# taz.de -- Kolumne Der rote Faden: Es ist schon verrückt
       
       > Durch die Woche gesurft: Alle sind sich einig, dass der IS das Böse
       > schlechthin verkörpert. Aber ernsthaft bekämpfen möchte ihn keiner.
       
 (IMG) Bild: Eine von Flüchtlingen an der syrisch-türkischen Grenze zurückgelassene Wiege
       
       Die Bundesregierung will mehrere Hundert Millionen in Bildung investieren.
       Nachdem die letzte 556 Millionen Euro schwere Investition nach einem
       nachvollziehbaren und allgemein akzeptierten Zulassungsverfahren ad acta
       gelegt werden musste und dieser Fauxpas ihren Vorgänger fast das Amt
       gekostet hätte, unternimmt Ursula von der Leyen nun beherzt einen neuen
       Anlauf.
       
       Fast alles an diesen beiden Sätzen ist falsch. Richtig ist, dass die
       Verteidigungsministerin diese Woche fast täglich für Nachrichten sorgt:
       Spin kann sie. So lässt sie die geneigte Öffentlichkeit wissen, dass sie
       den von de Mazière beerdigten „Euro Hawk“ durch eine amerikanische
       Aufklärungsdrohne namens „Triton“ ersetzen möchte. Was die eingangs
       genannten Hunderte Millionen Euro kosten soll. Viel ungenauer lässt sich
       eine Summe wohl kaum beziffern. Doch gespart werden kann dann ja wieder bei
       Bildung oder bei Flüchtlingen. Oder bei beidem.
       
       Wenig später fährt von der Leyen SPD-Chef Gabriel in die Parade und will
       Rüstungsgüter auf dem internationalen Markt und nicht mehr nur bei
       deutschen Firmen einkaufen lassen. Der Effizienz wegen. Jeder ihrer
       Vorschläge wird breit erörtert, die Republik gefällt sich darin, sich als
       Rüstungsnation „neu aufzustellen“. Formulieren wir’s ruhig so
       pseudomilitärisch, wie das Büroentscheidersprech es sich zur Gewohnheit
       gemacht hat.
       
       Doch wandelt sich der Terror von der fernen Gruselgeschichte im Nahen Osten
       zur Realität an Europas Grenzen, werden Regierung und Meinungsmacher
       eigentümlich wortkarg. Wie jetzt im Fall der Stadt Kobani.
       
       ## Die Türken sollen's richten, aber schnell
       
       So leidenschaftlich sich über abgeschlagene Köpfen ausgetauscht wird, so
       unklar scheint, was zum Schutz der Kurden in der kleinen, nun weltberühmten
       Stadt unternommen werden kann. Weswegen die türkische Armee einmarschieren
       und eine Pufferzone errichten soll – aber schnell.
       
       Dumm nur, dass die USA keine Pufferzone wollen und auch keine
       Flugverbotszone. Beides würde Baschar al-Assad nicht gefallen, es wäre sein
       Ende. Doch Assad soll bleiben. „Attacken auf das Regime sind nicht der
       Fokus der internationalen Koalition“, sagte unlängst die Sprecherin des
       US-Außenministeriums, Jen Psaki. Der noch immer als Stabilitätsfaktor
       verkannte Massenmörder bombt daher munter weiter auf alles – außer auf
       Stellungen des IS.
       
       Und sosehr der türkische Premier recht damit hat, dass es keine Befriedung
       mit dem syrischen Diktator geben wird, so wenig will auch Erdogan den IS
       bombardieren. Es ist schon verrückt. Alle sind sich einig, dass der IS der
       Inbegriff des Bösen ist – aber niemand will die Terroristen ernsthaft
       stoppen.
       
       ## Die deutsche Verantwortung
       
       Natürlich ist es richtig, dass die Konflikte zwischen der türkischen Armee
       und der PKK und zwischen Erdogan und Obama sich nicht militärisch, sondern
       nur diplomatisch lösen lassen. Genauso, wie es richtig und unterschätzt
       ist, dass ausreichende humanitäre Hilfe für die kurdischen, irakischen und
       syrischen Flüchtlinge kein Luxus ist, sondern die eigentliche
       friedenssichernde Maßnahme.
       
       Eine kluge Einlassung in die Aufregung über Kobani steuerte denn auch der
       ehemalige Leiter des Auswärtigen Amts bei. Ruprecht Polenz (CDU) schreibt
       auf seiner Facebook-Seite: „ ’Syria will not implode, Syria will explode.‘
       An diesen Satz, den der damalige ägyptische Botschafter Ezzeldin Ramzy vor
       über einem Jahr auf einer Podiumsdiskussion mit mir in Berlin sagte, fühle
       ich mich immer stärker erinnert. Und die Lunte in die Nachbarstaaten ist
       die sogenannte Kurdenfrage.“
       
       ## Das deutsche Ausweichen
       
       Auch die deutsche Regierung muss jetzt alles tun, um die türkische dazu zu
       bewegen, den Friedensprozess mit den Kurden fortzusetzen. Ob mit der
       Drohung, ansonsten die (stagnierenden) EU-Beitrittsverhandlungen
       aufzukündigen, wie von der Linke-Politikerin Ulla Jelpke vorgeschlagen,
       oder mit positiven Anreizen – das werden nur die Verhandler beurteilen
       können.
       
       In jedem Fall steht die deutsche Regierung mit ihrem Gewicht in der EU und
       ihrem hohen türkischen und kurdischen Bevölkerungsanteil in der
       Verantwortung. Nur zu verlautbaren, Berlin habe Ankara keine Ratschläge zu
       erteilen, ist zu simpel. Bislang fehlen in der Öffentlichkeit Indizien,
       dass die Regierung angemessene diplomatische Anstrengungen unternimmt. Sie
       wirkt vor allem überrumpelt.
       
       Denn festzustellen, dass Syrien, Irak, Libyen, Libanon sich nicht im
       Handumdrehen befrieden lassen, wie von Außenminister Steinmeier angedeutet,
       hilft auch nicht weiter. Die beiden Fragen der Stunde sind: Wie lässt sich
       kurzfristig in Kobani helfen, und was könnten die Eckpfeiler einer
       dauerhaften Friedensstrategie sein? Was immer jetzt an der
       türkisch-syrischen Grenze passiert – der von Assad und IS geführte Krieg
       gegen alle Demokraten dieser Welt geht weiter.
       
       11 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ines Kappert
       
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