# taz.de -- Freie Schulwahl in Gefahr: Gymnasien kriegen den Rest
       
       > Schleswig-Holstein will, dass weiterführende Schulen ihre Plätze nach
       > Leistung vergeben. Kritiker befürchten, dass Grundschüler ohne Noten das
       > Nachsehen haben.
       
 (IMG) Bild: Gemeinsames Lernen an der Gemeinschaftsschule soll nicht allen vergönnt sein
       
       KIEL taz | Hat der Viertklässler immer die richtigen Hefte und Bücher
       dabei? Schreibt seine Banknachbarin fehlerfrei Deutsch? Wie fair gehen die
       Kinder im Sportunterricht und in den Pausen miteinander um? Detailliert
       fragen die „Entwicklungsberichte zum Übergang an die allgemeinbildenden
       Schulen“ in Schleswig-Holstein solcherlei ab. Die mehrseitigen Auswertungen
       ersetzen mancherorts die Abschlusszeugnisse am Ende der Grundschulzeit,
       denn Noten sind in den Klassen drei und vier nicht vorgeschrieben. Diese
       Entwicklungsberichte zeigen aber durchaus, ob ein Kind leistungsstark oder
       lernschwach ist, ob es den Unterricht stört oder kreativ mitarbeitet. Zwar
       dürfen Eltern ihre Kinder an jeder Schule anmelden, egal wie die Noten oder
       der Bericht aussehen. Doch wenn Schulen mehr Bewerbungen als Plätze haben,
       dürfen sie aussieben.
       
       Wie gesiebt wird, regelt ein Erlass des Schulministeriums. Gerade wird eine
       Neufassung beraten, die für Protest sorgt: Der Elternwille auf freie
       Schulwahl werde eingeschränkt, so die Kritik. „Wahlfreiheit adé“, sorgt
       sich die Vorsitzende des schleswig-holsteinischen Elternvereins, Astrid
       Schulz-Evers. Der Verein kämpft mit seiner Initiative „G 9 jetzt“ dafür,
       dass das Turbo-Abitur an den Gymnasien abgeschafft wird, und beäugt
       argwöhnisch, ob Gemeinschaftsschulen den Gymnasien vorgezogen werden. Eben
       dies passiere nun, befürchtet Schulz-Evers.
       
       Gerade die besonders begehrten Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe, an denen
       Kinder nach neun statt nach acht Jahren das Abitur ablegen können, ohne die
       Schule wechseln zu müssen, könnten „zukünftig die Schülerzusammensetzung
       bestimmen“ und bis zu 20 Prozent der Plätze für „Viertklässler mit einer
       verklausulierten Gymnasialempfehlung“ freihalten, sagt Schulz-Evers.
       Entsprechend müssten die leer ausgegangenen Kinder dann notgedrungen an
       einem Gymnasium angemeldet werden. Auch Kinder mit sonderpädagogischem
       Bedarf werden „quasi ausgegrenzt, wenn Leistungsstärkere die Plätze
       besetzen“, so Schulz-Evers.
       
       Der Vorsitzende des Philologenverbandes Schleswig-Holstein, Helmut Siegmon,
       spricht von einem „dreisten Schülersortierversuch zur Rettung der neuen,
       teuren Kleinstoberstufen an Gemeinschaftsschulen gegen den demographischen
       Trend“. Auch die Opposition kritisiert den Entwurf: Anita Klahn (FDP) sieht
       die Regierung mit einer „obrigkeitsstaatlichen Brechstange“ hantieren.
       Daniel Günther, Chef der CDU-Landtagsfraktion, nimmt an, das
       Schulministerium wolle den Gemeinschaftsschulen mit Oberstufen Abiturienten
       zuschanzen, zitieren ihn die Lübecker Nachrichten.
       
       Dass die Landesregierung aus SPD, Grünen und der Minderheitenpartei SSW die
       Gemeinschaftsschulen befürworten, ist kein Geheimnis – die neue
       Schulministerin Britta Ernst (SPD), die das Amt von der zurückgetretenen
       Waltraud Wende (parteilos) übernahm, macht da keine Ausnahme. Auch den
       Eltern gefällt das Modell, bei dem alle Kinder bis zur zehnten Klassen
       gemeinsam unterrichtet werden. So ist die Gemeinschaftsschule mit insgesamt
       185 Standorten, 40 davon mit einer eigenen Oberstufe, zur verbreitetsten
       weiterführenden Schulart in Schleswig-Holstein geworden (siehe Kasten).
       
       Dass nun ausgerechnet der Erlass zum Schulwechsel, der zurzeit nur als
       Vorschlag vorliegt und zwischen den Parteien und Vereinen beraten wird, die
       Gemeinschaftsschulen bevorzugt, weist Ministeriumssprecher Thomas Schunck
       zurück. Schließlich gehe es nicht darum, Kinder, die eigentlich das
       Gymnasium besuchen wollten, auf die Gemeinschaftsschule umzuleiten.
       „Einziger Ablehnungsgrund ist die Kapazität“, betont Schunck. Um bei zu
       vielen Anmeldungen die Plätze zu vergeben, gebe es schon heute verschiedene
       Kriterien – zum Beispiel, ob bereits ein Geschwisterkind die Wunschschule
       besucht. Es darf auch gelost werden – „das ist ein gerichtsfestes
       Verfahren.“ Auch der Blick auf die Noten war schon bisher eines der
       Auswahl-Kriterien. Weil aber die Noten nicht mehr überall vergeben werden,
       müsse der Erlass angepasst werden. Gefragt sind dann so genannte
       überfachliche Leistungen wie soziale Kompetenz oder Lernbereitschaft. Die
       Schulpolitikerin der Grünen-Landtagsfraktion, Anke Erdmann, bestätigt:
       „Hier wird nur etwas fortgeschrieben, was bisher schon gängige Praxis war.“
       Der Versuch, eine gute Mischung von leistungsstarken und -schwächeren
       Kindern herzustellen, entspreche der Idee der Gemeinschaftsschulen.
       
       Wie der Erlass am Ende aussehen wird, steht noch nicht fest. Gerade hat der
       Entwurf die erste Anhörung hinter sich. Diverse Gruppen und Verbände haben
       sich geäußert und nun ist das Ministerium dabei, die Stellungnahmen
       auszuwerten.
       
       10 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Geisslinger
       
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