# taz.de -- Bedrohtes Kölner Kunstprojekt: Weltverbesserung unter Druck
       
       > In einer alternativen Idylle in Köln bauen Künstler aus Resten
       > Skulpturen. Jetzt soll das Gelände geräumt werden – für den Neubau des
       > Stadtarchivs.
       
 (IMG) Bild: Das Projekt „Zum Goldenen Leben“ führt auch in ein Erdloch. Noch.
       
       Vor einer 80 Jahre alten Eiche werden die Zuschauer des Theaterkollektivs
       Futur3 zum Zen aufgefordert. Als sie die Augen wieder öffnen, sitzt ihnen
       auf dem Gelände des Eifelwalls 5 in Köln ein Haufen Hippies mit goldenen
       Kleidern und Musikinstrumenten gegenüber, davor reflektiert laut ein Guru
       (André Erlen) über Weltverbesserung.
       
       Wie gestaltet man sein Leben, wenn alle Weichen gestellt scheinen? Doch
       noch aussteigen? Vegan werden – oder reicht schon vierlagiges
       Toilettenpapier, um sich besser zu fühlen? „Zum Goldenen Leben“ des Kölner
       Theaterkollektivs Futur3 will ausloten, welche kleinen und großen
       Lebensentwürfe in der zweiten Lebenshälfte noch bleiben.
       
       Wochenlang haben sie das Stück in öffentlichen „Lagerfeuergesprächen“
       vorbereitet: zu Gast waren Gruppen aus Köln, die Foodsharing machen, eine
       Wirtschaft ohne Wachstum oder mehr Mitgestaltung fordern. Auch Greta
       Taubert war da, die ein Jahr Konsumverzicht zum Bestseller gemacht hat.
       Daraus hat jeder Performer nun eine eigene Antwort destilliert.
       
       ## Ein klaustrophobisches Erdloch
       
       In vier Gruppen von 12 Leuten werden wir über das verwinkelte Gelände mit
       Skulpturen, Baumhäusern, Wohnwagen, einem Küchenzelt mit Holzboden und Ofen
       geführt. Per Leiter erfolgt ein Abstieg durch eine Luke in ein
       klaustrophobisches Erdloch. Innen wird auf Video ein Aquarium gezeigt.
       Performerin Irene Eichberger versucht darin verzweifelt, sich an einem
       Zehnmeterbrett festzuhalten – bis sie dann doch fällt. Wie eng liegen
       Höchstes und Niedrigstes zusammen, denkt man, während man in der Erde
       kauert.
       
       Wieder oben landen wir auf golden bespannten Matratzen und können
       entschleunigt in den Himmel gucken – oder auch zum Betonmonster
       Justizzentrum, das wie ein düsteres Menetekel auf das „ParaDies“
       herabschaut. Über Kopfhörer erzählt eine Stimme von der Naturerfahrung der
       Vogelbeobachtung. Vor leeren Ikea-Regalen spricht Stefan Kraft dann von
       seinem einst liebevollen Verhältnis zu den Dingen, als sie noch repariert
       wurden. Und will endlich seine Wohnung entrümpeln.
       
       Antworten findet hier keiner. Nur die idyllische Kulisse mahnt zur Utopie.
       
       ## Kartoffelsuppe und Rotwein
       
       In der „Bibliothek“, einem Zelt mit Sofas und Bücherregalen, trifft man
       endlich auf Sri Ketan Rolf Tepel, der das Bauwagenidyll vor fast neun
       Jahren gegründet hat. Mittlerweile leben hier rund 15 Menschen, sie haben
       eine Tischlerei gebaut, Beete gelegt, bauen Skulpturen aus Müll. Jeder kann
       kommen, jeder passt auf jeden auf, seine Teller muss jeder selbst
       abwaschen. „Christiana in den Anfangszeiten“, sagt eine Zuschauerin, als es
       zum Schluss Kartoffelsuppe und Rotwein gibt.
       
       „Ich bin kein Aussteiger, sondern ein Umsteiger ins echte Leben“, sagt
       Ketan, der, wie er sagt, von dem lebt, was andere wegwerfen. Er begreift
       sein Gelände als „Freien Denkraum“, auf dem jeder willkommen ist. Und dann
       erzählt er, dass er vor einigen Tagen Besuch von der neuen Leiterin der
       Kölner Gebäudewirtschaft bekam. Denn das Gelände überschneidet sich um ein
       paar Meter mit dem Grund für den geplanten Neubau des Historischen
       Stadtarchivs.
       
       Obwohl Ketan, der auf dem Gelände nur geduldet wird, angeblich einst eine
       Nutzung bis Mitte 2015 zugesichert worden war, soll er bis Mitte August
       geräumt haben. Die Stadt scheint leichtfertig einen ihrer wenigen
       alternativen Orte einem starren Baukonzept zu opfern.
       
       ## Hauptstadt der architektonischen Desaster
       
       Der Einsturz des Archivs am 3. März 2009 hat sich zum städtischen Trauma
       entwickelt, am Wiederaufbau hängen hohe Erwartungen. Damals, als ein ganzes
       Gebäude mitten am Tag in ein Erdloch stürzte, obwohl Gutachter schon lange
       vor den Rissen in der Baugrubenwand der Nord-Süd-Stadtbahn gewarnt hatten,
       starben zwei Menschen. 90 Prozent des Archivierten wurden im Brackwasser
       verschüttet. Seitdem galt die Stadt, auch von außen betrachtet, als
       tragische Lachnummer und Hauptstadt der architektonischen Desaster (damals
       war der Berliner Flughafen noch kein Thema).
       
       Dabei wurde kaum eine andere deutsche Großstadt nach dem Krieg so hässlich
       wieder aufgebaut wie Köln. Einer der Höhepunkte der verfehlten Stadtplanung
       ist das erwähnte Justizzentrum neben dem Eifelwall: Hunderte von Metern
       Betonlabyrinth, kaum ein Mensch verirrt sich je hierher, keinerlei Zeichen
       eines urbanen Lebens.
       
       Nur der nahe Kölner Grüngürtel sorgt für Aufatmen. In den 1920er Jahren auf
       Initiative des damaligen Oberbürgermeisters Konrad Adenauers geschaffen,
       ist er die größte Grünfläche Kölns, ein grüner Saum der Innenstadt.
       Bejubelt wurde es, als der 2012 mit Bürgerbeteiligung entstandene
       Masterplan vorgestellt wurde – darin war eine Erweiterung des Grüngürtels
       bis zum Rhein vorgesehen.
       
       ## Blockarchitektur statt durchlässiger Parkrandbebauung
       
       Doch genau die ist jetzt bedroht – ebenso wie die Idylle von Ketan Tepel.
       Wenn Archiv und ein neues Justizzentrum gebaut werden, droht eine der
       wichtigsten Verbindungsadern des Parks abgeklemmt zu werden, mit plumper
       Blockarchitektur statt durchlässiger Parkrandbebauung. „Nach den Plänen der
       Stadt wird der Grüngürtel auf weniger als 80 Meter schrumpfen“, rechnet
       Stadtplaner Volker Becker vor.
       
       Dass der Abriss der Künstlerkolonie plötzlich ein Jahr vorverlegt wurde,
       mitten in die Sommerferien, unterstreicht den destruktiven Charakter der
       Maßnahme, zumal es noch keine Anpassung der Archivplanung mit dem neuen
       Justizzentrum gibt.
       
       Zudem hat das Archiv, das bis 2019 fertig werden soll, bisher noch nicht
       einmal eine Baugenehmigung. Gut möglich, dass da ein Freiraum alternativen
       Lebens geräumt wird für ein jahrelanges Nichts. Vorgekommen ist es schon:
       Trotz vehementen Protests wurde das denkmalgeschützte
       Jugendstil-Barmerviertel mit 381 Wohnungen am Deutzer Bahnhof 2006
       abgerissen, um Köln mit einem ICE-Terminal zur „westeuropäischen Metropole“
       zu wandeln (so der damalige OB Schramma). Heute ist es immer noch ein
       trostloser Parkplatz.
       
       ## Bürgernetzwerk für mehr Beteiligungskultur
       
       Dabei gibt es Alternativen. Volker Becker, der sich in der Bürgerinitiative
       „Innerer Grüngürtel“ engagiert, hat einen Entwurf erarbeitet, der allen
       Projekten am Eifelwall gerecht werden könnte. „Wir wollen, dass die Planung
       neu aufgerollt wird, mit ordentlicher Bürgerbeteiligung“, sagt er.
       Unterstützt wird er durch „Köln mitgestalten“, ein kölnweites
       Bürgernetzwerk für mehr Beteiligungskultur.
       
       Deren Entwurf sieht eine Verschiebung des Standorts für das Stadtarchiv
       vor: „Das würde dem städtebaulichen Rhythmus viel besser entsprechen und
       Kosten sparen“, sagt Becker. Bis zu 200 Meter könnte der Grüngürtel dann
       breit sein, auch für das „ParaDies“ und die Bäume wäre Platz. Axel Rostek,
       stellvertretender geschäftsführender Betriebsleiter der Kölner
       Gebäudewirtschaft, sieht allerdings nicht viele Chancen.
       
       „Es gibt eine klare politische Beschlusslage und einen festen Zeitplan für
       Abrissmaßnahmen und Baubeginn – wir brauchen jetzt die freie Verfügung über
       das Gesamtgrundstück.“ Wenn Tepel am 15. August nicht räumt, dann „werden
       wir leider die notwendigen rechtlichen Schritte für eine Zwangsräumung
       einleiten müssen“.
       
       Wäre es möglich, Ketan, der seit 38 Jahren nicht mehr in einem festen
       Bauwerk gewohnt hat, einen neuen Platz zur Verfügung zu stellen? „Aus dem
       Grundstücksbestand der Gebäudewirtschaft kann ich einen solchen Platz
       jedenfalls nicht anbieten. Im Übrigen würde die Suche nach einem solchen
       Platz als erstes voraussetzen, dass es am 15. August keinen Ärger geben
       wird“, sagt Rostek. Es hört sich wie eine Drohung an.
       
       10 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dorothea Marcus
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Köln
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 (DIR) Peter Sloterdijk
 (DIR) Ausstellung
       
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