# taz.de -- Tod im Bruchsaler Gefängnis: Abgemagert bis auf die Knochen
       
       > Im August starb ein Häftling in seiner Zelle in Bruchsal. Er war
       > verhungert. Gegen den Anstaltsleiter und eine Ärztin ermittelt die
       > Staatsanwaltschaft.
       
 (IMG) Bild: Die Justizvollzugsanstalt Bruchsal.
       
       BRUCHSAL taz | Der 1,85 Meter große Mann aus Burkina Faso wog an seinem
       Todestag nur noch 57 Kilo. Am Morgen des 9. August hatten ihn die Wärter im
       Bruchsaler Gefängnis tot in seiner Zelle gefunden. Er hatte das
       Gefängnisessen seit Wochen nicht angerührt, nur Müsli in Leitungswasser
       gegessen. Sein Body-Mass-Index lag bei etwa 16,7 – damit war er extrem
       untergewichtig. In seiner Zelle stank es und er lag die meiste Zeit nur im
       Bett.
       
       Der Fall wurde erst Ende August öffentlich gemacht, nachdem eine anonyme
       Anzeige den Vorwurf erhob, man habe den Mann im Gefängnis verhungern
       lassen. Der Gefängnisleiter wurde vom Dienst suspendiert, damit der Fall
       ohne Einfluss untersucht werden kann. Gegen ihn und eine Ärztin, die den
       Häftling kurz vor seinem Tod gesehen hatte, wird wegen fahrlässiger Tötung
       ermittelt. Das teilte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe diese Woche mit.
       
       Der 33-jährige Gefangene galt in vielerlei Hinsicht als schwierig: Er
       verweigerte nicht nur das Essen, sondern auch alle Angebote des
       psychologischen und ärztlichen Dienstes - er sei „nicht krank im Kopf“,
       habe er insistiert, teilt das Justizministerium mit. Demnach wusch er
       Nahrung und Post unter Wasser ab – es sei vermutet worden, dass er unter
       der Wahnvorstellung litt, man wolle ihn vergiften. Wenn seine Zelle
       kontrolliert wurde, habe er gefesselt werden und eine sogenannte Spuckhaube
       tragen müssen, weil er sonst biss und um sich spuckte. Das
       Gefängnispersonal habe meist nur durch eine Klappe in der Tür mit ihm
       kommuniziert.
       
       Der Mann war wegen Totschlags zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Er
       hatte im März 2011 seiner Lebensgefährtin die Kehle durchgeschnitten.
       Weitere eineinhalb Jahre Haft kamen hinzu, weil er im August 2012 einem
       Wärter im Gefängnis Offenburg einen so heftigen Kopfstoß verpasst hat, dass
       der Mann einen Stirnhölen- und Nasenbeinbruch erlitt und letztlich
       dienstunfähig wurde. Nach dieser Attacke wurde der Gefangene nach Freiburg
       verlegt und in Einzelhaft genommen. Seitdem lebte er isoliert. Im August
       2013 wurde er nach Bruchsal verlegt, wo er genau ein Jahr später starb.
       
       ## Das Gefängnis meldete die Einzelhaft nicht
       
       Wie kann es sein, dass ein Mensch im Gefängnis verhungert, ohne dass etwas
       dagegen unternommen wird? Rechstexperte Bernhard Lasotta von der
       CDU-Fraktion im Landtag Baden-Württemberg verlangte in einer Anfrage
       ausführliche Auskünfte vom Landesjustizministerium. Er vermutet
       „gravierende politische Fehler im Justizministerium“ und kündigte an, den
       Justizminister nächste Woche in einem Landtagsausschuss befragen zu wollen.
       
       In der schriftlichen Antwort des Justizministeriums auf Lasottas Anfrage
       kommen interessante bis belastende Details des Falls ans Licht. Daraus geht
       hervor, dass der Anstaltsleiter den Gefangenen zuletzt ohne Genehmigung in
       Einzelhaft hielt. Das Ministerium hatte angesichts der ausbleibenden
       Erlaubnisanfrage auch nicht in Bruchsal nachgefragt, was mit dem Mann, der
       zwei Jahre lang in Einzelhaft lebte, passiert sei. Justizminister Rainer
       Stickelberger (SPD) sagte gegenüber dem SWR, wenn keine Meldung über
       Einzelhaft mehr erfolgt, „dann gehen wir davon aus, dass die Einzelhaft
       beendet ist“.
       
       Lasotta vermisst eine Kontrollfunktion des Justizministeriums als
       Aufsichtsbehörde. „Besonders beschäftigt uns der Umstand, dass sich das
       Justizministerium nach Januar 2014 nicht mehr um den Fall eines offenbar
       psychisch kranken Menschen in Einzelhaft gekümmert hat.“
       
       Der Anstaltsleiter hoffte offenbar, den heiklen Fall bald loszuwerden. Er
       wollte den Häftling nach Freiburg abgeben, und verhandelte darüber noch
       wenige Tage vor dessenTod. Doch die Freiburger kannten den aggressiven
       Häftling bereits. Sie weigerten sich, ihn zurückzunehmen.
       
       ## Vorwurf aus anonymer Anzeige
       
       Außerdem berichtet das Justizministerium, im Januar 2014 habe ein
       Psychiater dem Anstaltsleiter mitgeteilt, dass der Häftling behandelt
       werden müsse. Von einer Zwangseinweisung habe die Gefängnisleitung aber
       eine Eskalation befürchtet.
       
       Den Vorwurf aus der anonymen Anzeige, man habe den Häftling sehenden Auges
       verhungern lassen, soll der Anstaltsleiter zunächst noch abgewiegelt haben:
       An diesem Vorwurf sei „nichts dran“.
       
       Einzelhaft ist ein Mittel, zu dem relativ selten gegriffen wird. Bei einer
       Stichtagserhebung am 10. September 2014 saßen laut Justizministerium 31 von
       5000 Häftlingen in Baden-Württemberg in Einzelhaft, sechs davon schon
       länger als drei Monate.
       
       2 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lena Müssigmann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Gefängnis
 (DIR) Haftbedingungen
 (DIR) Justizministerium
 (DIR) Psychische Erkrankungen
 (DIR) Hungertod
 (DIR) Tod
 (DIR) Gefängnis
 (DIR) Abschiebehaft
 (DIR) Ramadan
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Justizminister über Strafvollzug: „Die Kontrolldichte wird erhöht“
       
       Nach dem Hungertod eines Häftlings fordert Baden-Württembergs
       Justizminister Rainer Stickelberger eine „neue Aufsichtskultur“ im
       Strafvollzug.
       
 (DIR) Verhungert im Gefängnis: War es fahrlässige Tötung?
       
       In Baden-Württemberg starb ein Häftling, nachdem er sich nur noch von Müsli
       und Wasser ernährte. Er saß in ungenehmigter Isolationshaft.
       
 (DIR) Gefängnistheater ist Bremen: Kein „Bühne frei“ im Knast
       
       Auf einer Gefängnistheater-Tagung diskutierten Fachleute über Kunst mit
       Inhaftierten.
       
 (DIR) Abschiebehaft in Deutschland: Tür an Tür mit Kriminellen
       
       Der Europäische Gerichtshof beanstandet die deutsche Praxis, Flüchtlinge in
       Gefängnisse zu sperren. Doch nicht alle Bundesländer reagieren darauf.
       
 (DIR) Die Montagsreportage: Ramadan im Knast
       
       Fasten ist für gläubige Muslime im Gefängnis ebenso wichtig wie draußen. Es
       ist schwieriger zu organisieren. Für den Häftling Ibrahim wird der
       Fastenmonat einsam.