# taz.de -- Immer im Einsatz: Müll, Stadt und Müdigkeit
       
       > Am Sonntag ermittelt Hauptkommissarin Inga Lürsen zum 30. Mal in einem
       > Bremer Tatort. Ihr sieht man die vielen Dienstjahre inzwischen an.
       
 (IMG) Bild: Konturlos in der Abfallbranche: Sabine Postel als Hauptkommissarin Inga Lürsen, Oliver Mommsen als Nils Stedefreund.
       
       BREMEN tzz |Was wäre, wenn die Müllabfuhr einer deutschen Großstadt von
       einer Bande von Knastbrüdern betrieben würde, deren Bewährungshelfer sie
       organisiert hat wie einen Mafia-Clan? Palermo am Weserstrand – daraus
       sollte sich doch ein schöner Bremen-Tatort basteln lassen.
       
       Spektakuläres ist auch nötig, denn im Februar war „Brüder“ mit erstmals
       über 10 Millionen Zuschauern so erfolgreich wie noch kein anderer in Bremen
       produzierter Tatort. Darin ging es um einen kriminellen Clan, dem die
       Polizei erschreckend ohnmächtig gegenübersteht. Darüber wurde eifrig
       debattiert und Innen-Staatsrat Holger Münch erklärte, der Film verbreite
       eine „falsche Botschaft“.
       
       Diese Gefahr besteht bei „Alle meine Jungs“ gewiss nicht. Zwar wird in
       Bremen über die Rekommunalisierung der Müllabfuhr nachgedacht, aber niemand
       wird behaupten, dass die Entsorgungsbetriebe eine kriminelle Vereinigung
       seien. Nein, so realistisch wie man es den Bremer Tatort-Produktionen immer
       wieder nachsagt, ist der anstehende nicht. Nicht einmal von satirischer
       Überspitzung kann man sprechen, so wenig hat „Alle meine Jungs“ mit den
       tatsächlichen Verhältnissen in der Stadt zu tun. Das macht Regisseur
       Florian Baxmeyer auch stilistisch deutlich, wenn etwa die Gang der
       Müllmänner so cool in Zeitlupe auf die Kamera zuschreitet, als wären sie
       „Die glorreichen Sieben“. Hier wird mit Genre-Versatzstücken gespielt – und
       zum Teil auch sehr unterhaltsam.
       
       Durch einen toten Müllmann werden die Kommissarin Lürsen und ihr Kollege
       Stedefreund auf diese verschworene Gemeinschaft aufmerksam – aber selten
       war in einem Tatort der alles in Gang bringende Mord so sehr Nebensache:
       Die drei Drehbuchautoren Erol Yesilkaya, Boris Dennulat und Matthias
       Tuchmann erzählen überladen und bemüht originell, schnell zerfasert die
       Geschichte. „Alle meine Jungs“ ist nicht spannend oder auch nur in sich
       schlüssig, sondern extrem effekthascherisch – da wird dann auch vor einem
       Kalauer wie „Müllionen“ nicht zurückgeschreckt.
       
       Dieser 30. Bremer Tatort mit Sabine Postel, die am 10. Mai gerade ihren 60.
       Geburtstag gefeiert hat, gehört also zu den schwächeren. Postel als
       Hauptkommissarin Inga Lürsen wie auch Oliver Mommsen als Assistent
       Stedefreund bleiben darin seltsam konturlos. Weder die Drehbuchautoren noch
       der Regisseur, der immerhin schon sieben andere Bremer Tatorte inszeniert
       hat, konnten offenbar viel mit ihnen anfangen: Es gibt ein paar Kabbeleien
       unter Kollegen, aber selbst beim Psychoduell mit „Papa“ – den Roeland
       Wiesnekker mit einer gefährlichen Gemütlichkeit spielt – wirkt Postel eher
       lethargisch als energisch. In einem sehr freundlichen Geburtstagsgruß
       nannte die Frankfurter Allgemeine Postel dieser Tage eine „eiserne Lady“ –
       im neuen Tatort wäre Stoneface passender.
       
       Sabine Postel wurde in den 90er-Jahren durch die von Radio Bremen
       produzierte Familienserie „Nicht von schlechten Eltern“ bekannt und hatte
       Gastauftritte in „Das Traumschiff“ und „Lindenstraße“. 1997 spielte sie zum
       ersten Mal Inga Lürsen, alleinerziehend mit einer schon fast erwachsenen
       Tochter, nach sechs Folgen kam Oliver Mommsen dazu. Nach einem schleppenden
       Anfang gab es mit Regisseur Torsten Näder, der auch die Drehbücher schrieb,
       eine erste Hochphase: „Der Schatten“ wurde 2002 für den Grimme-Preis
       nominiert. Im gleichen Jahr schrieb Thea Dorn das Buch für „Der Schwarze
       Troll“, bei dem Vanessa Jopp Regie führte. 2003 widmete die Bild ihre
       Titelseite einem blutigen Fleischerhaken aus „Die Liebe des Schlachters“,
       2005 gab es für „Scheherazade“ den deutschen Fernsehpreis.
       
       Interessant wurden die Bremer Tatorte ab 2009 wieder, als der
       Dokumentarfilmer Wilfried Huismann begann, Themen, die juristisch zu heikel
       für journalistische Arbeiten waren, als Krimi-Stoff zu bearbeiten: So
       entstanden „Schiffe Versenken“ über kriminelle Praktiken in der
       Frachtschifffahrt, „Schlafende Hunde“ über Stasi-Seilschaften und, zuletzt,
       „Brüder“.
       
       Bei traditionell wichtigen internen Nebenplots über das kollegiale
       Verhältnis der Ermittler und deren Familienleben schien dagegen ein toter
       Punkt erreicht zu sein: Über die Jahre hatte Stedefreund mit Lürsens
       Tochter geschlafen, die wurde auch Polizistin und sogar Vorgesetzte ihrer
       Mutter. Was soll da noch passieren? 2013 versuchten die Serienentwickler
       zwei Folgen lang Radikales: Sie schickten Stedefreund nach Afghanistan, wo
       er Polizisten ausbildete, und gönnten der Hauptkommissarin mit dem
       Kriminaloberkommissar Leo Uljanoff (Antoine Monot Jr.) einen neuen
       Kollegen, mit dem sie auch gleich eine intime Beziehung begann. Schon in
       der zweiten Folge wurde Uljanoff dann getötet – er oder Stedefreund, war
       wohl die Frage.
       
       Inzwischen dürfte man diese Entscheidung bei Radio Bremen bereuen, denn
       Monot Jr. hat eine erstaunliche Blitzkarriere gemacht: Als „Tech-Nick“ in
       einer Elektronikmarkt-Werbekampagne wurde er in kurzer Zeit sehr bekannt
       und spielt nun in der Neuauflage der ZDF-Serie „Ein Fall für Zwei“ den
       Rechtsanwalt Benni Hornberg. Mit seinem komischen Talent hätte er dem
       Tatort die dringend nötige Verjüngung bringen können – stattdessen geht es
       für Hauptkommissarin Lürsen langsam Richtung Rente.
       
       ## Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste
       
       15 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wilfried Hippen
       
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