# taz.de -- Die Wahrheit: Aufstand der Zimmerpflanzen
       
       > Pflanzen gelten allgemein als friedliche Hausgenossen. Womöglich zu
       > Unrecht, wie dieses Tagebuch einer botanisch Verzweifelten zeigt.
       
 (IMG) Bild: Am Morgen von Demo empfangen. Jede Pflanze mit Transparenten in den Zweigen bzw. Stacheln.
       
       ## 16. Mai
       
       Von ungeduldigen Kakteen aus dem Tiefschlaf geweckt. Verlangen ihre
       jährliche Wassergabe. Morgens um fünf? Erinnere sie daran, dass es auf zwei
       Stunden früher oder später auch nicht ankommt. Genüssliches Umdrehen. Im
       Einschlafen noch Getuschel, irgendwas mit „Langschläfer“. Aufsässiges Pack.
       
       ## 17. Mai
       
       Neuerlicher Streit mit dem Ficus: seit Monaten zu hohe Handyrechnungen.
       Ständige Gespräche mit Verwandten in Malaysia. Erwäge Taschengeldkürzung.
       Protest. Erkläre, wo der Hammer hängt. Stilles Schmollen. Ruhiger Abend?
       Mitnichten. Usambaraveilchen wollen Disco veranstalten. („Bitte, bitte!“)
       Begonien seien schon eingeladen. Tolle Taktik. Willige erschöpft ein.
       Ausnahmsweise. Und nur bis zehn. Dann ist Nachtruhe.
       
       ## 18. Mai
       
       Was hat mich bloß geritten? Usambaradisco natürlich aus dem Ruder gelaufen.
       Die ganze Wohnung mit Topferde vollgekrümelt und halbe Küche unter Wasser
       gesetzt. Vergnatzt aufgewischt. Dazu Diskussion mit Mieter unter uns. Ab
       jetzt keine Partys mehr. Muss die Früchtchen besser in den Griff kriegen.
       Nur wie?
       
       ## 21. Mai
       
       Buchhandlung aufgesucht. Einiges über Zimmerpflanzen, aber keine
       Erziehungsratgeber. Nachgefragt. „Verhaltenstherapie für Nacktsamer“ dann
       doch zu speziell. Auch „Traumatologie bei Fallobst“ keine Hilfe.
       Frustriert. Nach Rückkehr Diskussion mit Gummibaum: Angebliches Stalking
       einer Begonie seit der Disco. O-Ton Gummibaum: „Was kann ich dafür, wenn
       die vor meinen Füßen rumtanzt?“ Sehe Begonie scharf an. Madame guckt
       betreten woandershin. Gummibaum: „Siehste.“ Räumliche Trennung wohl
       unumgänglich. Wahrscheinlich wollte Begonie sich nur interessant machen.
       Kindergarten!
       
       ## 22. Mai
       
       Zeitung geblättert. Vielversprechende Anzeige von Gärtnerei. Hingefahren.
       Endlich Hilfe: Man rät mir zu fleischfressenden Pflanzen, die würden
       „richtig durchgreifen“. Fühle mich verstanden und entscheide mich für
       Venusfliegenfalle. Ha!
       
       ## 23. Mai
       
       Aufruhr bei Alteingesessenen durch Neuzugang: Usambaras angeblich
       allergisch gegen Venusfliegenfallen, Ficus will Anwalt anrufen. Kakteen
       einmütig trotzig, sagen aber unisono, „das können wir wuppen“.
       Passiv-aggressives Schweigen beim Gummibaum. Platziere Venusfliegenfalle
       prominent am Südfenster. Gummibaum-Unmut deutlich spürbar.
       
       ## 24. Mai
       
       Am Morgen von Demo empfangen. Jede Pflanze mit Transparenten in den Zweigen
       bzw. Stacheln. „Venus raus“, „Wer Fliegen fängt, frisst auch kleine
       Kinder“. Sogar „Weg mit der faschistischen Bullenpflanze“.
       (Usambara-Handschrift - hätte ich denen gar nicht zugetraut.) Ansonsten
       unheimliche Ruhe. Beschließe, den Tag im Park zu verbringen. (Frische
       Luft!) Wird sich schon alles einrenken.
       
       ## 25. Mai
       
       Von wegen einrenken. Weitere Verschwörung der Pflanzengemeinschaft gegen
       Venusfliegenfalle. Bildung von Arbeitsgruppen (Aufgaben allerdings noch
       unklar) mit Gummibaum als gemeinsamem Sprecher. Forderung eindeutig:
       sofortige Beseitigung der „Fremdpflanze“, wie sie es nennen. Große
       Geschäftigkeit. Gefährdung von Leib und Leben zwar unwahrscheinlich,
       allerdings Venusfliegenfalle vorsichtshalber in der Küche platziert. Kühler
       Kommentar ihrerseits: Protest nicht neu, meist nichts Persönliches. (Anders
       bei Sonnentau: gehäufte Berichte über Mobbingvorwürfe und dauerhaft
       verhärtete Fronten.) Leite ihr eine Fliege zu, die sie munter verspeist.
       Rest des Tages vergeht in Gedanken.
       
       ## 27. Mai
       
       Anarchische Zustände. Hungerstreik-Drohung der Begonien. Erkläre ihnen
       Probleme dieses Vorhabens (Stichwort Machbarkeit). „Egal“, sagt eine
       trotzig. Protest ja auch irgendwie verständlich. Darf mir aber nichts
       anmerken lassen. Gummibaum wünscht Vier-Augen-Gespräch mit mir. Kakteen
       dagegen, wollen Usambaras auf ihre Seite ziehen. Fraktionenbildung. Lage
       immer unübersichtlicher. Mache Küche zum Hauptquartier.
       
       Venusfliegenfalle äußerst belesene und kultivierte Gesprächspartnerin. Bis
       in die Nacht über Theodizee diskutiert.
       
       ## 28. Mai
       
       Venusfliegenfalle befürwortet vegane Lebensweise. Zumindest theoretisch.
       Lange Debatte.
       
       ## 29. Mai
       
       Friedensangebot der Altpflanzen: Versprechen der Usambaras, für
       entstandenen Discoschaden aufzukommen, Vorschlag des Ficus, weniger zu
       telefonieren (wers glaubt, wird selig), und sogar Ansinnen der Begonien,
       sich zusammenzureißen. Bedingung: unverzügliche Entfernung der
       Venusfliegenfalle aus der Wohnung. Verschwörerisches Raunen des Gummibaums:
       „Die passt doch gar nicht zu uns.“ Bedenkzeit erbeten. (Diskussion mit
       Venusfliegenfalle über ethische Fragen der Leihmutterschaft eben erst
       angeschnitten.)
       
       ## 30. Mai
       
       Von Schrei geweckt. Blick ins Wohnzimmer: Fenstersturz einer Begonie.
       Verdammte Dramaqueen. Verlasse augenrollend und unter allgemeinem Heulen
       und Wehklagen den Raum: „unterlassene Hilfeleistung“ und anderes mehr. Als
       General-Buhmann abgestempelt. Lässt mich kalt. Zunächst Kaffee und
       Unterredung mit Venusfliegenfalle. Will die Bande schmoren lassen. Dann mit
       Handfeger und Kehrblech zurück ins Wohnzimmer. Von Vorwürfen empfangen.
       Theatralisches Wimmern der Begonie. Aggressive Solidaritätsbekundungen der
       anderen. Erkläre zeternden Herrschaften lange bekannte Tatsache: Überleben
       von Begonien im Notfall mehrere Stunden ohne Topf möglich. Peinliches
       Schweigen. Wiedereintopfen der murrenden Begonie.
       
       ## 31. Mai
       
       Weiter Schweigen. Luft im Wohnzimmer zum Schneiden. (Wie schaffen die das
       nur?)
       
       ## 2. Juni
       
       Heute zwei Briefe im Kasten. Luftpost an Ficus aus Malaysia (hoppla,
       ernsthafte Bemühung, weniger zu telefonieren?).
       
       Schreiben vom Grünflächenamt: Es gebe wohl „Vorfälle“ bei mir, denen man
       beim Besuch eines Sachbearbeiters nun „nachgehen“ müsse. Schlägt nun Stunde
       der Wahrheit? Ausquartierung der Venusfliegenfalle wegen Forderungen der
       Altpflanzen unausweichlich? Aber Diskussion mit ihr in jeder Hinsicht große
       Bereicherung: Verzicht überhaupt möglich? Aaaarghhhh!
       
       ## 3. Juni
       
       Sehr schlecht geschlafen. Wieder zur Gärtnerei. Geschäftsführer empfiehlt
       Kurs: „Gewaltfreie Kommunikation mit Pflanzen“. Verweise auf Zeitnot; man
       wisse ja nie, wann Amt vor der Tür steht. Neuer Vorschlag: Mediation.
       Angeblich begeisterte Rückmeldungen von Pflanzengemeinschaften. Bingo.
       Termin mit Mediator gleich für morgen vereinbart. Pflanzen bei Ankündigung
       skeptisch. Venusfliegenfalle, stets gut informiert, warnt vor Scharlatanen.
       
       ## 4. Juni
       
       Chaos, Mediator inkompetent und überfordert, lässt nicht ausreden.
       (Mundgeruch!) Auf Nachfrage kleinlaute Antwort: Ex-Drogerieverkäufer, der
       Wochenendseminare belegt hat. Ausgiebig gelacht, Mediator gemeinsam aus der
       Wohnung geworfen. Aufgekratzte Stimmung, Durcheinandergerede. Gummibaum und
       Begonien intonieren „Ein Freund, ein guter Freund“, alle stimmen ein. Ficus
       und Kakteen beeindruckt vom Alt der Venusfliegenfalle. Auch Usambarastimmen
       hübsch. Am Ende Umarmungen und Küsschen. Angeregtes Gespräch von
       Venusfliegenfalle und Gummibaum über Souldiven der 80er. Extraportion
       Dünger für Pflanzen, Schnaps für mich. Tiefes Durchatmen.
       
       23 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tanja Küddelsmann
       
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