thema bleiben“, sagt Saskia, denn die Kürzungen
       seien nur die Spitze des Eisberges; bei gleich bleibendem Etat für
       Jugendarbeit seit 2004 sei der Bedarf stetig gestiegen.
       
       Yuri hat eine Anfrage an den Geschäftsführer des DRK geschickt, „denn wir
       haben gehört, dass es bereit wäre, die Freizi-Verträge zu kündigen“. Das
       will er nun schriftlich haben, „denn vorher wird sich natürlich kein
       anderer Träger ernsthaft für uns interessieren“. Bis die BesetzerInnen eine
       Antwort bekommen, machen sie weiter wie in den letzten drei Wochen. Gerade
       bereiten sie eine Grillparty für Ostersonntag vor. „Wir bleiben solange wie
       nötig hier“, sagt Yuri, „schließlich ist das unser Haus.“
       
       18 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schnase
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Jugendarbeit
 (DIR) Besetzung
       
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