# taz.de -- Regierungstruppen in der Ostukraine: Frustriert von der Front
       
       > Dima meldete sich zum Kampf gegen die Separatisten im Donbass. Jetzt ist
       > er zurück in Kiew – verletzt und um viele Hoffnungen ärmer.
       
 (IMG) Bild: Bestattung unbekannter ukrainischer Kämpfer in Dnipropetrovsk.
       
       KIEW taz | „Ich bin froh, dass ich endlich zu Hause bin. Ich will nicht
       mehr an die Front.“ In Kiew wird Dima, Kämpfer einer ukrainischen
       Freiwilligeneinheit, wegen einer leichteren Verletzung ambulant behandelt.
       Auf seine Vorgesetzten ist der 20-jährige nicht gut zu sprechen. Doch seine
       Kritik will er nicht unter seinem Namen veröffentlicht wissen. „Wer das
       tut, muss mit einer Versetzung an einen Frontabschnitt rechnen, den man
       lebend nicht mehr verlässt“.
       
       Dimas Einheit war durch einen Angriff mit Grad-Raketen schwer in
       Mitleidenschaft gezogen worden. Glücklicherweise habe er mit einer leichten
       Verletzung überlebt. Direkt neben ihm sei ein Kämpfer getötet worden. Viele
       Kameraden hätten bei dem Angriff alle ihre Habseligkeiten verloren, ihre
       persönlichen Dokumente seien in den Flammen aufgegangen.
       
       Die Zustände an der Front, so Dima, seien katastrophal. Nicht einmal
       Lebensmittel seien ausreichend vorhanden. Von Hygieneartikeln, warmer
       Kleidung und Schuhen ganz zu schweigen. Von dem miserablen Sold könne sich
       niemand selbst versorgen. Kürzlich, erzählt er, bekamen Soldaten und
       Freiwillige neue Winterstiefel, deren Nähte sich schon nach wenigen Tagen
       auflösten. Zunächst schwitze man in diesen neuen Stiefeln, dann wieder sei
       es extrem kalt in ihnen. Für warme Schlafsäcke und Winterkleidung seien die
       Freiwilligen auf freiwillige Unterstützer in der Bevölkerung angewiesen.
       Soldaten der regulären Armee seien zwar etwas besser versorgt, aber bei
       weitem nicht ausreichend.
       
       Vor fast jedem Supermarkt stehen freiwillige Helfer, die für Armee und
       Freiwilligenverbände sammeln. Doch die Bevölkerung ist des Krieges müde.
       Seit Ausbruch der Kämpfe seien die Lebenshaltungskosten um 50 bis 100
       Prozent gestiegen. Kaum noch jemand könne für die Männer an der Front
       spenden.
       
       An der Front, sagt Dima, verstehe niemand mehr den Sinn dieses Krieges. Die
       Kommandeure geben widersprüchliche und häufig lebensgefährliche Befehle.
       Vielfach hätten kluge und durchdachte Befehle einen sinnlosen Tod von
       Soldaten oder Freiwilligen verhindern können. Und der Krieg könnte schon
       längst vorbei sein, wenn nur der Wille da wäre. So aber geht ein Krieg
       weiter, in dem die Generäle stehlen und die Soldaten sich schon über ein
       Stück Brot freuen.
       
       ## „Den Militärs geht es nicht mehr um den Krieg“
       
       Mit seiner Auffassung stehe er nicht mehr allein, berichtet Dima. Auch die
       Bevölkerung im Kriegsgebiet denke so. Soldaten und Freiwillige hätten den
       Kampfgeist verloren, mit dem sie in den Osten des Landes gezogen seien.
       „Diejenigen, die diesen Krieg angezettelt haben, benutzen uns doch nur“, so
       der Kämpfer an seinem Krankenbett. „Kaum hatte der Oligarch Wiktor
       Janukowitsch das Land verlassen, begann der Streit der verschiedenen
       Oligarchen-Clans um dessen Besitztümer.“
       
       Die ukrainischen Parlamentswahlen am 26. Oktober machen Dima keine
       Hoffnung. „Viele unserer Feldkommandeure und Generäle kandidieren auf
       sicheren Listenplätzen für das Parlament. Die Parteien wollen mit ihren
       Namen Stimmen gewinnen, die Militärs wollen sich einen schönen warmen Platz
       ergattern. Wenn sich Feldkommandeure an Parteien verkaufen, ist das doch
       der bestes Beweis dafür, dass es diesen Militärs nicht mehr um den Krieg
       geht. Sie wollen Geschäfte machen, aus ihrem Kriegseinsatz politisches
       Kapital schlagen.“
       
       Trotz aller Kritik aber denke die Mehrheit der Soldaten und Freiwilligen
       nicht an Aufhören, meint Dima. Man habe sich nun mal freiwillig gemeldet
       und da könne man nun nicht einfach die Flucht antreten. Wer allerdings eine
       Möglichkeit sieht, dem Einsatz an der Front zu entkommen, ohne als Verräter
       dazustehen, nimmt diese Möglichkeit wahr. Und so wird jede Erkrankung und
       Verletzung zu einer Chance, der Front ehrenhaft den Rücken kehren zu
       können.
       
       Nicht alle „Freiwilligen“ seien aber wirklich freiwillig in den Krieg
       gezogen, so Dima. Vielfach habe man ihnen versprochen, sie lediglich in
       ihrer Heimatstadt zum Objektschutz einzusetzen. Doch beim Wehramt sei man
       an die Front in den Osten geschickt worden. Betrug und Lüge seien ständige
       Begleiter des Krieges. Während es im Fernsehen ständig beschwichtigend
       heiße, der Krieg gehe seinem Ende entgegen, sprechen die steigenden Zahlen
       der Toten eine andere Sprache. Und auch diese seien nur eine annähernde
       Größe. Viele Gefallene würden nicht in die Statistik aufgenommen oder
       lediglich als vermisst geführt.
       
       Dima will nicht sterben. Vor wenigen Tagen ist seine Tochter auf die Welt
       gekommen. Mit dem Namen hat man nicht lange überlegt. „Viktoria“ heißt sie:
       Sieg. Niemals, hofft der Vater, soll seine Tochter sehen müssen, was er
       selbst im Krieg erlebt hat.
       
       Aus dem Russischen von Bernhard Clasen
       
       10 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andrej Nesterko
       
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