# taz.de -- Kolumne Macht: Eine Anmaßung
       
       > Helmut Kohls Ehefrau steht in der Kritik. Doch nicht die Öffentlichkeit
       > entscheidet, was mit dem privaten Erbe des Altkanzlers geschieht.
       
 (IMG) Bild: Maike Kohl-Richter im Vordergrund. Das Bild des Altkanzlers verschwimmt nach und nach.
       
       Die Witwenverbrennung gilt in Deutschland als abscheuliches Ritual.
       Möglicherweise fänden jedoch manche Leute die vorbeugende Verbrennung
       einzelner Frauen sinnvoll, die später vielleicht einmal Witwe werden. Maike
       Kohl-Richter zum Beispiel.
       
       Über die Ehefrau des – lebenden – Altkanzlers Helmut Kohl bricht derzeit
       ein Sturm der Entrüstung herein. Warum? Weil sie nach dessen Tod die
       „alleinige Entscheidungsbefugnis“ über seinen Nachlass haben möchte, wie
       sie in einem Interview sagte.
       
       Das ist unerhört! Das hat es noch nie gegeben! Angehörige, die über ein
       geistiges und materielles Erbe entscheiden wollen! Als „Anmaßung“
       bezeichnet das Spiegel Online. Der ehemalige CDU-Spitzenpolitiker Bernhard
       Vogel weist darauf hin, dass Kohl „natürlich“ mehr sei „als eine
       Privatperson“. Deshalb habe auch die Öffentlichkeit einen Anspruch auf
       seinen „politischen Nachlass“.
       
       Stimmt. Aber es geht bei dem Streit gar nicht um den politischen Nachlass,
       sondern um das private Handarchiv, das der Altkanzler Ende 1998 der
       Konrad-Adenauer-Stiftung übergeben, Jahre später jedoch zurückgefordert
       hat. Übrigens kein ungewöhnlicher Vorgang.
       
       Das Bundesarchiv in Koblenz hat schon mehrfach erleben müssen, dass ein
       Nachlass erst mühsam geordnet wurde und ihn die Erben dann doch lieber
       wiederhaben wollten. Pech. Aber kein Skandal. Im privaten Archiv von Kohl
       finden sich unter anderem Entwürfe der Kanzlerreden mit handschriftlichen
       Ergänzungen. Spannendes Material, ohne Frage. Aber hat „die Öffentlichkeit“
       wirklich „einen Anspruch“ darauf?
       
       Im Spiegel war zu lesen: Sollte sich Maike Kohl-Richter zur „Türhüterin“
       des Kohl’schen Erbes aufschwingen, dann – „so sehen es die meisten in der
       CDU“ – werde eine unvoreingenommene Geschichtsschreibung über den Riesen
       der Christdemokratie „unmöglich“. Ernsthaft? So gering sollte man die Zunft
       der Historiker denn doch nicht schätzen. Es gehört zu ihrem Handwerk,
       verlässliche von weniger verlässlichen Quellen zu unterscheiden.
       
       ## Brandt als Nationalkonservativer
       
       Angehörige sind im Regelfall keine besonders guten Quellen. Natürlich
       bemühen sie sich um Denkmalpflege, natürlich versuchen sie, das Bild eines
       bedeutenden Toten zu schönen. Und selbstverständlich wissen Historiker das.
       
       Man sollte auch die Bedeutung privater Archive nicht überschätzen. Brigitte
       Seebacher-Brandt hat versucht, ihren verstorbenen Ehemann in einen
       Nationalkonservativen umzudeuten. Was viele Anhänger von Willy Brandt zu
       Recht erbitterte. Die Witwe war mit ihren Bemühungen nicht erfolgreich.
       Weil es eben nicht nur Handarchive des Toten gibt, sondern auch
       Aufzeichnungen langjähriger Weggefährten. Die eine allzu subjektive Sicht
       korrigieren können.
       
       Nach allem, was man weiß, scheint der Altkanzler Helmut Kohl trotz
       angeschlagener Gesundheit bei klarem Verstand zu sein. Erst vor ein paar
       Tagen hat er den ungarischen Ministerpräsidenten zum Gespräch empfangen.
       Nun kann man sich mit Recht darüber wundern, warum er ausgerechnet den
       sehen wollte, aber ein Hinweis auf Demenz lässt sich daraus wohl kaum
       ablesen.
       
       Helmut Kohl sagt, dass er ohne seine Ehefrau nicht mehr leben würde. Nichts
       lässt darauf schließen, dass er mit ihrem Vorgehen nicht einverstanden
       wäre. Ist das egal? Hat eine Person der Zeitgeschichte kein Recht mehr,
       über das eigene Vermächtnis zu bestimmen – weil sie eben eine Person der
       Zeitgeschichte ist?
       
       Der Anspruch ist maßlos, den die Öffentlichkeit inzwischen auf prominente
       Persönlichkeiten erhebt. Gemessen an diesem Anspruch sind alle
       Überwachungsmethoden von Geheimdiensten im In-und Ausland harmlos. Auch
       die, die Edward Snowden enthüllt hat.
       
       Übrigens wurde vor Kurzem bekannt, dass Maike Kohl-Richter hohe
       Geldüberweisungen von alten auf neue Konten getätigt hat. Wie wurde das
       eigentlich bekannt? Warum? Wen geht das etwas an? Außer vielleicht die
       Söhne Kohl – aber eben nur die. Oder? Illegal ist das ja alles nicht. Aber
       offenbar gilt es inzwischen als akzeptabel, selbst privateste Handlungen
       öffentlich zu machen. Wir leben wirklich in einer schönen, neuen Welt.
       
       4 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Gaus
       
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 (DIR) Helmut Kohl
 (DIR) CDU
       
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