# taz.de -- Hinrichtungen in den USA: Abschied von der Todesstrafe
       
       > Eklatante Verfahrensfehler und zu Tode gequälte Delinquenten: Der Mythos
       > von der schmerzfreien und sauberen Exekution bröckelt.
       
 (IMG) Bild: Am besten gleich mit rausfegen: elektrischer Stuhl in Huntsville, Texas.
       
       Die USA sind im Begriff, die Todesstrafe abzuschaffen; nicht auf einen
       Schlag, aber doch Schritt für Schritt. Am 24. Juli ordnete die Gouverneurin
       Arizonas, Jan Brewer, an, das dortige Hinrichtungsverfahren genauestens zu
       überprüfen. So lange wird Arizona niemanden mehr im Namen des Rechts töten.
       
       Am Tag zuvor war die Exekution von Joseph Wood III um ein Vielfaches
       grässlicher und grausamer gewesen, als es das Protokoll vorsieht: Qualvolle
       zwei Stunden hatte der Mann nach Luft geschnappt. Dabei soll die tödliche
       Injektion doch ein staatlich verordnetes Sterben gewähren, das einem
       friedlichen Einschlafen und einer medizinischen Operation gleicht, nicht
       einem Akt ultimativer Gewalt.
       
       Früher im Jahr hatten bereits Ohio und Oklahoma, ebenfalls nach
       „misslungenen“ Exekutionen, eine Überprüfung ihrer Tötungsverfahren
       angeordnet und seitdem keine Hinrichtungen mehr vollstreckt. In Arkansas,
       Colorado, Kalifornien, Kentucky, Louisiana, Montana, North Carolina, Oregon
       und Washington State ist die Todesstrafe teilweise seit mehreren Jahren
       ausgesetzt: Entweder wird die Rechtmäßigkeit der Hinrichtungsverfahren vor
       Gericht überprüft, oder die Gouverneure haben ein Moratorium verordnet.
       Bisher ist noch kein Staat von einem solchen Moratorium zum business as
       usual zurückgekehrt.
       
       Klare Fakten haben seit 2007 New Jersey, New York, New Mexiko, Illinois,
       Connecticut und Maryland geschaffen: Sie haben die Todesstrafe per Gesetz
       abgeschafft, was über Jahrzehnte als undenkbar galt.
       
       ## Frankreich schaffte die Todesstrafe erst 1981 ab
       
       Die Anfänge dieser Entwicklung vor rund 15 Jahren hatten selbst ExpertInnen
       in den USA mit ungläubigem Staunen beobachtet. In Europa nahm man sie gar
       nicht erst wahr. Zu sehr hatte man sich daran gewöhnt, die Todesstrafe in
       den USA als Zeichen all dessen zu sehen, was in Amerika so anders war,
       obwohl das Land uns zugleich so ähnlich ist: die USA als das einzige Land
       weltweit, dass sich den Werten der Aufklärung verpflichtet sieht und
       trotzdem an der Todesstrafe festhält. Das fügte sich in das Bild des
       schnell schießenden Amerikaners, der Probleme mit Gewalt löst, wie er es
       bei der Eroberung des Westens und in der Sklavenhaltergesellschaft gelernt
       hatte.
       
       In Europa übersah man dabei: Erstens lag das Ende der Todesstrafe auch in
       Europa noch nicht so lange zurück. England hatte sie 1965 abgeschafft,
       Frankreich sogar erst 1981, und zu einem Pfeiler europäischer
       Menschenrechtspolitik war deren Ablehnung erst danach und im Zuge der
       EU-Osterweiterung geworden. Wer Mitglied in der EU sein will, muss die
       Todesstrafe abschaffen – dem kamen die Staaten des ehemaligen Ostblocks
       nach, sodass heute in Europa nur noch Weißrussland an der Todesstrafe
       festhält. Was uns also wie eine unumstößliche Tradition erscheint, ist eine
       junge Entwicklung.
       
       Zweitens hat es auch in den USA von 1968 bis 1977 keine Hinrichtung
       gegeben, und die Todesstrafe war von 1972 bis 1976 sogar per Verfassung
       verboten. Erst im Laufe der 1980er Jahre begannen diverse US-Staaten wieder
       Hinrichtungen zu vollstrecken. Auch die Zustimmungsraten der US-Bevölkerung
       lagen nun bei über 80 Prozent. Dennoch gab es auch zu dieser Zeit
       beträchtliche Unterschiede innerhalb der USA: Neuengland ist nicht der
       Süden, Connecticut nicht Virginia und nicht Texas, wo die meisten
       Hinrichtungen stattfanden.
       
       ## Selbst die Tea Party wird vorsichtig
       
       Um die Jahrtausendwende tauchten in den USA vermehrt kritische Stimmen auf.
       Sie machten die eklatanten Verfahrensfehler sichtbar. Mehr und mehr
       Menschen wurden aus den Todestrakten entlassen, weil es gelang, ihre
       Unschuld nachzuweisen. Eindrücklich taten dies vor allem Studierende der
       Northwestern University in Chicago. Im Fall von Anthony Porter brauchten
       fünf Studierende nur wenige Tage, um dessen Unschuld zu beweisen und das
       Geständnis des wahren Täters zu erwirken. Das Justizsystem hatte dies in 16
       Jahren nicht geschafft. Der damalige Gouverneur des Staates Illinois,
       George Ryan, begnadigte Porter, stoppte alle Exekutionen und wandelte 2004
       alle Todesurteile in Haftstrafen um. Bis dahin hatte der Republikaner die
       Todesstrafe verteidigt.
       
       Fälle wie der von Anthony Porter zeigten als Einzelfall, was systematische
       Studien bestätigten: Die Todesstrafe ist ein broken system. „Broken System“
       ist auch der Titel einer bundesweiten Studie über sämtliche Todesverfahren
       in den USA seit 1973. Wer kein Geld hat, muss sich mit
       PflichtverteidigerInnen begnügen, die schlecht bezahlt und häufig
       unmotiviert sind, auf jeden Fall zu wenig Erfahrung für die hochkomplexen
       Todesprozesse mitbringen. Zudem sind die Posten des Sheriffs und
       Oberstaatsanwaltes in den meisten Bezirken Wahlämter. Wer tough on crime
       ist und viele Todesurteile erwirkt, hat gute Chancen, gewählt zu werden,
       solange die Mehrheit der Menschen für die Todesstrafe ist.
       
       Die Todesstrafe birgt also einerseits politisches Kapital, ist andererseits
       aber mittlerweile nachhaltig als fehlerhaft und diskriminierend
       gebrandmarkt. Dies führt zu so paradox erscheinenden Konstellationen wie
       der, dass sich der liberale Präsident Obama im Grundsatz für die
       Todesstrafe ausspricht, während VertreterInnen der Tea Party bei diesem
       Thema vorsichtiger werden.
       
       ## Versprechen zivilisierten Tötens durch Technisierung
       
       Zweitens begann die Kritik ab 2005 auch wieder deutlicher auf die
       Hinrichtungsweise zu zielen. Das Phantasma, schnell und schmerzfrei
       exekutieren zu können, begleitet die demokratisch-republikanischen
       Gesellschaften seit über zwei Jahrhunderten. In Frankreich versprach die
       Guillotine nicht nur einen gleichen Tod für alle, sondern auch eine kaum
       spürbare Hinrichtung, und in den USA verbietet die Grundrechtserklärung
       seit 1791 „grausame und ungewöhnliche Strafen“. Dies meinte jedoch nicht
       die Todesstrafe an sich, aber doch die Art, wie sie vollstreckt wurde – was
       vor allem im späten 19. Jahrhundert an Bedeutung gewann, als das Streben
       nach technischer Perfektion zu einem Teil des amerikanischen
       Selbstverständnisses wurde.
       
       Der elektrische Stuhl, die Gaskammer und die tödliche Injektion, sie alle
       wurden als Versprechen zivilisierten Tötens durch Technisierung im Namen
       von Fortschritt und Menschlichkeit gefeiert, dann aber als grausam
       verworfen, sobald man meinte, eine humanere, schnellere und sauberere
       Methode zur Verfügung zu haben. Ohne die Einführung der Giftspritze hätte
       die Todesstrafe seit Ende der 1970er Jahre nicht so zurückkommen können,
       wie sie zurückgekommen ist.
       
       Doch auch die Giftspritze steht seit gut zehn Jahren zunehmend in der
       Kritik. ÄrztInnen weisen seit 2005 nachdrücklich darauf hin, dass der
       Giftcocktail von medizinisch inkompetentem Personal verabreicht werde, die
       Verurteilten häufig langsam erstickten und der Tod auf der Liege nur
       deshalb schmerzfrei aussehe, weil ein Muskelrelaxans den Körper äußerlich
       ruhigstellt. 2008 entschied das US-Verfassungsgericht im Rechtsstreit Baze
       v. Rees noch, dass es sich dabei um Einzelfälle handelte, eventuelle
       Schmerzen nicht zielgerichtet verursacht würden und die Giftspritze deshalb
       verfassungskonform sei.
       
       ## Zu Tode gequält
       
       Doch die Kritik blieb und hat nun neue Nahrung erhalten: Das Barbiturat
       Thiopental ist zwar Teil des Giftcocktails, wird heute in der Medizin aber
       kaum mehr eingesetzt und daher von US-amerikanischen Pharmafirmen nicht
       mehr produziert. Europäische Konzerne wollen und dürfen es nicht in die USA
       verkaufen. Also hat man begonnen, äußerst laienhaft mit neuen Mitteln zu
       experimentieren. Das Ergebnis: Verurteilte wurden in Oklahoma, Ohio und
       Arizona zu Tode gequält.
       
       Die Todesstrafe in den USA steht also auf der Kippe. Die Zweifel an den
       Gerichts- und Hinrichtungsverfahren haben zahlreiche US-Staaten dazu
       bewogen, das Töten zu stoppen oder die Todesstrafe ganz abzuschaffen. In
       Kalifornien hat jüngst zudem ein Bundesrichter geurteilt, die Praxis der
       Todestrakte, Verurteilte für viele Jahre in einem Schwebezustand zu halten,
       sei „grausam und ungewöhnlich“ und deshalb verfassungswidrig. Womöglich
       muss man sich bald ein gänzlich neues System von der Anklageerhebung bis
       zur Urteilsvollstreckung ausdenken, das allen verfassungsrechtlichen Tests
       standhält. Dass dies gelingt, darf bezweifelt werden.
       
       Der Haken allerdings ist, dass die Todesstrafe Sache der Einzelstaaten ist.
       Auf einen Schlag im ganzen Land könnte sie nur durch eine Entscheidung des
       Bundesverfassungsgerichts abgeschafft werden, der sich die Einzelstaaten
       allerdings schon aus Prinzip zu entziehen versuchen könnten. Geduld ist
       also gefragt. Denn wenn sich immer mehr US-Staaten von der Todesstrafe
       abwenden, werden Hardliner wie Texas und Florida noch mehr zu Außenseitern.
       Die Frage ist dann, wie lange sie auf einer Strafpraxis beharren können,
       die im Rest des Landes als „grausam und ungewöhnlich“ gilt.
       
       7 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Martschukat
       
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