# taz.de -- Tour-de-France-Sieger Nibali: Der letzte Übermensch
       
       > Sie nennen ihn den „Hai von Messina“. Vincenzo Nibali gewinnt souverän
       > die Tour de France. Seine Leistung wirft allerdings Fragen auf.
       
 (IMG) Bild: Übermensch mit Stofftier: Vincenzo Nibali.
       
       PARIS taz | 16 Jahre nach Marco Pantani hat mit Vincenzo Nibali wieder ein
       Italiener die Tour de France gewonnen. Während dieser Erfolg in der Heimat
       eine ähnliche Euphorie auslöste wie Pantanis Triumph, könnten die
       Unterschiede zwischen den beiden doch kaum größer sein.
       
       Holte sich der „Il Pirata“ genannte Pantani seine Siege vor allem durch
       gewaltige Kletterleistungen am Berg, so erwies sich der „Hai“ lange als
       stoischer Sekundensammler auf schwerem und mittelschwerem Parcours. Nibali
       war sich nicht zu schade, zwei knappe Sekunden auf das Hauptfeld in
       Sheffield herauszufahren und früh das Gelbe Trikot zu übernehmen. Diese
       zweite Etappe offenbarte bereits die zwei größten Qualitäten des
       29-jährigen Sizilianers: Widerstandsfähigkeit und Renninstinkt.
       
       Nibali missachtete dabei eine eherne Regel bei Rundfahrten: Hole nie zu
       früh die Führung, denn deine Mannschaft wird daran kaputtgehen, sie zu
       verteidigen. Astana kriselte denn auch in den Alpen und teilweise auch in
       den Pyrenäen. Aber in diesen Momenten war der Kapitän stark genug, allein
       das Steuerrad zu halten. Ihm kam freilich entgegen, dass im Hochgebirge
       seine gefährlichsten Gegner, Chris Froome und Alberto Contador, nicht mehr
       im Rennen waren.
       
       Paolo Slongo, der Trainer Nibalis, ist die zentrale Figur im Hintergrund.
       Seit 2008, damals noch im Rennstall Liquigas, betreut er Nibali. Dessen
       „großen Motor“, also starke Sauerstofftransportfähigkeit des Blutes,
       erkannte er schon damals. Wie hoch diese „VO2max“ genannte Schwelle bei
       Nibali ist, will Slongo nicht verraten. Falls der Wert doch einmal
       publiziert wird: 85 ml Blut pro Kilo Körpergewicht pro Minute gelten im
       Radsport als oberste Grenze.
       
       Jean-Christophe Peraud, der als Gesamtzweiter neben Nibali auf dem Podium
       in Paris stand, hat laut Messungen des Leistungsdiagnostikers Antoine Vayer
       diesen Wert. Lance Armstrong konnte in austrainiertem Zustand über 81,2
       ml/kg/Min. verfügen. Das ging aus einer Studie des texanischen
       Sportwissenschaftlers Edward Coyle aus dem Jahr 2005 hervor. Je kleiner
       diese „Kubikzahl“ des Rennfahrermotors ist, umso mehr muss am „Kraftstoff“
       gearbeitet werden, um die gleiche Leistung zuzuführen. Blutdoping setzt
       diese physiologischen Schwellen außer Kraft.
       
       ## Kontinuierlich gewachsen
       
       Im Gegensatz zu Armstrong, der nach seiner Krebserkrankung mit komplett
       überholtem „Motor“ und vor allem neuem Epo-„Benzin“ in den Rennzirkus
       zurückkam, wuchs Nibali kontinuierlich. Bereits 2007 absolvierte er seine
       erste große Rundfahrt, 2008 erfolgte das Tourdebüt. 2010 half er erst dem
       nach einer Dopingsperre zurückgekehrten.
       
       Ivan Basso zum Giro-Sieg, um im Herbst selbst die Spanienrundfahrt zu
       gewinnen. Bereits da galt er als Kandidat für das Tourpodium. Er bestätigte
       diese Prognose 2012 mit dem dritten Platz in Paris, gewann im Jahr darauf
       den Giro und konzentrierte sich in dieser Saison ganz auf die Tour.
       Gemeinsam mit Slongo arbeitete er hierfür auch an seiner letzten Schwäche,
       dem Antrittsvermögen in den Bergen.
       
       Diese neue Stärke spielte er in Hautacam aus. Verglichen mit Pantani, der
       sich 1994 noch von Miguel Indurain und Luc Leblanc einfangen ließ, teilte
       Nibali seine Kräfte besser ein. Allerdings fuhr er sich auf der Etappe in
       den Dopingverdacht: Seine kalkulierte Wattzahl lag mit 428 an diesem Tag
       erstmals sehr deutlich über der mit 410 Watt bezifferten Nichtdopinggrenze.
       Wegen seiner Leistung am Freitag ist Nibali für Vayer daher auch der
       „letzte Übermensch der Tour de France“. Zum Ende der Rundfahrt wurde der
       „Hai von Messina“ dem Piraten dann doch wieder ähnlicher als gedacht.
       
       27 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tom Mustroph
       
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