# taz.de -- Der sonntaz-Streit: „Politik ersetzt keine Luftangriffe“
       
       > Isis-Rebellen sind weiter nach Bagdad vorgerückt. Sollte der Westen
       > intervenieren? Ein parteiisches Pro & Contra.
       
 (IMG) Bild: Tritt in Bagdad kein Umdenken ein, könnten gezielte Luftschläge schnell notwendig werden, meint Nahostexperte Guido Steinberg.
       
       JA 
       
       Selten ist so deutlich wie zurzeit im Irak zu beobachten, wie die falsche
       Politik zur Ursache eines militärischen Scheiterns wird. Die nicht mehr als
       einige tausend Mann des Islamischen Staats im Irak und in Syrien (Isis)
       überrannten innerhalb weniger Tage große Teile des West- und Nordwestirak
       und rückten bis kurz vor Bagdad vor. Dies wurde möglich, weil die nominell
       mehrere hunderttausend Mann starken Regierungstruppen entweder flohen,
       desertierten oder sich kampflos ergaben. Offenkundig waren sie nicht
       bereit, für die korrupte, brutale und unfähige Regierung des
       Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki zu kämpfen oder gar zu sterben.
       
       Dabei ist auffällig, dass Isis nur in den sunnitischen Gegenden stark ist.
       Der Schiit Maliki hat die sunnitischen und (vorwiegend von Sunniten
       gewählten) säkularistischen Parteien seit Jahren bekämpft und in den
       Sunnitengebieten Proteste gegen seine Politik niederschlagen lassen.
       Deshalb hat sich der Hass der Sunniten auf die Regierung seit 2012 enorm
       verstärkt und deshalb lösten sich die im Westen und Nordwesten häufig von
       Sunniten gestellten Regierungstruppen beim ersten Angriff von Isis fast
       vollkommen auf.
       
       Eine Verbesserung der Lage wird daher nur dann möglich werden, wenn die
       Zentralregierung ihre Politik der letzten Jahre revidiert und Sunniten und
       Säkularisten an der Macht beteiligt. Die USA sollten die Gunst der Stunde
       nutzen, um diesen Politikwechsel erneut zu fordern. Gelingt es, Maliki oder
       seinen möglichen Nachfolger zu einem solchen Schwenk zu zwingen, sollten
       die USA mit gezielten Luftangriffen auf Isis helfen. Da der Irak nicht über
       Kampfflugzeuge und Drohnen verfügt, wäre diese Unterstützung für einen
       militärischen Erfolg unabdingbar.
       
       Tritt in Bagdad jedoch kein Umdenken ein, drohen der Nordwestirak und Teile
       Syriens über Jahre oder Jahrzehnte staatlicher Kontrolle entzogen zu
       werden. Isis würde dort ein Terrorregime errichten und könnte Angriffe auf
       die anderen Landesteile und Anschläge in den Nachbarländern und in Europa
       planen. In diesem Fall wird es schnell notwendig werden, Isis durch
       gezielte Luftschläge zu dezimieren.
       
       Dabei würde es aber nicht mehr um die Rettung des Irak, sondern nur noch
       darum gehen, die Entstehung eines neuen Epizentrum des internationalen
       Terrorismus zu verhindern, wie es das pakistanische Stammesgebiet
       Waziristan im vergangenen Jahrzehnt war. Eine politische und militärische
       Strategie können diese Luftangriffe nicht ersetzen.
       
       (Guido Steinberg, 40, ist Nahostexperte der Stiftung Wissenschaft und
       Politik) 
       
       ***
       
       NEIN 
       
       Die Frage, ob der Westen im Irak intervenieren muss, ist nicht neu, sie
       wiederholt sich zum zigsten Mal. Was hatte Georg W. Bush 2003 beim
       Einmarsch gesagt? Er wollte Irak zu einem Leuchtturm der Demokratie in der
       Region machen. Die Folgen dieser vom Westen angeordneten Intervention - in
       diesem Falle angeordnet von den USA, Großbritannien und deren sogenannter
       Koalition der Willigen - erleben wir heute: Angst und Zerfall.
       
       Demokratie kann man nicht mit Waffen befehlen. Wir erinnern uns an einen
       der großen Fehler der damaligen US-Politik, als gleich nach der Invasion
       die Auflösung der irakischen Armee angeordnet wurde. Plötzlich standen über
       zwei Millionen Soldaten mit ihren Gewehren auf der Straße. Jeder konnte
       damals im Irak für 200 Dollar eine Waffe kaufen. Deshalb gab es von 2006
       bis 2008 diesen brutalen Bürgerkrieg.
       
       Der Westen und die USA haben daraus nichts gelernt. Heute redet wieder ein
       amerikanischer Präsident von einem Einsatz der Waffen. Und wieder sagt er
       nicht die Wahrheit. Denn was er mit präzisen, militärischen Angriffen
       meint, sind die Ölfelder und die Ölanlagen, die von Isis bedroht oder
       besetzt werden.
       
       Was der Irak heute nicht braucht, ist eine militärische Intervention des
       Westens. Der Westen muss stattdessen politischen Druck auf Maliki ausüben.
       Und Saudi-Arabien und Katar zwingen, ihre finanzielle Unterstützung für
       Isis zu stoppen.
       
       Maliki muss den Weg freimachen. Irak braucht eine Regierung aus
       Technokraten. Sie müssen Zeit haben, mindestens vier Jahre, um das Land
       aufzubauen. Natürlich ist das schwierig, wenn man eine terroristische
       Organisation wie Isis vor sich hat. Man kann sie nur bekämpfen, indem man
       die Menschen wieder für sich gewinnt. Gerade der sunnitische Teil der
       Bevölkerung, in deren Gebiet Isis auf dem Vormarsch ist, fühlt sich
       marginalisiert.
       
       Die Sunniten, die eigentlich in der Minderheit sind, hatten jahrzehntelang
       die Macht, mit Saddams Sturz haben sie diese verloren. Das ist ihr Trauma.
       Sie fühlen sich durch die jetzige Regierung schiitisiert. Man hat im Irak
       nicht verstanden, dass Demokratie nicht nur Macht der Mehrheit, sondern
       auch Schutz der Minderheiten bedeutet.
       
       (Najem Wali, 58, ist Schriftsteller und floh 1980 aus dem Irak nach
       Deutschland) 
       
       ***
       
       JA 
       
       Das schnelle Vorankommen der Miliz Islamischer Staat in Irak und Syrien
       (Isis) in weiten Teile des Iraks bedroht nicht nur die Sicherheit der
       Iraker, sondern auch die des Westens. Die USA, Großbritannien und die
       wichtigen Bündnispartner in Europa und der gesamten freien Welt haben ein
       direktes Interesse an der Zukunft des Iraks. Daran, dass die islamistischen
       Milizen nicht die Macht ergreifen.
       
       Isis-Kämpfer stehen 20 Meilen vor Bagdad und bedrohen dort westliche
       Interessen. Isis ist direkt an al-Qaida angegliedert. Wenn man zulässt,
       dass sie im Irak Wurzeln schlagen, werden sie islamistischen Kämpfern einen
       sicheren Hafen bieten. Von dort aus werden sie den Westen attackieren,
       genau wie die Taliban in den Jahren vor den Anschlägen des 11. Septembers
       auf New York und Washington. Mit gutem Grund warnte der Britische Premier
       David Cameron letzte Woche, die Isis-Miliz plane „uns hier im Vereinigten
       Königreich anzugreifen“. Schätzungsweise 500 britische Bürger kämpfen für
       die Terrororganisation im Irak und in Syrien.
       
       Die kurzsichtige Entscheidung der Regierung Obamas, die US-Streitkräfte
       2011 vorzeitig aus dem Irak abzuziehen und amerikanische Stützpunkte im
       Land zu schließen, war ein törichter Zug. Er bot al-Qaida eine Möglichkeit,
       sich nach dem US-geführten Schlag in Syrien zu sammeln und wieder in den
       Irak vorzudringen. Unter Präsident Obama hat Washington die Bedrohung durch
       al-Qaida schwer unterschätzt. Die Zeit ist reif für die Vereinigten Staaten
       und ihre Verbündeten, dem Irak gemeinsam zu helfen, Isis zu besiegen und
       gleichzeitig eine iranische Intervention abzufangen.
       
       Washington muss die Kooperation mit Bagdad in der Terrorbekämpfung und den
       Geheimdiensten ausweiten. Der irakischen Regierung müssen wenn nötig Waffen
       und Unterstützung bereitgestellt werden; ebenso der kurdischen
       Regionalregierung, deren Streitkräfte Isis tapfer bekämpfen. Zusätzlich
       muss Druck auf Iraks schiitischen Premier Nuri al-Maliki ausgeübt werden,
       politische Versöhnung mit den sunnitischen und kurdischen Anführern
       anzustreben. Nur so kann eine konfessionsübergreifende nationale Regierung
       geschaffen werden, die stark genug ist, dem Ansturm von Isis zu trotzen.
       
       Die Unterstützung der USA für Bagdad muss unbedingt mit einer klaren
       Haltung gegen Teheran verbunden sein, mit einer deutlichen Botschaft
       Washingtons, dass jegliche iranische Intervention im Irak Widerstand
       hervorrufen wird. Irans nukleare Ambitionen dürfen nicht geduldet werden.
       Kompromisse mit dem Iran über die Zukunft Iraks werden die Freiheit der
       Iraker genau so wenig sicherstellen wie die Sicherheit des Nahen Ostens auf
       lange Sicht.
       
       (Nile Gardiner ist der Direktor des Margaret Thatcher Center for Freedom
       der Heritage Foundation in Washington D.C. / Übersetzung: Ruth Asan)
       
       29 Jun 2014
       
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