# taz.de -- Baubeginn Stuttgart 21: Angebaggert
       
       > In Stuttgart beginnt offiziell der Aushub für die Halle des neuen
       > Tiefbahnhofs. Aber die Proteste gegen S21 reißen nicht ab.
       
 (IMG) Bild: Ob der Baubeginn auch „Baubeginn“ genannt werden darf, ist umstritten.
       
       STUTTGART/BERLIN taz | Es war ein Baubeginn, der keiner sein durfte. Die
       Deutsche Bahn begann am Dienstag mitten in der baden-württembergischen
       Landeshauptstadt mit dem Bau des neuen Tiefbahnhofs, der zum Projekt
       Stuttgart 21 gehört. Dazu entsteht ein Loch, das fast schon ein Tal im
       Talkessel ist: 900 Meter lang, 80 Meter breit, 16 Meter tief.
       
       Aber Nein, diese Aushubarbeiten seien gar kein Baubeginn, teilte die Bahn
       mit. Und schon gar kein Projektstart. Schließlich hätten die Mineure
       bereits 800 Meter Tunnel vorangetrieben, und auf der neuen ICE-Trasse
       Richtung Ulm seien es bereits 6.500 Meter. Es geht also alles seinen
       gewohnten Gang, nachdem auf dem eingezäunten Baugelände für den
       gigantischen Tiefbahnhofstrog seit Monaten gähnende Langweile herrschte.
       
       Der Termin war überhaupt nur bekannt geworden, weil ihn Bahn-Vorstand
       Volker Kefer vor einigen Wochen auf einer Veranstaltung der Stuttgart
       Nachrichten nannte. Mit einer feierlichen Baueröffnung am Herzstück des
       Projekts hatten danach schlicht alle gerechnet – doch die Bahn sah wohl
       ein, dass sich damit kein Staat machen lässt. Im Jahr 2010 gab es schon
       einmal einen inszenierten Baubeginn. Damals gellten die Pfiffe Tausender
       Projektgegner durch den alten Bahnhof, die Aktion geriet zum PR-Desaster.
       Wohl aus dieser Erfahrung heraus gab es nun keine Spur von
       blumengeschmückter Baumaschine, die vor prominenter Festgesellschaft zum
       feierlichen Baggerbiss ansetzte.
       
       Zu sehen gab es jenseits des Bauzauns stattdessen nur normalen Betrieb.
       Rund 700 Stuttgart-21-Gegner setzten sich dagegen diesseits des Bauzauns
       medienwirksam in Szene. Sie hefteten unter den entspannten Blicken einer
       Einsatzhundertschaft der Polizei 130 Protestbanner aus dem inzwischen mehr
       als vierjährigen Widerstand gegen das Bahnprojekt an die Zäune.
       
       ## Teurer und später
       
       Viele Botschaften der Banner, etwa die Warnung vor milliardenschweren
       Mehrkosten, haben sich inzwischen als wahr erwiesen. „Die Bahn bewegt jetzt
       nur ein bisschen Erde“, prophezeit Matthias von Herrmann, Sprecher der
       Parkschützer, die immer noch ein Stopp des Projekte fordern. Hermann meint,
       dass der Bauherrin kein tiefgreifender Durchbruch beim Jahrhundertprojekt
       gelingen wird. Aufsteigendes Grundwasser, eine unvollendete
       Baulogistikstraße, ein komplizierter Dükerbau würden das Projekt weiter
       verzögern und verteuern. Baustart hin oder her. „Murks bleibt Murks“, sagt
       von Herrmann.
       
       Doch der Reihe nach. Offiziell kostet das Projekt derzeit knapp 6
       Milliarden Euro, finanziert haben es Bund, das Land Baden-Württemberg, die
       Stadt und Region Stuttgart sowie die Deutsche Bahn. Eine daran
       anschließende Neubaustrecke bis Ulm kostet offiziell weitere 3,3 Milliarden
       Euro. Doch die Geschichte des Projekts ist bisher die ständiger
       Kostenexplosionen. Derzeit prüft der Bundesrechnungshof nochmals nach – und
       verschiebt die Veröffentlichung der Zahlen ein ums andere Mal.
       Projektgegner rechnen längst mit Kosten jenseits von 8 Milliarden Euro.
       
       Zudem prüft nun selbst die EU-Kommission, ob bei der Finanzierung des
       Projekts alles mit rechten Dingen zugeht. Im Jahr 2002 hatte das Land
       Baden-Württemberg Nahverkehrsleistungen bei der Deutschen Bahn bestellt und
       möglicherweise viel zu viel Geld bezahlt. Matthias Lieb, Landesvorsitzender
       des Verkehrsclubs Deutschland, geht von einer Milliarde aus, das Land
       selbst unter dem heutigen grünen Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne)
       rechnet mit 140 Millionen.
       
       ## Tausende Einsprüche
       
       Auch der Eröffnungstermin des Bahnknotens ist wohl schwer zu halten. 2021
       soll der Bahnhof in Betrieb gehen, wenn alles im Sinne der Bahn laufe,
       sagte Projektsprecher Wolfgang Dietrich. Doch bis heute ist noch nicht
       einmal der sogenannte Nesenbach-Düker angelegt. Er soll den gleichnamigen
       Bach, der unter der Stadt verläuft, unter das geplante Bahnhofsloch führen.
       Schließlich beginnen erst im Herbst die Erörterungen zu dem neuen Bahnhof
       am Flughafen Stuttgart, ohne den das gesamte Projekt nicht in Betrieb gehen
       kann. Es gibt Tausende von Einsprüche, dennoch rechnet die Bahn
       optimistisch damit, im dritten Quartal 2015 die Planfeststellung
       durchzubekommen.
       
       Und es gibt es weitere Unwägbarkeiten: Seit Jahren ist bekannt, dass die
       Bahn zum jetzt begonnenen Bau des Bahnhofstrogs wesentlich mehr Grundwasser
       abpumpen muss, als erlaubt ist. Bis heute liegt dafür keine Genehmigung des
       Eisenbahnbundesamts vor. Die Sache ist delikat, weil Stuttgart im
       Untergrund über sensible Mineralwasservorkommen verfügt.
       
       Trotz des Anstichs des Bautrogs wackelt auch immer noch die Finanzierung.
       Einst hatte Bahnchef Rüdiger Grube den Kostendeckel auf 4,5 Milliarden Euro
       festgelegt, doch das reicht nicht. Die Bahn selbst rechnet mit Gesamtkosten
       von bis zu 6,5 Milliarden Euro. Für die potenziell 2 Milliarden Euro
       Zusatzkosten fühlt sich aber keiner der Projektpartner verantwortlich.
       
       Die Bahn verweist auf eine „Sprechklausel“ im Finanzierungsvertrag von
       2009; damit soll das Land zu einer höheren Beteiligung als den bislang
       zugesagten 930 Millionen Euro bewegt werden. Das Land sieht sich dadurch
       jedoch nicht in der Pflicht. Die große Sorge der Politiker in Land und
       Stadt ist, dass eines Tages wegen Geldmangels eine riesige Bauruine die
       Stuttgarter City verunstaltet. Dazu käme demnächst noch ein ziemlich großes
       Loch.
       
       5 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arzt
 (DIR) Jürgen Lessat
       
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