# taz.de -- Brasilien im Halbfinale: Der Star ist ersetzbar
       
       > Beim Sieg gegen Kolumbien verletzt sich Neymar, das Turnier ist für ihn
       > beendet. Für Brasiliens existenziellen Powerfußball ist er ohnehin
       > verzichtbar. Anders als Hulk.
       
 (IMG) Bild: So lange er spielen kann, hat Brasilien noch alle Chancen: Hulk.
       
       BERLIN taz | Der erste Gedanke lautet selbstverständlich, dass es sich beim
       WM-Halbfinale Brasilien gegen Deutschland am kommenden Dienstag um ein
       episches Spiel handelt. Tut es. Vor allem wird es knüppelhart und das
       womöglich im wahrsten Sinne des Wortes. Felipe Scolaris Selecao hat beim
       2:1 gegen Kolumbien im Viertelfinale von Fortaleza wohl auch den letzten
       Realitätsverweigerern gezeigt, dass das moderne Brasilien eben nicht das
       Leben feiert, sondern das Überleben.
       
       Aus brasilianischer Sicht war der Sieg ein beeindruckender Mix aus
       Organisation, existentieller Power und Psychologie. Die Selecao hat
       Kolumbien mit diesem Mix in der ersten Viertelstunde dermaßen den Schneid
       abgekauft, dass sich die vorher veränderten Rollenbilder beider Teams
       sofort wieder umkehrten.
       
       Kolumbien konnte sich nach einem überzeugenden Turnierverlauf als leichter
       Favorit sehen, aber nach wenigen Minuten war Brasilien wieder Weltmacht und
       Jose Pekermans Spieler waren die Würstchen von jenseits der nordwestlichen
       Landesgrenze. Von diesem psychologischen Twist erholte sich der
       Weltranglistenvierte nicht mehr.
       
       Im Halbfinale wird allerdings nicht nur der gesperrte Kapitän Thiago Silva
       fehlen. Auch Linksaußen Neymar ist mit Lendenwirbelbruch aus dem Turnier
       ausgeschieden, also der Spieler von dem faktisch viel abhängt und
       nationalpsychologisch alles. Es wird sicherlich das dominierende Thema der
       nächsten Tage sein, ob man ohne Neymar Weltmeister werden kann.
       
       ## Neue psychologische Frage
       
       Man wird dann zu dem offiziellen Ergebnis kommen, dass man nun erst recht
       Weltmeister werden muss, um ihm den Sieg widmen zu können. Aber die neue
       psychologische Frage ist, ob das Team und das Land damit vielleicht doch
       noch einen Ausweg aus ihrem lähmenden und destruktiven Zwang zum Titel
       gefunden haben – und ob das befreit oder bereits als Entschuldigung für
       Scheitern abgespeichert ist.
       
       Die Härte des Spiels traf Neymar, aber es war eine Härte, die von den
       Brasilianern ausging und auf sie zurückfiel. Im Grunde war die
       spielentscheidende Härte jene, mit der die Selecao den potentiellen
       kolumbianischen Spielentscheider James ausschaltete und den Spielaufbau
       erstickte.
       
       Wer aber denkt, dass Brasilien ohne Neymar verloren ist, kann dieses
       Viertelfinale auch als Indiz zum Umdenken lesen. Sicherlich ist Brasilien
       2014 ein spielerisch limitiertes oder sich selbst limitierendes Team, das
       auf Neymars Einzelaktionen aufgebaut war. Aber das Spiel entschieden haben
       die anderen Zutaten von Scolari: Physis, Power, Standards und auch
       strategische Fouls. Es ist kein Zufall, dass die beiden Innenverteidiger
       jeweils nach Standards die Tore machten. Thiago Silva nach einem
       Eckball-Zuteilungsfehler von Kolumbiens Abwehr (7.); David Luiz mit einem
       Freistoß, bei dem Torhüter Ospina falsch stand (69.) Der Anschlusstreffer
       von James per Strafstoß kam zu spät (80.).
       
       Die gesteigerte Konsequenz und Power der Selecao führte auch dazu, dass
       Brasilien erstmals eine Halbzeit lang richtig dominant wirkte. Dieses
       Brasilien, das wir gesehen haben, wird eben nicht von Neymar
       personifiziert, sondern von der beeindruckenden, aber auch ins
       slapstickartige tendierenden Physis von Hulk. Versinnbildlicht ist das
       brasilianische Spiel in der Grimasse des Torschützen David Luiz beim 2:0.
       Darin sieht man eine Entschlossenheit, die nichts, aber auch gar nichts
       Spielerisches mehr hat. Es sieht aus, als ob es hier um Leben und Tod
       ginge.
       
       Das ist gespenstisch, und deshalb müssen die Fußballfreunde dieser Welt am
       Dienstag im Halbfinale auf alles gefasst sein. Nur auf eines definitiv
       nicht: Ein schönes Spiel. Wer es mehr will, der wird gewinnen.
       
       5 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Unfried
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Brasilien
 (DIR) WM 2014
 (DIR) Neymar
 (DIR) Fußball
 (DIR) Halbfinale
 (DIR) WM 2014
 (DIR) WM 2014
 (DIR) WM 2014
 (DIR) WM 2014
 (DIR) WM 2014
 (DIR) WM 2014
 (DIR) WM 2014
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die Mannschaft von Jogi Löw: Deutsche Tugenden? Gibt’s nicht!
       
       Die Brasilianer können besser kämpfen, rennen und foulen. Trotzdem soll
       Deutschland wieder das alte sein. Die DFB-Elf braucht Jogi-Fußball.
       
 (DIR) Fehlende Pfiffe bei der WM: Hart, härter, immer härter
       
       Die Schiedsrichter lassen bei dieser WM zu viel durchgehen. Das Foul an
       Neymar im brutalsten Spiel der WM war nur der traurige Höhepunkt dieser
       Entwicklung.
       
 (DIR) Reaktionen auf Neymars Verletzung: Zorn trifft Zúñiga
       
       Seit seinem Foul am brasilianischen Star ist Kolumbiens Zúñiga zur meist
       verabscheuten Person im Land geworden. Sogar Morddrohungen gingen bei ihm
       ein.
       
 (DIR) WM-Aus von Neymar: „Wir werden für ihn beten“
       
       Die Brasilianer reagieren geschockt und wütend auf Neymars schwere
       Verletzung. Die Fifa hat derweil Ermittlungen ankündigt.
       
 (DIR) Kommentar Deutschland im Halbfinale: Die Kicktruppe
       
       Die deutsche Nationalmannschaft erreicht erneut die Runde der besten Vier.
       Und alle schwärmen vom Torhüter. Ja, hat sich denn seit 2002 nichts getan?
       
 (DIR) WM-Viertelfinale Brasilien – Kolumbien: Brasilien mauert sich ins Halbfinale
       
       In einem zerfahrenen Spiel siegt letztlich der WM-Gastgeber gegen
       Kolumbien. Die Cafeteros können nicht an ihre bisherigen Leistungen
       anknüpfen.
       
 (DIR) Brasilianischer Weltmeister über die WM: „Die Fans machen die Magie“
       
       Das Turnier läuft für Brasilien besser als gedacht, sagt Raí, Kapitän der
       Weltmeistermannschaft von 1994. Es werde ein Motor für Veränderungen sein.