# taz.de -- Neues Entscheidung:: Der „Dach-Hai“ hat ausgedient
       
       > Die Dachdecker-Innung darf ihre reisenden BerufskollegInnen nicht länger
       > diffamieren. Damit ist wieder ein Stückchen Gewerbefreiheit
       > zurückerobert.
       
 (IMG) Bild: Dachdecken macht glücklich, man muss es nur dürfen: Jonas Kuckuck in seinem Element, dem Reet.
       
       BREMEN taz | Wären Dach-Haie eine geschützte Spezies, müsste man langsam
       deren Aussterben befürchten. Das Verwaltungsgericht hat nun einen
       wesentlichen Lebensraum dieser seltsamen Fische trockengelegt: die Homepage
       der Bremer Dachdeckerinnung. Dort darf nicht länger pauschal unterstellt
       werden, dass reisende Dachdecker unseriöse Haustürgeschäfte anböten.
       
       Wortschöpfungen wie „Dach-Hai“ gehören seit Langem zum Repertoire der
       Innungen, mit dem sie unliebsame Konkurrenz durch freie Handwerker
       diskreditieren. Doch immer öfter werden sie deswegen erfolgreich abgemahnt,
       so 2012 in Ostfriesland und vorgestern in Bremen. Um eine Verurteilung zu
       vermeiden, verpflichtete sich die Innung in letzter Minute gegenüber drei
       klagenden freien Dachdeckern, derartige Formulierungen von ihrer Homepage
       zu nehmen.
       
       Für Jonas Kuckuck, Reetdachdecker, Kläger und im Vorstand des
       Berufsverbandes der unabhängigen Handwerker und Handwerkerinnen (BUH)
       aktiv, ist dieses sogenannte Anerkennungsurteil ein wichtiger Etappensieg.
       Allerdings fürchtet er, dass die Gegenseite nicht verstehe, um was es
       „eigentlich“ gehe: Die Abkehr von einem „tief verankerten zünftischen
       Denken“, das freies Handwerkertum prinzipiell nicht akzeptieren wolle.
       
       In der Tat erging schon 2007 vor dem Bremer Verwaltungsgericht eine
       ähnliche Entscheidung gegen Handwerkskammer und Innung – was Letztere aber
       nicht davon abhielt, nun wiederum viele Tausend Euro an Verfahrenskosten zu
       riskieren. Diesmal sind im Wiederholungsfall 15.000 Euro pro Kläger fällig.
       
       Darf die Innung derart die Beiträge von 37 Betrieben und 58 weiteren
       Mitgliedern verschwenden? Eine Stellungnahme ist derzeit nicht zu erhalten:
       Der Obermeister macht Urlaub, sein Stellvertreter verweist auf die
       ausstehende Vorstandssitzung: „Vorher sagen wir nichts.“
       
       Der ehemalige Innungs-Obermeister, Lutz Detring, macht hingegen ausführlich
       deutlich, was er von den „schwarzen Schafen“ hält, von denen sich „eine
       Menge auf den Bremer Dächern tummeln“ würden. Schutz vor „Schwarzarbeit,
       Schein-Firmen und Dach-Haien“ böten allein die in der Innung organisierten
       meistergeführten Betriebe. Die anderen „sehen Sie im Schadens- und
       Gewährleistungsfall nie wieder“, so Detring.
       
       Für Handwerker wie Kuckuck, die mit einer Reisegewerbekarte arbeiten, sind
       solche pauschalen Anschwärzungen ein großes Problem – obwohl sie de facto
       mit denselben Verbindlichkeiten wie Angebot, Auftragsbestätigung und
       Rechnung arbeiten wie ihre niedergelassenen Kollegen. Gibt es seiner
       Einschätzung nach tatsächlich „unseriöse Haustürgeschäfte“, vor denen die
       Innung so beredt warnt? „Natürlich gibt es die“, sagt Kuckuck. Allerdings
       gebe es deutlich mehr Meldungen über Dach-Haie als diese selbst. Zudem
       gelte: „Auch Meisterbetriebe können betrügen und Preise überhöhen.“
       
       Bremen hat seit 1893 eine Dachdeckerinnung, die allgemeine Gewerbefreiheit
       ist noch 22 Jahre älter. Allerdings wurde sie 1935 stark eingeschränkt,
       zugunsten der Zwangsmitgliedschaften in Kammern und des Meisterzwangs.
       Letzter ist in vielen Fällen der Grund, warum Handwerker keinen festen
       Betrieb gründen können, sondern mit Reisegewerbekarte arbeiten. Stellen sie
       dabei rein zahlenmäßig eine ökonomische Bedrohung für die Innungsbetriebe
       dar? Das sei eine „zu vernünftige Frage“, meint Kuckuck. Der Innung gehe es
       weniger um konkrete Konkurrenz als um die prinzipielle Verteidigung
       vermeintlicher Privilegien.
       
       Seit vorgestern klafft in dieser Verteidigungslinie ein weiteres Loch. Was
       den freien Handwerkern neben der Anschwärzung durch die Innungen allerdings
       weiterhin zu schaffen macht, sind die immer wieder vorkommenden
       Hausdurchsuchungen samt Beschlagnahmung der Buchhaltung, wegen vermeintlich
       „unerlaubter Handwerksausübung“. Grundlage ist das Gesetz zur Bekämpfung
       der Schwarzarbeit, mit dem übereifrige Gewerbeämter den Freien das Leben
       schwer machen – in aller Regel zu Unrecht. 25 Verfahren wegen
       unrechtmäßiger oder unzulänglich begründeter Hausdurchsuchungen hat der BUH
       bereits erfolgreich bis vor das Bundesverfassungsgericht begleitet. Bis
       sich in Ämtern und Innungen eine unbefangenere Sicht auf die freien
       KollegInnen etabliert, ist es ein zäher Kampf.
       
       Wo der Dach-Hai als Bedrohungs-Topos verschwindet, freut sich ein anderes
       Tier: der Böhnhase. So wurden seit dem Mittelalter die unzünftigen
       Handwerker genannt, die versteckt auf dem Dachboden – „Böhn“ – arbeiteten.
       Die „Böhnhasenjagden“ hatten derartige Ausmaße, dass sie 1850 vom Bremer
       Rat untersagt wurden. Heute nennt sich eine Bremer Gruppe unabhängiger
       Handwerker so – für die der Erfolg vor dem Verwaltungsgericht ein auch
       historisch wichtiger Schritt zur gleichberechtigten Wettbewerbs-Teilnahme
       darstellt.
       
       18 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Henning Bleyl
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Handwerk
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