# taz.de -- Kolumne Immer bereit: Ein rosa Bustier auf Bauchhöhe
       
       > Die kleinen Mädchen am Liepnitzsee tragen Minibikini. Nur Tante Berta
       > geht heute noch konsequent FKK baden.
       
 (IMG) Bild: Der Bauchnabel ist das Schlimmste, findet unsere Kolumnistin.
       
       Es gibt tatsächlich noch Menschen, die in Berlin leben und den Liepnitzsee
       nicht kennen. Also nicht „nicht kennen“ – das wäre, als würde man nicht
       wissen, was das Berghain ist. Aber noch nie drin gewesen, das gibt’s.
       
       Meine Freundin Lisa zum Beispiel, die kommt aus Bayern, wohnt in Prenzlauer
       Berg und hat noch nie zuvor in dem ehemaligen Geheimtipp bei Wandlitz
       gebadet. Im Berghain war sie schon, im Gegensatz zu mir.
       
       „Schön hier“, sagt sie und schüttelt sich. Wir stehen bis zum Bauchnabel im
       Wasser und warten, dass wir aufhören zu frieren. Der Bauchnabel ist das
       Schlimmste, finde ich. Ich weiß schon, Männer sind da anderer Meinung.
       
       „Früher waren hier alle nackt“, sage ich und ruckle meinen Bikini zurecht,
       „da war das ganz normal.“ Ich klinge wie meine Tante Berta. Die bildet sich
       heute noch was darauf ein, dass sie konsequent nur FKK baden geht. Sogar
       als sie vergangenes Jahr mit Onkel Manni auf Kreuzfahrt war, hat sie nicht
       eher geruht, als bis sie den Nacktbadebereich an Bord gefunden hatte. „Und
       wo war der“, fragt Lisa, „im Heizraum?“ Ich zucke mit meinen vor Kälte
       zusammengezogenen Schultern.
       
       Kreischende Kinder rennen ins Wasser. Sie haben Minibikinis an. Ein kleines
       Mädchen, circa vier, trägt einen pinkfarbenen Zweiteiler, der ihm
       mindestens zwei Nummern zu groß ist. Das Kind würde doppelt hineinpassen.
       Vermutlich ein abgetragenes Kleidungsstück der großen Schwester. Die
       Trägerchen sind ausgeleiert, die Schleife hinten ist dafür um so enger
       geschnallt. Das rosa Bustier sitzt auf Bauchhöhe und schnürt alles, was
       darüberliegt, bar und gut sichtbar nach oben. Wie ein Korsett. Der Schlüppi
       bauscht sich im Wasser wie eine Pluderhose. Das Kind hat Ähnlichkeit mit
       einer Stoffente. Eine Oma tritt hinzu und will dem Kind die Trägerchen
       zusammenknoten. „Nich!“, sagt das Kind. „Jetzt warte!“, sagt die Oma. Das
       Kind zappelt, die Oma knotet. Als die Oma das Kind entlässt, sind die
       Trägerchen so kurz, dass eigentlich unmöglich noch Blut bis in die
       Kinderfingerspitzen fließen kann. „Kneift“, sagt das Kind und zerrt das
       Bustier wieder nach unten. Der rechte Knoten löst sich. Das Kind rennt
       schnell ins Wasser. Jetzt sind wir auch nass.
       
       Wir schwimmen eine Runde. „Gibt’s in Bayern eigentlich FKK?“, frage ich.
       „Klar!“, sagt Lisa, „Der ganze Flaucher ist eine einzige nackte Gay-Parade.
       Schon seit den 70ern.“ – „Der was?“ – „Der Isarstrand in München.“ –
       „Echt?“, sage ich, „Ich dachte, die Wessis wären alle so prüde. Paul kommt
       aus Oldenburg, der windet sich schon, wenn einer Oma am Strand das Handtuch
       zu klein ist, unter dem sie sich umzieht. Der streitet auch kategorisch ab,
       dass seine Eltern jemals Sex gehabt hätten. Schon gar nicht miteinander.“ –
       „Norddeutsche Protestanten“, sagt Lisa spöttisch, „wir haben früher immer
       nackt gebadet. Wäre auch albern gewesen, am Wildbach im Wald mit
       Badehosen.“ – „Und dann direkt zur Beichte und zehn Vaterunser beten?“ –
       „Nee“, sagt Lisa, „in der Kirche waren wir vorher.“ – „Mhm“, sage ich
       verträumt, „nackte Ministranten.“
       
       „Zeline!“, schallt plötzlich die Stimme der Oma über den See. Im Umkreis
       von 200 Metern gehen alle in Habachtstellung. Die Oma war früher bestimmt
       mal Kindergärtnerin. Breitbeinig steht sie am Ufer und stemmt die Hände in
       die Hüften. „Zeline“, ruft sie, „wo ist dein Oberteil!?“
       
       Das Kind scheint sich von den textilen Fesseln befreit zu haben. Nicht nur
       obenrum. Als wir aus dem Wasser steigen, schwimmt uns ein pinkfarbenes
       Pluderhöschen vor die Füße. Wie zufällig kickt Lisa es ins Gebüsch.
       
       13 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lea Streisand
       
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