# taz.de -- Festival auf dem Land: Künstlerisches Schleifen
       
       > Die Sommerlichen Musiktage Hitzacker widmen sich in in diesem Jahr der
       > Verbindung von Musik und Tanz - mit Raritäten.
       
 (IMG) Bild: Zwischen Musik und Tanz passt noch ein Publikum.
       
       Die Grenze zwischen Tanz und Musik? Es gibt keine: Instrumentalspiel ist
       Tanz, der Körper eines Tänzers sein Instrument. „Geigespielen ist für mich
       das Leben“, sagt etwa Carolin Widmann. „Beides hat ja dieses Pulsieren, das
       Ein- und Ausatmen. Insofern ist Geigen für mich Tanz.“ Die
       Profi-Violinistin und Hochschulprofessorin leitet seit zwei Jahren die
       Sommerlichen [1][Musiktage] in Hitzacker, die jetzt zum 69. Mal beginnen.
       
       „Tanz“ lautet in diesem Jahr das Motto des Festivals. Widmann will die
       Grenzen des Tanzbaren ausloten, und dafür eignet sich ein so kleines
       Festival, das Alte und Neue Musik kombiniert mit einem „Festival Walk“
       durch die niedersächsische Elbtalaue. Denn bei diesem Spaziergang kann man
       die Besucher selbst tanzen lassen, zu Irish Folk zum Beispiel.
       
       ## Barock und Zeitgenössisches
       
       Um die Beziehung zwischen Musik und Tanz zu ergründen, kann man auch zu den
       Kammermusik-Ensembles kleine Tanzcompagnien einladen. Da tanzt zum Beispiel
       am kommenden Mittwoch das Bundesjugendballett eine Choreographie des
       Hamburger Ballettchefs John Neumeier zu Beethovens Streichquartett B-Dur
       op. 130. „Eine durchgeistigte, absolute Musik“, sagt Widmann. Da könne man
       kaum auf tänzerische Elemente bauen, sondern müsse ein ganz neues Kunstwerk
       schaffen.
       
       Die Festivalchefin, für ihre Neigung zur Neuen Musik bekannt, mischt auch
       selbst kräftig mit: Am zweiten Festivalabend spielt sie mit dem
       Experimentalstudio des SWR und Mitgliedern der Tanzcompagnie Sasha Waltz
       ein Überraschungsmedley aus Barock und Zeitgenössischem. „Fest steht nur,
       dass wir Boulez ,Anthèmes II‘ spielen werden, bei dem meine Geigentöne
       elektronisch verfremdet und in Loops verwandelt werden, die aus vier
       Lautsprechern den Raum beschallen“, sagt sie. Alles andere werde spontan
       entschieden – auch, ob die Tänzer die Geigerin wirklich quer durch den Raum
       tragen oder schleifen.
       
       Dieses künstlerische Schleifen ist ein interessanter Link zum echten
       Schleifen, Stampfen, Klatschen des Volkstanzes: Der folgte nur wenigen
       Regeln und unterschied sich darin grundlegend vom Hoftanz, wie er um 1580
       aus Italien nach Frankreich kam. Dieser höfische Tanz war ein neu
       erfundenes Bewegungsvokabular, das sich gerade vom „bäurischen Gebaren“ des
       Volks absetzen sollte, sagt die Musikwissenschaftlerin Ulrike Brenning, die
       am Montag im Rahmen der „Hörer-Akademie“ in Hitzacker spricht: „Stampfen
       war bei Hof verpönt, der Oberkörper aufrecht und kontrolliert; die Erotik
       des Volkstanzes wurde gezielt unterdrückt.“
       
       Bis weit ins 19. Jahrhundert bedienten sich die Komponisten in ihrer Musik
       nur der höfischen Tänze: Menuett, Sarabande, Gavotte – von Bach über Mozart
       bis Beethoven haben sie mit solchen Formen gearbeitet, aber niemals mit
       Ländler oder Dreher. Die wurden erst salonfähig, als man sich im Nachgang
       der Französischen Revolution von höfischen Sitten abgrenzen wollte. Chopin
       hat Mazurken, Schumann die in Hitzacker präsentierten „Davidsbündlertänze“
       geschrieben – nicht zufällig zu einer Zeit, als Volkskundler sich neben
       anderem für das musikalische Erbe der „kleinen Leute“ zu interessieren
       begannen.
       
       ## Nicht bloß gute Stimmung
       
       Gespielt werden in Hitzacker auch Raritäten wie Franz Schrekers
       Tanzallegorie „Der Wind“, die der später von den Nationalsozialisten als
       „entartet“ diffamierte Komponist 1908 für die Tänzerin Grete Wiesenthal
       schrieb. Weil die Urversion nicht rekonstruierbar war, kann das Stück nun
       allerdings nicht getanzt werden.
       
       „Muted“ heißt die Choreographie, die Sasha Riva, Jungstar des Hamburg
       Balletts, zu einem Quartett von Peteris Vasks ersann und die – ebenfalls am
       Mittwoch – das Bundesjugendballett aufführen wird: Leben, Einsamkeit und
       Tod, und am Ende verschwinden die Tänzer im Nichts, aus dem sie kamen.
       
       Damit aber nicht genug der Melancholie: Saint-Saëns’ Totentanz „Danse
       Macabre“, Ravels Abschiedstanz „La Valse“ und Beethovens „Eroica“ mit ihrem
       markanten Trauermarsch stehen auf dem Programm. Hätte man die Musiktage da
       nicht auch „Danse Macabre“ nennen können? „Nein“, sagt Carolin Widmann.
       Aber sie wolle eben „nicht einfach nur gute Stimmung verbreiten, sondern
       viele Facetten beleuchten“.
       
       Die Festivalleiterin selbst tanzt übrigens gar nicht. „Ich habe nie einen
       Tanzkurs besucht, weil ich immer zu schüchtern war – und jetzt ist es zu
       spät“, sagt die Musikerin. „Es bleibt mir also gar nichts anderes übrig,
       als auf der Geige zu tanzen.“
       
       28 Jul 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.musiktage-hitzacker.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Petra Schellen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Wendland
       
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