# taz.de -- Flüchtlings-Sport-Kongress in Berlin: Grundnahrungsmittel Fußball
       
       > Sport kann ein Stück Normalität zurückbringen. Doch fehlender Kontakt zu
       > Vereinen sowie bürokratische Hindernisse machen es Flüchtlingen schwer.
       
 (IMG) Bild: Vor dem IS geflohene Kinder kicken in einem Camp in Mossul
       
       BERLIN taz | Es passte ins Bild, dass Claudia Roth direkt von einem
       Aufenthalt an der türkisch-syrischen Grenze angereist kam. Sie hatte ein
       Flüchtlingslager für Jesiden besucht. Auch dort hätten Jungs Fußball
       gespielt, berichtet die grüne Bundestagsvizepräsidentin in ihren
       einführenden Worten. Der Sport biete immer „ein Stück Normalität in diesen
       Situationen“. So sei es auch Aufgabe der Länder, die Flüchtlinge aufnehmen,
       neben der Basisversorgung auch die „Grundnahrungsmittel Kultur, Sport,
       Fußball“ bereitzustellen.
       
       Um über diesen Zugang zum deutschen Breitensport und zur Vereinskultur zu
       sprechen, kamen am Freitagnachmittag etwa 200 Funktionäre, Politiker,
       Flüchtlinge, Spielerinnen und Spieler zum 1. Berliner
       Flüchtlings-Sport-Kongress zusammen. Initiatoren der Veranstaltung im
       Abgeordnetenhaus waren der Klub FC Internationale Berlin, die Grünen und
       der Verein Champions ohne Grenzen (CHoG), die Fußballtraining für
       Flüchtlinge anbieten und gerade von der Akademie für Fußballkultur
       ausgezeichnet wurden.
       
       „Es geht uns um die Vernetzung von Initiativen und darum, Fußballvereine
       auf das Thema aufmerksam zu machen“, sagte Carolin Gaffron, Vorsitzende von
       CHoG, der taz im Interview. Und es gehe darum, „wie man auf das
       Flüchtlingsheim um die Ecke zugehen“ könne. Die CHoG, die derzeit etwa 150
       Flüchtlinge trainieren, hätten die Erfahrung gemacht, dass Sport eminent
       wichtig für das Sozialleben ihrer Mitglieder sei, arbeiten dürften diese
       schließlich meist nicht. Oft sei auch umgekehrt die Bereitschaft da,
       Flüchtlinge in Vereine aufzunehmen – nur müsse der erste Schritt getan
       werden.
       
       Stattdessen gab es in jüngster Zeit einige Fälle, die zeigen, wie
       Verbandsstrukturen und deutsche Asylpolitik das Sporttreiben für
       Flüchtlinge erschweren. So sei es der Initiative „Integration durch Sport“
       zum Teil von Flüchtlingsheimen verwehrt worden, Teilnehmer zu werben. Der
       senegalesische American-Football-Spieler Madiama Diop durfte zunächst nicht
       zu Auswärtsspielen seiner Würzburg Panthers reisen, weil die
       Residenzpflicht es nicht zuließ; gegen das Verbot gab es eine
       [1][Onlinepetition mit über 27.000 Unterzeichnern].
       
       Vergangenen Monat sorgte der Fall eines syrischen Jungen für Aufsehen: Der
       13-Jährige war als unbegleiteter Flüchtling (ohne Eltern) nach
       Rheinland-Pfalz gekommen – so einfach im Verein spielen konnte er aber
       nicht, weil man die Unterschrift der Eltern für seinen Spielerpass einholen
       wollte. Eigentlich genügt in solchen Fällen aber die Unterschrift eines
       Verantwortlichen des Heims, in dem das Kind lebt. Erschwert wird die
       Spielgenehmigung ohnehin schon dadurch, dass die Fußballverbände in solchen
       Fällen erst in Syrien bei Verbänden anfragen, ob der Junge dort nicht noch
       irgendwo gemeldet ist – eine Maßnahme der Fifa, die den Handel mit
       minderjährigen Spielern bekämpfen soll.
       
       ## Kontaktproblem
       
       Die bisweilen absurd wirkende Bürokratie ist aber nicht das Hauptproblem,
       das wurde auf dem Kongress klar. Denn oft besteht zwischen Fußballverein
       und Flüchtlingsheim einfach kein Kontakt, mögen sie noch so nah
       beieinanderliegen. Dabei müsse man nur in die Heime gehen und die
       Flüchtlinge ansprechen – der Rest ergebe sich, so die Erfahrung der in
       Berlin und Umgebung aktiven Initiativen von Babelsberg 03, Hansa 07 oder
       dem FC Internationale.
       
       Auch wenn deren Vorsitzender, Gerd Thomas, ein „großes Bedürfnis,
       Flüchtlingen zu helfen“, konstatiert, sind bei Weitem nicht alle Vereine
       und Aktive so aufgeschlossen: „Es gibt natürlich in den Vereinen auch viele
       Mitglieder, die Flüchtlinge nicht unbedingt willkommen heißen. Die kann man
       mit so einem Kongress wohl nicht erreichen“, sagt Gaffron, „aber Leute, die
       dem neutral gegenüberstehen und bloß denken, es sei zu anstrengend,
       Flüchtlinge zu integrieren, vielleicht schon.“
       
       Die praktischen Probleme im Alltag – Fehlen von Versicherungsschutz der
       Flüchtlinge, Fragen bei ungeklärtem Aufenthaltsstatus, Fehlen finanzieller
       Mittel – wurden nach den Auftaktreden in Workshops besprochen. Vereine
       können etwa versuchen, Fördermittel über die Deutsche Sportjugend im Rahmen
       des Programms „Bewegung – Bildung – Teilhabe“ zu bekommen. Zudem gibt es
       für Flüchtlingskinder die Möglichkeit, das Bildungs- und Teilhabepaket der
       Kommunen zu nutzen.
       
       Dass Claudia Roth im jesidischen Flüchtlingslager nur Jungs kicken sah, ist
       kein Zufall. Auch hierzulande ist es viel einfacher, männliche Kicker zu
       gewinnen, weil sporttreibende Frauen in einigen Herkunftskulturen oft nicht
       gern gesehen sind. „Es ist viel schwieriger, an Frauen und Mädchen
       ranzukommen. Man muss sie an die Hand nehmen, sie mitnehmen, sie
       überreden“, sagt Gaffron, „Wenn sie erst mal da sind, ist es kein Problem“.
       
       ## Hetero, männlich, weiß
       
       In Norwegen hat man inzwischen damit begonnen, neben
       Flüchtlingsunterkünften gleichzeitig auch Fußballplätze zu errichten. Im
       Land des Weltmeisters müsse man das ja wohl auch hinkriegen, so der Tenor
       am Freitag. Dennoch kam dieser Aspekt beim Sport-Flüchtlings-Kongress ein
       wenig zu kurz: Was muss sich bei diesem Dachverband ändern, der vor allem
       darin weltmeisterlich ist, den Spitzensport zu fördern, bei dem ganz unten
       aber wenig bis gar nichts ankommt?
       
       Auch über die Besetzung der Funktionärsposten wurde zu wenig gesprochen.
       Den hiesigen Vereinen wie Verbänden merkt man an, dass es bis vor wenigen
       Jahren selbstverständlich war, dass die Entscheidungsträger hetero,
       männlich, weiß und meist aus der Mittelschicht waren. Über die Besetzung
       der Funktionärsposten, auch über die Rolle des Profifußballs wird man bei
       einem zweiten Kongress dieser Art noch mehr sprechen müssen.
       
       12 Oct 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.change.org/p/madiama-diop-die-teilnahme-an-den-ausw%C3%A4rtsspielen-des-football-vereins-w%C3%BCrzburg-panther-erm%C3%B6glichen-45
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Uthoff
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Fußball
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Schwerpunkt Sport trotz Corona
 (DIR) Ehrenamt
 (DIR) Fußball
 (DIR) Fußball
 (DIR) Fußball
 (DIR) Fußball
 (DIR) Fifa
 (DIR) Fußball
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Symbolpolitik des DFB: Kleingeld für die Kümmerer
       
       Das Motto des 26. Spieltags: „1:0 für ein Willkommen“. Aber bei dieser
       DFB-„Integrationsinitiative“ hat man die Kernfrage längst aus dem Blick
       verloren.
       
 (DIR) EM-Qualifikation Deutschland-Polen: Die spanische Krankheit
       
       29 zu 5 Torschüsse. Die 0:2-Niederlage des DFB-Teams in Polen war seltsam,
       aber erklärbar. War das ein Ausrutscher – oder die Folge des WM-Titels?
       
 (DIR) EM-Qualifikation Polen-Deutschland: Löw beruhigt die Gemüter
       
       Nachdem die deutsche Mannschaft 2:0 in Warschau verloren hatte, erklärte
       der Bundestrainer, es gebe keinen Grund zur Sorge.
       
 (DIR) EM-Qualifikation Gibraltar: Mehr Zuschauer als Einwohner
       
       Gibraltar darf erstmals bei der EM-Qualifikation mitkicken. Nun wollen die
       Aufsässigen vom Affenfelsen die Fifa in die Knie zwingen.
       
 (DIR) Nationalelf vor Länderspielen: Die Kinokicker
       
       Das deutsche Nationalteam ist noch mit der Aufarbeitung der goldenen
       Vergangenheit beschäftigt. Dabei stehen zwei EM-Qualifikationsspiele an.
       
 (DIR) WM-Vergabe unter Korruptionsvorwürfen: So durchsichtig wie Milchglas
       
       Immer mehr Fifa-Mitglieder fordern die Veröffentlichung des
       Untersuchungsberichts. Eine Anti-Blatter-Allianz formiert sich trotzdem
       nicht.
       
 (DIR) Kolumne Über Ball und die Welt: Alternative für Deutschland
       
       Rationaler Nationalismus: Karim Bellarabi wurde von Bundestrainer Joachim
       Löw berufen. Der Berliner hätte auch für Marokko spielen können.