# taz.de -- Formen des Protests: Voll in die Parade gefahren
       
       > Die berauschende Wirkung von Umzügen spürt man immer seltener. Gedanken
       > zum Protest- und Demowesen anlässlich der Hanfparade in Berlin.
       
 (IMG) Bild: Durch die grüne Brille: Hanfparade, am Samstag wieder in Berlin.
       
       Paraden sind ja eigentlich rundweg scheiße. Seit der schwul-ästhetischen
       Aufwertungsformel „Camp“ aber doch irgendwie interessant. Ich erinnere
       mich, wie man die Alliierten-Parade an der Siegessäule erst
       antimilitaristisch quasi bekämpft hat, aber dann berichteten wir doch immer
       leidenschaftlicher in der taz darüber. Zwar weckte alles Uniformierte nur
       noch Mitleid, aber diese vielen hochgedrillten und vielfarbigen jungen
       Männer in unterschiedlichen Formationen und ihre überraschenden
       Paradedigmenwechsel – das war doch, vor allem bei Sonnenschein, eine schöne
       Abwechslung im langsam langweilig werdenden Westberlin der späten
       Achtzigerjahre.
       
       Sehr schön, aber stellenweise fast schon wehmütig war dann auch die
       Abschiedsparade der Roten Armee an der Wuhlheide mit anschließendem
       Picknick im Park (wo der berühmte Revolutionsreporter und besorgte
       Russenfürchter Ryszard Kapucinski sich bei den Soldaten Wodka auf Vorrat
       kaufte).
       
       Etwa zur selben Zeit kroch drüben – in Kreuzberg – die „Love-Parade“ aus
       dem Keller des „Fischbüros“ ans Tageslicht „Ku’damm“. Dort angekommen und
       mit Verstärkern versammelt, sagte den Veranstaltern dann ein (1) Polizist,
       dass sie als Politparade eine „Demonstration“ seien und wie sie sich
       dementsprechend zu benehmen hätten (Ordner stellen, in Bewegung bleiben,
       eine Abschlusskundgebung abhalten, das Ende und die Auflösung verkünden).
       
       ## Zum 1. Mai die Gewerkschaftsparade
       
       Aber so als wäre er mit diesem ganzen Verordnungsschnickschnack den
       Teilnehmern voll in die Parade gefahren, gab es danach andauernd „echte“
       Paraden. Das Hanfmuseum organisierte (natürlich!) eine „Hanf-Parade“, die
       Technoverächter klaro eine „Hate-Parade“, die Karneval-der-Kulturen-GmbH
       logo eine „Multikulti-Parade“, die Schwulenfunktionäre eine „Gay-Parade“,
       die Gatower und Kladower eine Schützenparade, die immer noch scheiße
       aussehende Bundeswehr eine „Berlin-Parade“ und so weiter. 2015 wird
       erstmalig auch die „1. Mai-Demonstration“ in Form einer
       „Gewerkschafts-Parade“ stattfinden.
       
       Eine berauschende Wirkung haben aber diese Paraden nicht, zumal wenn man
       dabei nur teilnehmender Beobachter ist. Man könnte sogar sagen, dass sie
       heute umgekehrt funktionieren: Der Alltag ist (mitunter) berauschend, die
       Paraden werden dagegen immer langweiliger. Ich bin zudem in der glücklichen
       Lage, mehrere kleinere Revolutionen erlebt zu haben: die Studentenbewegung,
       die portugiesische Nelkenrevolution, den „Tunix-Kongreß“, den
       „S.O.36-Hönkel“, den „Mauerfall“ und das Niederpfeifen der dreist
       „Deutschland, Deutschland über alles“ singenden Kohl/Brandt/Momper-Riege
       vor dem Schöneberger Rathaus – bei dem der SFB das Kunststück
       fertigbrachte, uns anschließend als einig laut gewordenes Volk komplett
       rauszufiltern. Da kam Freude auf.
       
       Das, was wir in der BRD die Massen erfassende Straßenkämpfe nannten, hatte
       jedenfalls jedes Mal, auch wenn es halbwegs friedlich blieb, eine
       berauschende Wirkung. Nicht zufällig hob die Politparole der Sechzigerjahre
       – „Sex & Drugs & Rock ’n’ Roll“ – einzig auf Rauschwirkungen ab. Und das
       Zusammenströmen wütender, aber dafür umso attraktiverer Menschen en masse
       gehört auch dazu.
       
       ## Die Hubschrauber schießen ja gar nicht!
       
       Vor einigen Jahren lernte ich in Mitte vier junge Künstler aus Jakarta
       kennen. Am 1. Mai fragte ich sie, ob sie mit auf die Kreuzberger
       Randale-Demo kämen. Und ob sie wollten. Obwohl sie gerade einen
       Volksaufstand mit tausenden Toten erlebt hatten, enttäuschte und
       verbitterte sie dann aber, was sie hier sahen: „Wir haben die
       1.-Mai-Krawalle nur in kurzen Ausschnitten im Fernsehen gesehen – und
       bewundert, wie dort gekämpft wurde“, sagten sie, „aber jetzt haben wir mit
       eigenen Augen gesehen, dass alles nur ein Spiel ist. Wenn bei uns
       Hubschrauber über einer Demo auftauchen, wird sofort scharf geschossen.
       Hier filmen die Bullen das Geschehen bloß von oben. Das Ganze ist doch ein
       Aufstandsfake!“
       
       Ich gab ihnen in gewisser Weise recht, aber auch zu bedenken, dass man das
       historisch sehen müsse. Auch die taz zum Beispiel war mal berauschend – als
       es noch darum ging, „täglich die Kacke des Seins umzugraben“. Dies habe
       sich nun aber auch in eine Art Fake verwandelt, was man schon daran sehe,
       dass noch die schrecklichsten „Storys“ – aus Nigeria, Tschetschenien,
       Afghanistan, Palästina, Ukraine oder Pankow – stets mit dem Foto eines
       fröhlich grinsenden, mindestens verlegen lächelnden taz-Autors illustriert
       werden.
       
       Im Übrigen fände ich es erschreckend, dass Fernsehbilder sie anscheinend
       mehr berauschen würden als Tränengas. Zwar hieß es einmal „Jeder
       Revolutionär braucht einen Farbfernseher“, aber man dürfe deswegen doch
       seine Einschätzung der Kämpfe nicht aus CNN ziehen.
       
       9 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Helmut Höge
       
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