# taz.de -- Spielfilm über die Nürnberger Prozesse: Das unheimliche Haus
       
       > Am Rande der Nürnberger Prozesse: Nazis und frühere KZ-Häftlinge wohnten
       > in einer Villa. Matti Geschonneck hat „Das Zeugenhaus“ verfilmt.
       
 (IMG) Bild: Im Zeugenhaus treffen Täter, Opfer und Mitläufer des NS-Regimes auf engstem Raum aufeinander.
       
       Leicht hat er es sich nicht gemacht. Gleich zweimal lehnte Matti
       Geschonneck das Angebot ab, die Verfilmung des Tatsachenromans „Das
       Zeugenhaus“ zu übernehmen. „Ich hatte großen Respekt vor diesem komplexen
       Thema“, sagt der Regisseur. „Da war vor allem die Angst, dem Ganzen nicht
       gerecht zu werden. Oft Gesagtes zu wiederholen, Tabus zu verletzen,
       politisch unkorrekt zu sein.“
       
       In dem 2005 veröffentlichten Buch erzählt die Journalistin Christiane Kohl
       von einer unglaublichen Episode, die sich ab 1945 am Rande der Nürnberger
       Prozesse ereignet hat. Kurz vor Beginn des Hauptkriegsverbrecherprozesses
       beschlagnahmte die US-Armee eine Villa am Nürnberger Stadtrand und brachte
       darin Zeugen der Anklage und der Verteidigung unter.
       
       Bis 1948 lebten dort (und in einem weiteren Haus) zeitweilig Täter, Opfer
       und Mitläufer unter einem Dach. So konnte es passieren, dass sich ehemalige
       KZ-Häftlinge und NSDAP-Funktionäre beim Frühstück gegenübersaßen. Als
       Hausdame engagierten die Amerikaner die Adlige Ingeborg Gräfin Kálnoky und
       gaben ihr den Auftrag: „Sorgen Sie dafür, dass alles ruhig verläuft.“
       
       Die Filmrechte sicherte sich Produzent Oliver Berben unmittelbar nach der
       Buchveröffentlichung – und irgendwann sagte sein Wunschregisseur doch zu.
       „Etwas, das lediglich aus respektvoller Ferne betrachtet wird, kommt einem
       auch nicht nahe“, sagt Geschonneck. „Wir haben deshalb versucht, einen eher
       spielerischen Weg zu gehen und die Skurrilität der Figuren zu nutzen – im
       Bewusstsein, es mit dem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte zu tun zu
       haben.“ Das hätte schiefgehen können, ist es aber nicht: Der 106 Minuten
       lange Film ist eine der bemerkenswertesten TV-Produktionen des Jahres.
       
       ## Kammerspiel und Thriller
       
       Großen Anteil daran hat Matti Geschonnecks Stamm-Drehbuchautor Magnus
       Vattrodt. Er entwarf ein Kammerspiel mit Thriller-Elementen und wählte
       dafür aus den mehr als 100 Personen, die insgesamt im Zeugenhaus
       abgestiegen sind, eine Handvoll aus. Vattrodt erlaubte sich dabei
       künstlerische Freiheiten: Einige seiner Figuren sind realen Personen
       nachempfunden, in anderen verarbeitete er typische Charaktere. Die Gräfin
       (ein bisschen zu schwermütig gespielt von Iris Berben) bekam einen neuen
       Namen und eine neue Vita, die von ihm vorgelegte Personenkonstellation hat
       es so nie gegeben.
       
       Im Film begegnen sich nun unter anderem Adolf Hitlers Fotograf Heinrich
       Hoffmann, Hermann Görings Sekretärin Gisela Limberger, Gestapo-Gründer
       Rudolf Diels sowie die Widerstandskämpferin und Auschwitz-Überlebende
       Marie-Claude Vaillant-Couturier. Der Zuschauer bekommt nicht immer sofort
       erklärt, wer wo stand und steht. Erst nach und nach werden die Identitäten
       entblättert. Zu größeren Konfrontationen zwischen den gegensätzlichen
       Gruppen kommt es nicht: Täter, Mitläufer und Karrieristen führen im Salon
       das große Wort, Opfer und Gegner ziehen sich in die Nebenzimmer zurück. Ein
       Spiegelbild der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft.
       
       „Der Film erzählt nicht vordergründig von den großen Kriegsverbrechern,
       sondern von denjenigen Menschen, die eng verwoben mit den Mächtigen gelebt
       haben, deren Macht stützten, deren Verbrechen mit ermöglichten“, sagt
       Geschonneck. „Ohne jeden Selbstvorwurf haben sie ihr Leben mit einer
       erstaunlichen Selbstverständlichkeit weitergelebt, waren von ihrer
       Redlichkeit überzeugt. Sie haben mit ihrer opportunistischen Gabe gut
       überlebt. Auf der Nürnberger Anklagebank saß nur ein Bruchteil derer, die
       tatsächlich da hingehörten.“
       
       ## Abstoßend und irritierend
       
       In Geschonnecks „Zeugenhaus“ ereifern sich die Mitglieder dieser
       Opportunisten-Fraktion nun in teils brillanten Dialogen über den
       vermeintlichen Schauprozess der Alliierten und das schlechte Essen, sie
       schönen ihre Lebensläufe und preisen die Gemälde des Führers.
       
       Ihr ganzes Verhalten ist gleichzeitig abstoßend und unterhaltsam, in
       höchstem Maße irritierend und von Schauspielern wie Udo Samel, Gisela
       Schneeberger und Tobias Moretti glänzend gespielt. Diese Mitläufer sind
       keine durch und durch bösen Menschen, einige von ihnen scheinen wie aus dem
       heutigen Alltag gegriffen. Das macht sie so unheimlich. Ihre Darstellung
       wirft aktuelle Fragen auf: Wäre das heute nicht alles noch genauso möglich?
       Wie hätte man selbst sich verhalten?
       
       Schockierend und empörend wird ihr selbstgerechtes Gehabe vor allem durch
       die Kontrastierung mit den im Haus lebenden, ehemaligen KZ-Insassen: „Die
       Lebensgeschichte meines Vaters hat gewiss Einfluss auf die Inszenierung
       dieser Szenen genommen“, sagt Geschonneck. Erwin Geschonneck trat 1929 der
       KPD bei und war während des Nationalsozialismus sieben Jahre lang in
       Konzentrationslagern eingesperrt: in Sachsenhausen, Dachau und Neuengamme.
       
       In der DDR gehörte er zu den beliebtesten Schauspielern, 2008 starb er im
       Alter von 101 Jahren. Matti Geschonneck wuchs nicht bei ihm auf, hatte aber
       in dessen letzten 20 Lebensjahren ein enges Verhältnis zu seinem Vater:
       „Über seine Zeit im KZ hat er nie viel geredet, denn es erschien ihm
       beinahe unmöglich, diese Erlebnisse nachvollziehbar darzustellen.
       
       ## Brutalität unter den Gefangenen
       
       Seine Haltung wird im Film in einigen verhaltenen Dialogen spürbar.“ Vor
       allem in einer grandiosen, geradezu gespenstischen Schlüsselszene gegen
       Ende, über die nicht zu viel verraten werden soll. In ihr wird auf
       eindringliche Weise dargestellt, was Geschonneck auch durch Gespräche mit
       seinem Vater klar geworden ist: „Beim Überlebenskampf im KZ waren nicht nur
       SS-Leute die Gegner, man konnte auch bei den eigenen Leuten unter die
       Totschläger geraten.
       
       Natürlich gab es unter den Gefangenen Freundschaft und Solidarität, aber
       eben auch Verrat und Brutalität untereinander. Diejenigen, die sich da
       durchgesetzt haben, überlebten mit schwerem Seelenballast. Das Paradox:
       Schuldbewusstsein gab es nach dem Ende des Nationalsozialismus eher auf
       Seiten der Opfer.“
       
       24 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sven Sakowitz
       
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