# taz.de -- 101. Bundesliga-Nordderby: Am Boden liegend auf Augenhöhe
       
       > Mit Hokuspokus gehen der HSV und Werder Bremen gegen den drohenden
       > Abstieg an. Hamburgs Trainer Zinnbauer verspricht ein lautes Nordduell.
       
 (IMG) Bild: Teil der Derbyfolklore: Tim Wieses Tritt gegen Hamburgs Ivica Olic im Mai 2008, als beide Teams noch Teil der Bundesliga-Spitzengruppe waren
       
       HAMBURG taz | Vor jedem Nordderby die gleichen Geschichten. Kumpels trotz
       aller Rivalität sind sie, die Legenden Uwe (Seeler) und Max (Lorenz), Didi
       (Beiersdorfer) und Marco (Bode), Letztere sind seit dem letzten Derby sogar
       zu Bossen aufgestiegen. Wenn wegen Länderspielpause vierzehn Tage
       Vorlaufzeit zum Geschichtenerzählen bleiben, wird ausgebuddelt, dass die
       Sportchefs Thomas Eichin und Peter Knäbel in der U 16 des DFB kurzzeitig
       auch mal Kumpels waren.
       
       Fehlte noch, dass die Coaches Zinnbauer und Skripnik sich aus dem
       Trainerlehrgang kennen. Ist aber nicht so, dafür treiben ihre
       Parallelgeschichten als Trainernovizen, die sich noch vor drei Monaten mit
       den U23-Teams in der Regionalliga gegenüberstanden, die Zahl der Vergleiche
       in die Höhen. Der Joe und der Viktor, der Zocker und das Schlitzohr, der
       Emotionalisator und das Schaaf-Klon.
       
       Fehlt nur noch Scharfmacher Wiese. Aber der wiegt jetzt 120 Kilogramm und
       klopft seine Sprüche beim Wrestling. Seinen Job hat Joe Zinnbauer
       übernommen. Der Rasen muss brennen, es muss laut werden wie nie zuvor.
       Lauter noch als gegen Leverkusener, als die neu angebrachter Messanlage 128
       Dezibel anzeigte, was einem startenden Düsenjäger entspricht. Solche
       Ankündigungen machen deutlich, in welcher Etage das 101. Nordderby spielt.
       Ganz unten. Macht nichts, wichtig ist die Augenhöhe, auch wenn beide am
       Boden liegen.
       
       Von dem rappeln sich beide Traditionsvereine gerade wieder ein bisschen
       hoch. Nicht nur die Entwicklung ihrer Protagonisten zeigt in den letzten
       Jahren Parallelen. Die zu Champions-League-Zeiten Mitte des letzten
       Jahrzehnts aufgebauten teuren Kader wurden zu langsam auf ein nachhaltiges
       Kostenniveau unter 40 Millionen Euro gesenkt, der HSV ist immer noch dabei.
       Über die Europa League hofften beide lange wieder in die Elite-Liga
       aufzusteigen, wurden aber im Gleichschritt in die Abstiegszone
       durchgereicht.
       
       ## Hamburger Trial-und-Error-Politik
       
       An diesem Punkt ist Schluss mit den Gemeinsamkeiten. Der HSV verschliss mit
       einer riskanten, vielstimmigen Trial-and-Error-Politik über Jahre Personal
       und Geld und versucht sich nun mit einer nicht minder risikoreichen
       Radikalkur zu retten. Die Ausgliederung in eine Fußball-AG hat kurzfristig
       die Kapitalkraft und Führungsstärke gesteigert – aber gleichzeitig auch
       Erfolgsdruck und die Abhängigkeit von den Geldgebern erhöht.
       
       Zinnbauer, der seine ersten Millionen als Finanzunternehmer verdiente, muss
       möglichst schnell aus alten (Westermann, van der Vaart, Diekmeier) und
       kurzfristig eingekauften (Behrami, Holtby, Müller) Spielern eine Einheit
       formen. Dabei setzt er vor allem auf seine Emotionalität, die sein
       Trainerausbilder Frank Wormuth als eine „Waffe“ bezeichnet.
       
       Anders als der HSV schlitterte Werder lange Zeit risikoarm und ohne große
       personelle Turbulenzen in die Krise. Erst ein kürzlich vom scheidenden
       Präsidenten Klaus-Dieter Fischer angezettelter Hauskrach führte zum Wechsel
       an der Aufsichtsratsspitze von Willi Lemke zu Marco Bode und damit zu einer
       gelockerten Haushaltsdisziplin, die künftig auch das Schuldenmachen für
       Neueinkäufe erlauben soll.
       
       ## Skripniks universelle Fußballersprache
       
       Der neue Trainer Viktor Skripnik kann darauf aufbauen, dass sein Vorgänger
       Robin Dutt ihm entgegen vielen Schmährufen ein fittes und eingespieltes
       Team hinterlassen hat, dem er nur den letzten Punch in beiden Strafräumen
       vermitteln muss. Das tut der gebürtige Ukrainer in klarer universeller
       Fußballsprache. „Wir können ihn viel besser verstehen, weil er so wie wir
       redet“, sagte der Argentinier Franco Di Santo, der gegen den HSV verletzt
       ausfällt.
       
       Ohne Hokuspokus kommen aber auch die Bremer nicht aus, wenn sie die Serie
       von drei Pflichtspielsiegen in Folge erklären sollen. „Sie pflanzen uns das
       ’Werder-Gen' ein, wir sollen keine Angst haben“, sagte Zlatko Junuzovic
       über Skripnik und dessen Co-Trainer Torsten Frings.
       
       Werder-Gen gegen Dezibel-Rekord – Nordderbys sind nichts für
       Fußballästheten.
       
       23 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Lorenzen
       
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