# taz.de -- Sexuelle Gewalt im thailändischen TV: „Ein Akt der Liebe“
       
       > Vergewaltigungen gehören zum dramaturgischen Inventar von Seifenopern im
       > thailändischen Fernsehen. Die Kritik daran wird lauter.
       
 (IMG) Bild: Viele im Seifenopern-Geschäft in Thailand verteidigen die Darstellung sexueller Gewalt weiterhin, teilweise als Schlüssel zu hohen Einschaltquoten.
       
       BANGKOK ap | Es ist eine berühmte Szene in der preisgekrönten
       thailändischen TV-Serie „Die Macht der Schatten“. Der attraktive
       Protagonist betrinkt sich und vergewaltigt die Hauptakteurin. Später bittet
       er sie um Vergebung, und nach Angaben der Produzenten werden sie
       nachfolgend bis ans Ende ihrer Tage glücklich miteinander leben. Mann
       trifft Frau, Mann vergewaltigt Frau, Mann heiratet Frau – das ist ein
       typischer Handlungsstrang in Thailands Seifenopern zur Hauptsendezeit am
       Abend. Aber die Rufe nach einer Änderung werden lauter.
       
       Die kürzliche Vergewaltigung und Ermordung eines 13-jährigen Mädchens in
       einem Nachtzug – Realität statt Fernsehdrama – hat die öffentliche
       Aufmerksamkeit und öffentlichen Zorn auf die Verharmlosung von
       Vergewaltigung in der Populärkultur gelenkt. Sogar der mächtige General und
       jetzige Regierungschef Prayuth Chan-ocha, der dieses Jahr durch einen
       Putsch an die Macht kam, musste sich zuletzt entschuldigen. Er hatte
       angedeutet, dass sich Frauen in Bikinis sexuell angreifbar machen.
       
       Viele im Seifenopern-Geschäft verteidigen die häufige Darstellung sexueller
       Gewalt weiterhin, teilweise als Schlüssel zu hohen Einschaltquoten in einer
       stark konkurrenzbetonten Industrie. Die melodramatischen Shows ziehen jeden
       Abend durchschnittlich 18 Millionen Zuschauer an. Das ist fast ein Viertel
       der thailändischen Bevölkerung.
       
       Regisseur Sitthiwat Tappan geht sogar so weit, einige Vergewaltigungsszenen
       als Dienst an der Öffentlichkeit zu bezeichnen. „Es mag eine Szene geben,
       in der eine Frau sexy angezogen ist, und sie geht an einem Mann vorbei, der
       getrunken hat, und man sieht es in seinem Gesicht, dass er erregt ist und
       sie haben will“, sagt der Filmdirektor. „Am Ende gibt sie sich der
       physischen Macht des Mannes hin.“
       
       Szenen wie diese, so Sitthiwat weiter, „versuchen die Gesellschaft zu
       lehren, dass Frauen nicht allein reisen oder offenherzige Kleidung tragen
       sollten. Und Männer sollten nicht trinken.“ Vergewaltiger werden in den
       TV-Serien selten bestraft, ihre Opfer sprechen selten über das Geschehene –
       was in diesem Fall häufig auch der Realität entspricht. Nach Angaben des
       Gesundheitsministeriums gingen bei seiner Hotline im vergangenen Jahr
       31.866 Anrufe von mutmaßlichen Opfern sexueller Attacken und Vergewaltigung
       ein.
       
       ## 3.300 aktenkundige Vergewaltigungsfälle
       
       Die Polizei machte im selben Zeitraum nur 3.300 Vergewaltigungsfälle
       aktenkundig, und es kam lediglich zu 2.245 Festnahmen. Dabei wird vermutet,
       dass die Zahl der Hotline-Anrufe bei weitem niedriger liegt als die der
       tatsächlichen Übergriffe. Das 13-jährige Mädchen war im Sommer
       vergewaltigt, erwürgt und aus dem Zugfenster geworfen worden. Ein
       22-jähriger Bahnangestellter wurde wegen der Attacke zum Tode verurteilt.
       Die Eisenbahnbehörde hat jetzt Schlafwagen eingeführt, in denen nur Frauen
       und Kinder zugelassen sind. Sie werden von Polizistinnen bewacht.
       
       Der Überfall auf das Mädchen löste eine nationale Debatte aus. 30.000
       Menschen unterzeichneten eine Internet-Petition mit der Forderung, dass
       Schluss mit dem Romantisieren von Vergewaltigungen in TV-Serien gemacht
       werden müsse. „Ich sage nicht, dass Seifenopern der Grund für
       Vergewaltigungen in Thailand sind. Aber ich glaube, sie sind Teil des
       Problems“, sagt Nitipan Wiprawit, der 36-jährige Initiator der Petition.
       Von den TV-Melodramen gehe die Botschaft aus, „dass Vergewaltigung
       akzeptabel ist. Das muss aufhören.“
       
       Als Folge der Petition hat die nationale Kommission der
       Fernsehgesellschaften Diskussionsveranstaltungen mit Regisseuren,
       Drehbuchautoren und Gesundheits- sowie Menschenrechtsexperten organisiert.
       Der jüngste Runde Tisch dieser Art konzentrierte sich auf die Frage, wie
       sich die Darstellung sexueller Gewalt im Fernsehen auf Kinder auswirkt: Sie
       wachsen oft mit den Soaps auf, die ihre Eltern jeden Abend einschalten.
       „Einige Produzenten sagen vielleicht, dass ihre Filme keine Auswirkungen
       auf die Menschen haben, aber ich versichere Ihnen, sie haben sie“, sagte
       Kemporn Wirunrapan vom thailändischen Medieninstitut für Kinder und
       Jugendliche. „Je häufiger Kinder Bilder von Gewalt sehen, desto stärker
       manifestiert es sich in ihrem Kopf.“
       
       Tatsächlich gaben bei einer Umfrage unter mehr als 2.000 Jugendlichen im
       Jahr 2008 mehr als 20 Prozent der 13- bis 19-Jährigen an, dass
       Vergewaltigungsszenen ihr beliebtester Teil von TV-Shows seien. Yossinee
       Nanakorn, Produzentin von „Gefangene der Liebe“, einer von Thailands
       bekanntesten Seifenopern, meint, dass solche Darstellungen oft für den Plot
       grundlegend wichtig seien. Diese Art von Melodramen drehten sich ganz um
       Konflikte. „Ohne Konflikte gibt es keine Geschichte“, sagt sie. „Wir
       versuchen, Vergewaltigungsszenen zu vermeiden, aber wenn es hilft, die
       Geschichte anzutreiben, dann behalten wir sie.“
       
       ## „Die Macht der Schatten“
       
       Die Vorstellung, dass manche Arten von sexueller Gewalt akzeptabel sind,
       spiegelt sich sogar in der thailändischen Sprache wider. Das Wort „blum“,
       das sich grob mit „Ringen“ übersetzen lässt, beschreibt unfreiwilligen Sex,
       den ein Mann betreibt, um zu erreichen, das sich eine Frau in ihn verliebt.
       Der Begriff gilt als unterschiedlich zu „khom-kheun“, der Bezeichnung für
       Vergewaltigung als kriminellem Akt.
       
       „Blum“ ist das, was in der Episode der Serie „Die Macht der Schatten“ vor
       sich gehe, sagt Arunosha Bhanupan, die Produzentin der Soap, die 2012
       ausgestrahlt wurde und dem betreffenden Sender Rekord-Einschaltquoten
       bescherte. „In theatralischem Sinne war es ein Akt der Liebe“, betont die
       Produzentin mit Blick auf die Szene, in der die Hauptakteurin vergewaltigt
       wird, nachdem sie versucht hat, den Protagonisten mit Schlägen ins Gesicht
       abzuwehren und ausruft: „Lass mich los!“
       
       17 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jocelyn Gecker
       
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