# taz.de -- Besuch im ukrainischen Lemberg: Ersehnte, gefürchtete Rückkehr
       
       > Dem Echo der schweren Kämpfe im Osten der Ukraine begegnet man auch in
       > Lemberg. Der Krieg ist im Westen des Landes angekommen.
       
 (IMG) Bild: Lemberg, 19. August 2014: Die Särge getöteter Soldaten treffen am Flughafen ein
       
       LEMBERG taz | Die viel befahrene Ausfallstraße führt vierspurig
       schnurgerade nach Süden, am Monument für sowjetische Soldaten und am
       Stryjski-Park vorbei. Am Rande des Parks, dort, wo die ersten Plattenbauten
       beginnen, erstreckt sich ein Militärgelände. Ein riesiger Appellplatz,
       dahinter Kasernen. Das Gelände, das in der Zwischenkriegszeit erschlossen
       wurde, als Lemberg Teil Polens war, gehörte zunächst dem SC Pogon.
       
       Seit Ende des Zweiten Weltkriegs wurde es vom sowjetischen Militär genutzt
       und bereits in den 1970er Jahren von der Stadt verschlungen. Bei
       Staatsfesten rollten frisch bemalte Panzer und schweres Gerät aus den Toren
       und machten die ohnehin kaputten Straßen noch ein bisschen kaputter.
       Irgendwo im Gebüsch am Zaun kauerten Fähnriche, um Benzin und Diesel an die
       Autofahrer zu verticken und sich für das Geld Zigaretten zu kaufen. Direkt
       am Zaun in einer Nebengasse stand eine Bude, in der ein paar Säufer Altglas
       und Altpapier sammelten.
       
       Seit der Unabhängigkeit ist die Bude einem modernen Hochhaus gewichen. Auch
       sonst spürt man den Aufschwung. In den Nebenstraßen parken immer mehr
       Autos, ringsherum gibt es kleine Firmen und Geschäfte. Dem Militärgelände
       gegenüber steht ein graues mehrstöckiges Monster, das ursprünglich als
       KP-Zentrale entworfen wurde und nach dem Zusammenbruch des Kommunismus
       lange Jahre als Rohbau vor sich hin rostete. In den späten 90ern wurde es
       endlich fertig gebaut und zum Finanzamt umfunktioniert. Während der
       ukrainischen Revolution haben sich hier im Februar Lemberger Unternehmer
       versammelt, um gegen die Regierung zu protestieren und Steuerzahlungen an
       das Regime Janukowitsch zu verweigern.
       
       An diesem Wochentag haben sich vor den Toren des Militärgeländes wieder ein
       paar Dutzend Menschen versammelt und blockieren die Straße. Ein paar
       Polizisten leiten den Verkehr um. Bis zum Nachmittag hat sich ein
       Riesenstau gebildet. Nach einer echten Barrikade sieht es nicht aus, eher
       nach einer improvisierten Aktion. Ein paar Bordsteine liegen auf der
       Fahrbahn, verbunden durch ein Seil, einige dicke Äste, ein paar Autoreifen.
       „Wir wollen, dass man uns endlich hört!“, sagt eine ältere Frau
       aufgebracht. Maria ist die Mutter eines Soldaten, der mit seiner Einheit in
       Luhansk den Flughafen gegen Separatisten verteidigt. „Wir wollen, dass
       unsere Kinder nach Hause kommen, sie müssen endlich Urlaub bekommen!“
       
       ## Nicht zum ersten Mal Proteste
       
       Auf dem Militärgelände, vor dem sie demonstrieren, ist heutzutage das
       Regiment der Luftlandetruppen stationiert. Seit fast einem halben Jahr
       befindet sich ein großer Teil der Einheit in Luhansk, ständig unter
       Beschuss. Abgelöst wurden die Soldaten bisher nicht – kein Urlaub, keine
       Erholung oder Atempause. Immer wieder haben die Separatisten versucht, den
       strategisch wichtigen Flughafen anzugreifen. Erst vor wenigen Wochen waren
       die Soldaten in einen heftigen Kampf verwickelt, haben eine Abteilung der
       Rebellen vernichtet. Schon damals blockierten ihre Angehörigen die Straße,
       um militärische Verstärkung für die Soldaten zu verlangen.
       
       Gesprächig sind die Demonstranten nicht, man spürt die Anspannung. Den
       Fernsehkameras zeigen sie oft den Rücken. Den Gesprächsfetzen kann man
       entnehmen, dass der Kommandeur der Einheit die Forderungen der Mütter
       unterstützt und gerne helfen würde, die Situation aber nicht beeinflussen
       kann.
       
       Für andere kommt jede Hilfe zu spät. Am Abend versammeln sich am Flughafen
       Hunderte Menschen. Links vor dem alten Terminal, einem mit glücklichen
       Arbeitern, Bäuerinnen und Kühen verzierten Gebäude im späten Stalin-Stil
       der 1950er Jahre, ist ein Blechtor zu sehen. Der Terminal wurde nach der
       Fußball-EM im Jahr 2012 stillgelegt, der neue moderne Glasbau liegt ein
       paar hundert Meter entfernt um die Ecke. Vor dem Gebäude parken Leichen-
       und Krankenwagen. Viele Menschen kommen mit Blumen und Nationalfahnen, die
       Angehörigen tragen schwarze Trauerkleidung.
       
       Soldaten stehen Spalier, auf dem Asphalt liegen Blumen verstreut. Das Tor
       ist noch zu, eine Militärmaschine wird erwartet. Sie bringt elf Tote nach
       Lemberg, acht davon haben bei den Luftlandetruppen gedient und waren in
       Luhansk stationiert. Sie sind durch den Beschuss von Katjuschas ums Leben
       gekommen, der Jüngste war erst neunzehn Jahre alt. „Es ist eine Tragödie,
       nicht nur für die Angehörigen. Jeder fühlt sich betroffen“, sagt eine alte
       Frau.
       
       ## Über 700 tote ukrainische Soldaten
       
       Es herrscht Krieg in der Ostukraine, auch wenn dieses Wort offiziell
       vermieden wird. Man spricht lieber von einem Antiterroreinsatz.
       Mittlerweile hat er mehr als 700 ukrainische Soldaten und Polizisten das
       Leben gekostet, über 2.600 wurden verwundet. Wie viele Separatisten getötet
       wurden, weiß keiner so richtig. Die ukrainischen Quellen geben hier
       tendenziell überhöhte Zahlen an. Die wenigen unabhängigen russischen
       Experten schätzen die Verluste auf über 3.000 Mann, darunter auch viele
       Kämpfer aus Russland.
       
       Für russische Medien ist das Thema tabu, über die toten Rebellen wird nicht
       berichtet. Viele werden nicht mal nach Russland zurückgebracht und in
       Massengräbern in den Feldern der Ostukraine begraben. Ihre echten Namen
       sind unbekannt, ihre Tarnnamen oft ebenso wenig. So stehen Kreuze mit
       angeschlagenen Schildern wie „Soldat Nr. 9“ unter der Sonne in der
       ostukrainischen Steppe.
       
       Immer wieder kommt erneut Nachschub aus Russland – an Waffen und Kämpfern.
       Es ist wie eine Hydra, bei der sofort ein Kopf nachwächst, wenn einer
       abgeschlagen wurde. Auch wenn die ukrainischen Einsatzkräfte die
       Separatisten in den letzten Wochen stark zurückgedrängt haben und diese
       weniger als ein Drittel vom ursprünglichen Gebiet kontrollieren, werden die
       Kämpfe immer heftiger. Seit einiger Zeit mehren sich Hinweise darauf, dass
       auch reguläre Einheiten der russischen Armee in die Ukraine eingedrungen
       sind. Ukrainische Journalisten haben neulich Fotos von zurückgelassenen
       Logbüchern, Waffen und Dokumenten in einem russischen Schützenpanzer
       veröffentlicht.
       
       Das Tor neben dem stillgelegten Terminal öffnet sich endlich, jeder Sarg
       wird von sechs Soldaten getragen, davor geht ein siebter Soldat mit einem
       Foto des Getöteten. Die mit rotem Samt beschlagenen Särge sind von
       Nationalfahnen bedeckt. Eine Militärkapelle spielt einen Trauermarsch.
       
       ## Lieber zum Freiwilligenbataillon
       
       Iwan ist ein etwas untersetzter älterer Mann mit kurzen grauen Haaren. Er
       trägt ein schwarzes Pilotenhemd und eine dunkelgraue Hose. Er hat vor ein
       paar Tagen in Luhansk seinen Enkel verloren. Gesprochen haben die beiden
       das letzte Mal kurz vor dem Tod des jungen Soldaten. Mit Tränen in den
       Augen erzählt Iwan einer Lokalreporterin, wie die Einheit seines Enkels
       unter Dauerbeschuss stand. „Mehrmals forderten sie Verstärkung an, aber
       nichts geschah. Niemand kümmerte sich um die Jungs“, sagt Iwan verbittert.
       Eine halbe Stunde später war sein Enkel tot. Ein Armeesprecher erklärte
       lapidar, die Einheit sei mit BM-21 Grad, bekannt auch als Katjuschas,
       beschossen worden. Zwei Geschosse seien direkt dort eingeschlagen, wo die
       Soldaten sich aufhielten.
       
       Iwan muss vor Zorn kurz den Atem anhalten, als er berichtet, dass die
       Soldaten immer wieder nichts zu essen hatten. „Manchmal mussten sie die
       Einmannpackung für acht Personen teilen und gezuckertes Wasser trinken. Wo
       hat nur die Führung hingeschaut?!“ Die Trauerkolonne setzt sich langsam in
       Bewegung. Viele Menschen bleiben noch am Flughafen. „Wir müssen uns alle
       zusammentun, um den Feind zu besiegen. Niemand weiß, wie lange es noch
       dauern wird“, sagt eine Frau. Sie habe keinen Sohn, mache sich aber große
       Sorgen um das Land.
       
       Auch Kateryna macht sich Sorgen um das Land. Vor allem aber um ihre zwei
       Töchter und ihre zwei Schwiegersöhne – den aktuellen und den zukünftigen.
       Der eine, Mychajlo, hat gerade einen Einberufungsbescheid bekommen. Ob er
       tatsächlich eingezogen wird, ist noch nicht gewiss. Wenn, würde er sich
       viel lieber bei einem Freiwilligenbataillon melden. Die sind zwar nur
       leicht bewaffnet, stehen aber in dem Ruf, mit ihren Männern sorgsamer
       umzugehen. Auch ihre Finanzierung und Versorgung gilt als besser,
       Entscheidungen werden schneller getroffen. Selbst bei der Nationalgarde,
       die dem Innenministerium untergeordnet ist, sind die Entscheidungswege
       wesentlich kürzer.
       
       ## Spenden für die Truppen
       
       Grundsätzlich ist man überall auf Spenden und Hilfe von Freiwilligen
       angewiesen. Sie bringen Medikamente, Trinkwasser, Lebensmittel, Zelte,
       Kevlarhelme, Nachtsichtgeräte, kugelsichere Westen, Liegematten, Stiefel,
       Unterwäsche, Geschirr und alles Notwendige für das Überleben. „Ohne den
       Einsatz der Freiwilligen wären unsere Soldaten längst verloren“, meint
       Kateryna, die selbst mehrmals für die Truppen im Osten gespendet hat. Die
       Armee mit ihrer Bürokratie könne nicht schnell genug auf den Bedarf
       reagieren.
       
       Katerynas zukünftiger Schwiegersohn, Roman, dient bei der Polizei. Vor
       Kurzem hat man ihm gesagt, dass Polizisten aus Lemberg in den Osten verlegt
       werden sollen. Eine Wahl hat er eigentlich nicht. Kann er in Lemberg
       bleiben, will er im September heiraten. Wenn nicht, dann müssen sie mit der
       Hochzeit noch etwas warten und hoffen, dass der Krieg im Osten bald zu Ende
       geht und Roman heil nach Hause zurückkehrt. Am Montag sind etwa 20 Soldaten
       der Luftlandetruppen nach Lemberg zurückgekehrt. Sie haben endlich Urlaub
       bekommen. In der Stadt werden sie als Helden gefeiert.
       
       27 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Juri Durkot
       
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       Monate saß, wiederzuerkennen. Ein Besuch im Lemberger „Museum
       Lonzki-Gefängnis“.
       
 (DIR) US-Außenministerium zur Ostukraine: Russland liefert neue Waffen
       
       Laut Informationen der USA stationiert Russland Truppen hinter der
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       Ein Waffenstillstand wurde zwar nicht erzielt. Doch Putin und Poroschenko
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 (DIR) Historiker über Ukraines Unabhängigkeit: „Das Fest ist dieses Jahr ein anderes“
       
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       In Lemberg, im Westen der Ukraine, schwankt die Stimmung zwischen Alltag
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 (DIR) Umzug in die Ukraine: Adieu, Krim!
       
       3.000 Menschen haben mittlerweile die Krim verlassen. Die Familie Sasin
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       Nach dem Sturz Janukowitschs ist in Lwiw vieles anders. Die Polizei ist
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