# taz.de -- Richtungswechsel statt Einbahnstraße: Die Grenzen im Kopf umdrehen
       
       > Der Zugvögel e. V. holt junge Menschen aus Uganda, Nepal oder Ecuador für
       > Freiwilligendienste nach Deutschland – zum Beispiel Jennifer Alanyo an
       > die Bremer Kischu.
       
 (IMG) Bild: Kischu-Köpfe. Einer ist von Jennifer Alanyo.
       
       BREMEN taz | Drei Jahre lang hat Jennifer Alanyo Entwicklungszusammenarbeit
       studiert, jetzt steht sie fast 6.000 Kilometer Luftlinie von zu Hause
       entfernt in der wuseligen Schulküche ihrer Einsatzstelle und pult die Kerne
       aus gehäuteten Tomaten, rotes Tomatenwasser spritzt auf die grüne
       Kochschürze. Das Mittagessen für die Kinder muss in einer Stunde fertig
       sein, heute gibt es Tomaten-Melonen-Salat. „Also, das ist wirklich
       seltsam“, sagt sie und muss ein wenig lachen, „Tomaten-Melonen-Salat. Warum
       isst man sowas?“
       
       In ihrem Einsatzland wundert sich Jennifer über vieles. Ständig rauchen
       Männer und Frauen in der Öffentlichkeit, manche lassen ihre Hunde bei sich
       im Bett schlafen und zum Abendessen gibt es Brot, das irgendwie säuerlich
       schmeckt, fast verdorben.
       
       Jennifer kommt aus Gulu, einer kleinen Stadt im Norden Ugandas. Die
       29-Jährige mit den kurzen Dreads und der warmen, ruhigen Stimme ist nach
       Bremen gekommen, um hier ein Jahr mit dem Bundesfreiwilligendienst in der
       Kinderschule (Kischu) zu helfen, einer alternativen Modell-Grundschule mit
       vielen Inklusionskindern. Seit sechs Monaten trocknet sie hier Tränen,
       kitzelt Bäuche, singt englische Lernlieder, faltet Papierflieger,
       korrigiert Mathe-Pyramiden.
       
       Damit ist Jennifer noch eine Ausnahme, denn lange Zeit waren
       Freiwilligendienste deutsche Einbahnstraßen: Allein mit dem
       „Weltwärts“-Programm des Bundesministeriums für wirtschaftliche
       Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) strömen jährlich rund 3.500 deutsche
       Freiwillige in Länder wie Uganda, Laos oder Ecuador. Doch dass auch
       Menschen aus diesen Ländern nach Deutschland kommen, um zu helfen und zu
       lernen, war offiziell nicht vorgesehen.
       
       Der Verein „Zugvögel“ hat das geändert. Gegründet haben ihn 2011 ehemalige
       Freiwillige, die es ungerecht fanden, dass sie als Deutsche durch Programme
       wie „Weltwärts“ noch weiter privilegiert wurden, während Europa für alle
       anderen eine legal kaum betretbare Festung blieb. Seit 2012 holen sie
       Freiwillige aus Nepal, Ecuador oder Ruanda für ein Jahr nach Deutschland,
       die dann zum Beispiel in Behindertenwerkstätten, auf Demeter-Höfen oder
       eben in Inklusionsschulen arbeiten. Ihr Beispiel wirkt: Im Februar startete
       auch das BMZ eine Süd-Nord-Variante des „Weltwärts“-Programms, nach eigener
       Aussage auch als „Reaktion auf kritische Stimmen“.
       
       Jennifer ist die siebte Freiwillige, die durch die Zugvögel nach
       Deutschland kam. Die Tomaten hat sie fertiggepult, sie sitzt jetzt mit
       fünfzig durcheinanderplappernden Kindern im Essraum. Mit ihr hat die Kischu
       einen Ruhepol gewonnen, geduldig schaufelt sie einem Zweitklässler einen
       Berg Salat auf den Teller.
       
       Doch hierher zu kommen war erst einmal gar nicht so einfach. „Ein Jahr lang
       musste ich um das Visum kämpfen“, erinnert sie sich, in ihre Einsatzstelle
       kam sie mit einem halben Jahr Verspätung: „Deutschland hatte Angst, ich
       könnte nach meinem Freiwilligendienst bleiben wollen.“ Geklappt hat es mit
       ihrem Visum am Ende nur, weil der Schulleiter der Kischu die Telefondrähte
       der Republik heißtelefonierte.
       
       Probleme wie diese gibt es bei dem Reverse-Programm immer wieder. „Es löst
       zwar Grenzen in den Köpfen, doch reale Grenzen aus Einreisebestimmungen und
       institutionellem Rassismus lassen sich nicht so einfach aus dem Weg
       räumen“, meint die 23-jährige Michaela Kern, eine Berliner Studentin der
       Afrika- und Asienwissenschaften. Sie hat „Weltwärts“ in Nigeria gemacht und
       ist seit zwei Jahren bei den Zugvögeln. Die Botschaften, sagt sie, seien
       trotz gebuchten Hin- und Rückflugs, Vollstipendiums und
       Bundesfreiwilligendienst-Stelle oft misstrauisch gegenüber den
       ausländischen Freiwilligen. Eine andere Uganderin bekam gar kein Visum, der
       Waldkindergarten in Jena, in dem sie arbeiten sollte, wartete vergeblich
       auf sie.
       
       Dabei sind die Freiwilligen finanziell gut abgesichert: Sie wohnen in
       Gastfamilien, sind versichert und bekommen von ihren Einsatzstellen bis zu
       357 Euro Taschengeld. Lokale Partnerorganisationen übernehmen autonom
       Auswahl und Vorbereitung der Freiwilligen in den Ländern. Und das restliche
       Geld für Flüge, Deutschkurse und Visa trommeln die Zugvögel durch
       Flohmärkte, Spenden und Soli-Partys zusammen. Bis jetzt – die Finanzierung
       wird leichter werden, wenn sie bald mit „Weltwärts“ kooperieren. „Wobei es
       dann für uns immer noch viele Kritikpunkte gibt“, betont Kern.
       
       Bei den Zugvögeln engagieren sich etwa 300 junge Menschen, Bremen hat eine
       sehr aktive Regionalgruppe. Kern betont: „Wir müssen weiter ein Auge darauf
       haben, inwiefern Freiwilligendienste koloniale Bilder reproduzieren. Zum
       Beispiel darauf, wie sie einen Gegensatz kreieren zwischen ’entwickeltem‘
       Norden und angeblich defizitärem, empfangendem Süden.“
       
       Freiwillige wie Jennifer tragen jetzt schon dazu bei, diese Bilder zu
       brechen. „Gastmütter denken auf einmal über Rassismus nach, Kollegen
       bekommen neue Perspektiven“, meint Kern. Jennifer hat noch sechs Monate in
       der Kischu, danach will sie weiter mit Kindern arbeiten: Vielleicht baut
       sie ein Projekt für Bürgerkriegswaisen in ihrer Heimatstadt Gulu auf, oder
       gründet eine Schule. Allerdings: „Tomaten-Melonen-Salat wird es dort nicht
       zum Mittagessen geben.“
       
       27 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Luisa Hommerich
       
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