# taz.de -- Krieg im Osten der Ukraine: Zwischen den Checkpoints
       
       > Unsere Autorin hat wochenlang aus dem ostukrainischen Donezk berichtet.
       > Bis ihr die Raketen zu nahe kamen. Jetzt ist sie geflohen.
       
 (IMG) Bild: Werden sie durchwinken? Oder werden sie schikanieren? Soldaten in der Ostukraine.
       
       Der Krieg ist so eine Sache – er zwingt dich, dein Haus und deine Stadt zu
       verlassen. Irgendwann fragst du dich, ob du dich den bewaffneten Männern,
       die viel zu hasserfüllt sind, um deine Argumente zu hören, noch widersetzen
       kannst. Spätestens dann ist klar, dass du hier wegmusst.
       
       Es gibt mehrere Fluchtwege, die aus Donezk herausführen. Jeder wird von den
       Separatisten kontrolliert. Über diese Checkpoints erzählt man sich in der
       Stadt Legenden wie von mythischen Fabelwesen. Es heißt, dort könne dir
       sonst was zustoßen. Davor haben viele Angst. Die einen glauben zu wissen,
       dass bei den Kontrollen Männer einberufen werden – für die Aufständischen.
       Oder für die Nationalgarde der ukrainischen Armee. Da kommt es ganz auf die
       Version an, die man gerade aufschnappt.
       
       Andere berichten, dass die Separatisten alle Personen herausfischen, die
       ihnen nicht wohlgesinnt sind. Listen mit verdächtigen Personen besitzen sie
       tatsächlich. Wieder andere erzählen, dass Koffer durchsucht und Wertsachen
       abgenommen werden. Uns Donezkern erscheinen alle drei Varianten
       realistisch, denn unsere Wahrnehmung ist vom Krieg angeschlagen. Viele, die
       Donezk verlassen, denken noch einmal über all diese Mythen nach, über die
       Gefahren.
       
       ## Niemand wurde kontrolliert
       
       Der Zugverkehr ist unzuverlässig, jeden Tag werden Stationen geschlossen.
       In den vergangenen Tagen wimmelte es deshalb nur so von Autos, die an jedem
       Fenster die Aufschrift „Kinder“ trugen. Dabei befinden sich längst nicht in
       jedem Auto nur Kinder. Aber bisher scheint der Trick zu funktionieren.
       
       Vor uns fuhr eine ganze Kolonne mit fünf Wagen einfach durch einen
       Checkpoint, niemand wurde kontrolliert. Auch diese Wagen trugen weiße
       Fähnchen und die Aufschrift „Kinder“. Drinnen habe ich nur zwei Kinder
       erkennen können. Auch mit Reisebussen kann man die Stadt noch verlassen,
       auch wenn die Schlangen an der Kasse lang sind. Das hält die Menschen aber
       nicht ab, sich Tickets zu holen.
       
       Die Entscheidung, sein eigenes Haus aufzugeben, ist nie leicht, vor allem
       wenn man weiß, dass es bei der Rückkehr vielleicht nicht mehr stehen wird.
       Die Explosionen rückten aber immer näher an uns heran, Nacht für Nacht.
       
       ## Wir müssen hier weg
       
       Also beschlossen mein Freund und ich, die Stadt frühmorgens mit einem
       Minibus zu verlassen. Davor konnten wir kaum schlafen. Hatten wir den
       Fluchtweg gut genug geplant? Hatten wir alle gefährliche Telefonnummern und
       Apps von unseren Handys gelöscht? Wer etwa den Kurznachrichtendienst
       Twitter nutzt, gilt den Separatisten schon als verdächtig.
       
       Die Leute erzählen davon: „Ich habe die Stadt vor zwei Wochen im Auto
       verlassen. Mir wurden nicht viele Fragen gestellt, aber sie haben mein
       Handy durchsucht. Sie tippten Nummern aus ihrer Liste hinein, um zu prüfen,
       ob ich sie zuvor gewählt hatte. Auf ihrer Liste standen zum Beispiel die
       Nummern der Hotline des Inlandsgeheimdienstes der Ukraine und anderer
       Organisationen, die gegen den Terrorismus kämpfen. Sie hatten mich wohl im
       Verdacht, ein Spion zu sein“, sagt Nikita.
       
       Vor allem fragten wir uns immer wieder, ob jetzt wirklich der beste
       Zeitpunkt für die Flucht gekommen war. Sollten wir nicht doch noch ein
       wenig warten? Während wir so haderten, sahen wir einen Feuerschein vor dem
       Fenster. Kurz darauf hörten wir eine Explosion. Der Feuerschweif war
       gradlinig und zielgerichtet. So etwas hatten wir bisher noch nicht gesehen,
       nicht so nah. Jetzt gab es keine Zweifel mehr, wir mussten hier weg.
       
       ## „Sind hier Nazis unterwegs?“
       
       Am Morgen drängten wir uns in den Minibus, der uns aus Donezk bringen
       sollte. Große Reisetaschen versperrten den Weg. Als noch Frieden war, fuhr
       diese Linie die Einwohner von Donezk ans Schwarze Meer, zur Erholung. Dem
       vielen Gepäck nach zu urteilen, verlassen die Passagiere Donezk jetzt für
       einen längeren Zeitraum.
       
       Unser Fahrer kennt sich aus, deswegen fahren wir nicht durch den
       bekanntesten Checkpoint der selbst ernannten Volksrepublik Donezk, wo es
       besonders viele versuchen. Unser erster Kontrollpunkt befindet sich auf
       einer Brücke. Er sieht bescheiden aus. Es gibt nur wenige Bewaffnete, nicht
       sehr viele Sandsäcke, und trotzdem ist das ein Bild, das sich einprägt.
       
       Ein junger Mann, seinem Aussehen nach um die 18 Jahre alt, hält unseren Bus
       an und fragt nach dem Ausweis unseres Fahrers. Der Junge ist nicht groß,
       die Uniform betont nicht sein Männlichkeit, sondern lässt ihn jung und
       verletzlich wirken. Er wirft einen Blick auf den Pass, steckt seinen Kopf
       in den Bus und fragt: „Sind hier Nazis unterwegs?“ Es ist wohl als Witz
       gemeint. Eine Frau antwortet müde: „Nein.“ Wir fahren weiter, zum nächsten
       Checkpoint.
       
       ## Eine seltsame innere Ruhe
       
       Ich muss an das denken, was mir die Aktivistin Lida einmal erzählt hat:
       „Wenn Sie die Stadt mit dem Auto verlassen, fahren Sie nicht über die
       Felder, die sind vermint. Wir waren einige Tage mit dem Auto unterwegs und
       haben den Weg erkundet. Erst die Abschnitte an den Kontrollpunkten der
       ukrainischen Armee sind frei von Minen.“
       
       Ich drehe mich um. Da sind sie noch, die Umrisse von Donezk.
       
       Am nächsten Checkpoint ist mehr los, dort stehen auch mehr Panzer. Die
       Männer in Uniform werfen einen Blick in unseren Bus. Sie halten uns nicht
       an. Wir atmen auf.
       
       Einige Kilometer weiter erscheint dann der erste Checkpoint der
       ukrainischen Armee. Man erkennt ihn an seiner blau-gelben Flagge. Die
       Sandsäcke und Betonplatten sind schon von Weitem zu sehen. Die Separatisten
       im Gebiet Donezk hängen an jedem Kontrollpunkt verschiedene Flaggen auf.
       Mal die der Volksrepublik Donezk, dann die der Region Neurussland oder die
       russische und auch immer wieder die sowjetische mit dem Hammer und der
       Sichel.
       
       Die ukrainische Armee hisst wie gewohnt die ukrainische Flagge. Als ich sie
       an dem Kontrollpunkt erblicke, steigen Emotionen in mir hoch. Seit Beginn
       dieses Krieges bin ich den Anblick meiner eigenen Flagge nicht mehr
       gewohnt. In Donezk gibt es sie nicht mehr. Dass ich hier plötzlich wieder
       die Nationalfarben sehe, kann ich kaum glauben. In diesem Moment empfinde
       ich eine merkwürdige innere Ruhe. Ich habe einen ukrainischen Pass, ich bin
       Bürgerin dieses Landes, und ich habe Rechte. Wer war ich schon in der
       Volksrepublik Donezk?
       
       ## Manche Straßen sind von den Panzerketten zerstört
       
       Am ukrainischen Kontrollpunkt stehen einige gepanzerte Wagen, von
       ausgehobenen Gräben umgeben. Unweit von hier befindet sich ein Lager der
       Armee. Soldaten mit müden Gesichtern sitzen vor Betonplatten und trinken
       ihren morgendlichen Tee. In der Nacht haben sie wahrscheinlich mit
       Ferngläsern den feindlichen Kontrollpunkt beobachtet.
       
       Später, an einem anderen ukrainischen Checkpoint, werfen zwei Soldaten
       einen Blick in den Bus und grüßen uns. Wir sind überrascht. Im Krieg ist
       sonst kein Platz für Höflichkeiten. Wir dürfen weiterfahren.
       
       Manche Straßen sind von den Panzerketten zerstört. In Donezk gibt es aber
       deutlich mehr solcher Spuren der Zerstörung. Ob es daran liegt, dass die
       Separatisten besser ausgestattet sind als die ukrainische Armee? In den
       Straßen flattert jetzt überall die ukrainische Flagge, an den Häusern,
       Autos und Cafés.
       
       Eine Stunde später haben wir den letzten ukrainischen Kontrollpunkt
       überquert. Männer werden hier besonders genau kontrolliert, um zu
       verhindern, dass Separatisten fliehen können. Aus dem Fenster sehen wir
       eine Art Bunker. Nicht weit davon sind Militärzelte aufgeschlagen worden.
       
       Wieder grüßen uns Soldaten und bitten die Männer im Bus, den Pass
       vorzuzeigen. In Donezk hatte man uns ja noch erzählt, ausnahmslos alle
       Männer würden für die Nationalgarde zwangsrekrutiert werden. Die Männer in
       unserem Bus will hier offensichtlich keiner haben. Wir dürfen weiter.
       
       (Übersetzt aus dem Russischen von Ljuba Naminova)
       
       15 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Valerija Dubova
       
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