# taz.de -- Protest in Istanbul: Gezi-Park wird angebaggert
       
       > In der Nacht tauchen Bagger im Istanbuler Gezi-Park auf. Passanten
       > glauben, es sei ein Testlauf für den Abriss und stoppen die Bauarbeiten.
       
 (IMG) Bild: Stiller Protest im Juni 2013.
       
       BERLIN taz | Während Istanbul gerade im Validebağ-Park auf der anatolischen
       Seite der Stadt eine kleine [1][Neuauflage der Gezi-Proteste] erlebt,
       schien es in der Nacht zu Mittwoch für einen Moment im Gezi-Park ernst zu
       werden: Bauarbeiter rückten mit Baggern an, um am Rand des Parks ein paar
       Quadratmeter Erdreich abzutragen. An einen Baum befestigten sie ein in
       Comic-Sans-Schrift bedruckten Zettel: [2][„Bauarbeiten für eine
       Bushaltestelle.]“
       
       Was danach passierte, schilderte der Theaterschauspieler und Tänzer Ertürk
       Erkek der taz wie folgt: Mitarbeiter der Stadtverwaltung – genauer:
       Leiharbeiter in ihren Diensten – seien am späten Abend mit Baggern
       angerückt. Passanten hätten eingegriffen, weitere seien hinzugekommen. Zur
       Hochzeit seien es vielleicht 70 Personen gewesen. Sie hätten die Arbeiter
       schnell dazu gebracht, die Arbeit einzustellen. Die Sondereinsatzkräfte,
       die immer (und seit den Gezi-Protesten in größerer Zahl) am angrenzenden
       Taksim-Platz stehen, hätten nicht eingegriffen. Jedoch seien
       Zivilpolizisten vor Ort gewesen und hätten die Leute beschimpft und
       bedroht. Er gehörte zu den 25 Leuten, die die Nacht im Park verbracht
       hätten.
       
       Dabei hatte das Istanbuler Verwaltungsgericht die Bebauung des Gezi-Parks
       bereits im vorigen Jahr [3][für rechtswidrig erklärt]. Inzwischen wurde der
       Einspruch des Kulturministeriums und der Istanbuler Stadtverwaltung
       letztinstanzlich zurückgewiesen. Dennoch billigte am Montag das Istanbuler
       Stadtparlament den Haushalt für das kommende Jahr. Unter dem Stichwort
       „Strategische Planungen bis 2019" ist darin auch die „Restauration der
       Taksim-Kaserne" vorgesehen.
       
       Als Ende Mai 2013 im Gezi-Park die Abrissarbeiten begannen, war dieses
       Verfahren noch anhängig. Die Stadtverwaltung und Recep Tayyip Erdogan, der
       Stadtentwicklungspolitik in Istanbul stets als „Chefsache" betrachtete,
       wollten damals auf illegalem Weg Fakten schaffen. Hätten sich damals nicht
       eine Handvoll [4][Aktivisten den Baggern entgegengestellt], wäre der Park
       einfach abgerissen worden.
       
       „Der Rechtsweg ist abgeschlossen, und trotzdem halten die Stadt und die
       Regierung an ihrem Plan fest“, sagt Ertürk Erkek. „Wären wir nicht in
       unseren Park geeilt, hätten die den Bereich noch in der Nacht zubetoniert."
       Stattdessen schaufelten, wie [5][auf einem Youtube-Video] zu sehen ist,
       Leute noch in der Nacht den aufgerissenen Erdboden wieder zu. Dass es nur
       um ein paar Meter Straßenverbreiterung für eine Bushalte ging, glauben sie
       nicht. „Ich denke, die wollten die Reaktionen austesten“, sagt Erkek.
       
       An den Plänen zum Abriss des Gezi-Parks und zum Wiederaufbau der 1940
       abgerissenen Topçu-Kaserne hatten sich im Frühjahr vorigen Jahres
       Massenproteste gegen Recep Tayyip Erdogan (damals noch Ministerpräsident)
       und seine islamisch-konservative AKP entzündet. Zwar ging es sehr schnell
       nicht allein um den Gezi-Park, sondern um den autoritären Stil der
       Regierung und die Sorge um den säkularen Charakter der Gesellschaft.
       
       Doch wenn die Protestbewegung einen konkreten Erfolg vorweisen kann, dann
       eben diesen: der Gezi-Park steht noch. Und er ist heute, wie es Ertürk
       Erkek ausdrückt, eine „Erinnerung an die [6][acht Menschenleben,] die wir
       darum verloren haben“. Für die Herrschenden wiederum ist dies die einzige
       Niederlage, hatte Erdogan doch mehrfach lautstark beteuert, an den
       Abrissplänen festzuhalten.
       
       Als Ausgangspunkt einer islamistischen Revolte gegen die Jungtürken im Jahr
       1909 war die Topçu-Kaserne für den politischen Islam in der Türkei seit
       jeher von hoher symbolischer Bedeutung. Darüber hinaus aber war es im
       vorigen Jahr unklar geblieben, warum Erdogan unbedingt auf dieses Vorhaben
       bestand und welchem Zweck der Neubau dienen sollte. Erst sprach er von
       einem Einkaufszentrum, dann von einem Stadtmuseum, schließlich gar von
       einer Oper.
       
       Allerdings wollten schon damals manche Demonstranten nicht glauben, dass
       Erdogan für Einkaufszentrum die bis dahin schwerste Krise seiner
       Regierungszeit riskiert. Die Vermutung: Erdogan wolle Staatspräsident
       werden und den Kaserneneubau als seinen neuen Präsidentenpalast nutzen –
       als Symbol der Restauration der islamisch-osmanischen Tradition und seiner
       ganz persönlichen Herrschaft. Es ist nur eine Annahme. Aber sie klingt
       plausibel. Würde der Park jetzt noch abgerissen, wäre es zudem Erdogans
       Triumph über seine Gegner. Auch das spricht dafür, dass der Kampf um den
       Gezi-Park nicht beendet ist.
       
       ***
       
       Nachtrag: Am Mittwochvormittag befragte die [7][Zeitung Cumhuriyet] Leute
       aus verschiedenen Milieus, die die Protestbewegung des vorigen Jahres
       getragen hatten: jemand vom Fußball-Fanclubs Çarşı, ein Homoaktivist, der
       Sprecher der linken Organisation Halkevleri, der Vordenker der Gruppe
       Antikapitalistischen Muslime, ein Sprecher des Bündnisses
       Taksim-Solidarität, das die Proteste im vergangenen Jahr koordiniert hatte.
       Gemeinsamer Tenor: „Gezi ist für uns ein wichtiges Symbol. Wenn es sein
       muss, kommen wir wieder.“
       
       19 Nov 2014
       
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 (DIR) Deniz Yücel
       
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