# taz.de -- Türkische Bauprojekte: Naturschutz à la Erdogan
       
       > Auf Geheiß des Präsidenten soll bei großen Bauvorhaben auf eine
       > Umweltprüfung verzichtet werden. Architekten und Ingenieure warnen.
       
 (IMG) Bild: Bald noch rücksichtsloser: Bauvorhaben in der Türkei.
       
       ISTANBUL taz | Es betrifft den Bau von Einkaufszentren, die Erschließung
       neuer Wohngebiete, neue Wasserkraftwerke, aber auch Golfplätze und
       Hotelanlagen: In der Türkei soll bei großen Bauvorhaben künftig auf eine
       Umweltprüfung verzichtet werden.
       
       Die Entscheidung des Bau- und Umweltministeriums blieb nicht
       unwidersprochen: In einer Erklärung schrieb die türkische Ingenieurskammer,
       die Regelungen seien gegen den gesellschaftlichen Grundkonsens und
       verstießen gegen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Vorsitzende
       Baran Bozoglu warnte vor den Konsequenzen für den Naturschutz.
       
       Während der Leiter der Umweltabteilung im Bau- und Umweltministerium,
       Mustafa Satilmis, behauptete, die neuen Regelungen würden Großprojekte
       nicht von Umweltauflagen befreien, sagte Bozoglu: „Sie dienen nicht den
       Menschen, sondern ausschließlich einigen Baufirmen, die davon profitieren.“
       Sie forderte, in der Türkei solle endlich ein eigenständiges
       Umweltministerium geschaffen werden, „das sich an den Interessen der
       Allgemeinheit orientiert und nicht an den Interessen von Investoren“.
       
       Tatsächlich dienen die neuen Regelungen offensichtlich dazu, Bauvorhaben zu
       beschleunigen und so mit dazu beizutragen, dass das erlahmende
       Wirtschaftswachstum wieder in Schwung kommt. Der Druck auf die Gesetzgebung
       kommt dabei ganz von der Spitze. Präsident Recep Tayyip Erdogan hat erst am
       Dienstag dieser Woche in einer Rede noch einmal klargemacht, was er von
       einer Justiz hält, die wichtige Bauvorhaben verzögert. Anlass war die
       Entscheidung eines hohen Gerichts im Oktober, den Ausbau und die
       Modernisierung des Istanbuler Hafens für Kreuzfahrtschiffe wegen Umwelt-
       und städtebaulicher Bedenken zu stoppen.
       
       Im Mai 2013 hatte die türkische Dogus-Holding einen Bieterwettbewerb für
       die Modernisierung und Inbetriebnahme des Galaport-Hafens für 700 Millionen
       Dollar für sich entschieden. Dass ein Gericht auf Antrag der Istanbuler
       Architektenkammer jetzt fast zwei Jahre später das Projekt stoppte, hat
       Erdogan maßlos geärgert.
       
       ## Umweltschutz als Entwicklungshindernis
       
       „Wie soll ein Investor bei solchen Entscheidungen noch Vertrauen in die
       Verwaltung unseres Landes haben?“, fragte der Präsident. „Das ist ein
       Verrat der Richter an den Interessen unseres Landes“, befand Erdogan und
       machte damit noch einmal klar, dass er Umweltgesetze und die
       Gewaltenteilung insgesamt als Hindernis für die Entwicklung der Türkei
       ansieht.
       
       Für Erdogan ist Umweltschutz ein Luxus, den er und die mit ihm befreundeten
       Investoren sich nicht leisten wollen. Vor allem Istanbul, der
       Wirtschaftsmotor der Türkei, bekommt das seit Jahren zu spüren. Drei
       Großprojekte, gegen die Umweltverbände Sturm laufen, werden allen Bedenken
       zum Trotz auf Betreiben von Erdogan brachial durchgesetzt. Dabei geht es um
       eine dritte Brücke über den Bosporus, für deren Zubringerautobahnen weite
       Teile des letzten Waldgebietes in unmittelbarer Stadtnähe gerodet werden.
       
       Zweitens hat im Frühjahr die Grundsteinlegung für einen dritten
       Großflughafen 60 Kilometer von Istanbul entfernt stattgefunden. So wird ein
       ökologisch wichtiges Gebiet am Schwarzen Meer zerstört. Drittens besteht
       Erdogan auf den Bau eines Kanals vom Schwarzen Meer ins Marmarameer. Das
       soll angeblich die Schifffahrt auf dem Bosporus entlasten, nach Meinung
       vieler Experten führt es jedoch zu einer Ökokatastrophe. Um Einsprüche
       gegen die Großvorhaben zu verhindern, hatte Erdogan schon im vergangenen
       Jahr die bis dahin vorgeschriebene Mitwirkung von Ingenieurs- und
       Architektenkammern verbieten lassen.
       
       28 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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