# taz.de -- Gentrifizierung in St. Peter-Ording: Samy Abdalla zieht weg
       
       > St. Peter-Ording galt lange Zeit als Familienkurort mit
       > Waschbeton-Charme. Doch seit der Finanzkrise 2008 kommen die Investoren
       > und bauen Luxuswohnungen.
       
 (IMG) Bild: Hinter‘m Deich liegt das Geld: St. Peter-Ording verändert sich.
       
       ST. PETER-ORDING taz | Samy Abdalla lächelt dem älteren Ehepaar und dem
       erwachsenen Sohn einladend zu, wie es sich für einen Gastwirt gehört und
       versteckt dabei die Zigarette zwischen den Fingern unter der Tischplatte.
       An der Wand klebt ein Nichtraucherschild. Samy Abdalla hat 2007 das
       Rauchverbot persönlich eingeführt, noch vor der offiziellen Verordnung
       Anfang 2008. Darauf ist er stolz. In einem Familienrestaurant schicke es
       sich nicht zu rauchen, sagt er. „Das ist eine Todesstrafe.“
       
       Aber heute ist es egal. „Wir hatten gestern unseren letzten Tag“, sagt Samy
       Abdalla und der Sohn des Ehepaars, der noch in der Tür steht, öffnet den
       Mund und es kommt nichts heraus. „Der Mietvertrag wird nicht verlängert“,
       sagt Samy. – „Wo können wir denn jetzt hin?“ fragt die Mutter. „Wir wollten
       was Einheimisches essen.“ Jetzt findet der Sohn seine Sprache wieder: „Wenn
       ich das meinen Leuten erzähle, werden die geschockt sein.“ Der Vater mischt
       sich ein: „Und was kommt danach?“ Samy Abdalla zuckt die Schultern:
       „Irgendwas 08/15.“ – “Wie am Strand“, sagt die Mutter. „Ach Mann, alles das
       Gleiche. Die Geschäfte sind schon alle gleich. Mehr Geld, das ist immer
       dasselbe.“
       
       In der Zeitung lese man, dass die Immobilienpreise steigen, sagt der Sohn.
       „Ich hänge meinen Eltern auch schon im Ohr. Ich ärgere mich nur immer über
       das blöde Gosch-Ding. Dann steht da „Gosch Sylt“ … Wir sind hier nicht auf
       Sylt, wir sind hier in St. Peter!“
       
       1980 hatte Samys Vater Abi Abdalla das alte weiß-blaue Haus im Bad-Zentrum
       von St. Peter-Ording übernommen und darin die Friesenkate eröffnet. Als Abi
       Abdalla 2006 starb, trat Samy an seine Stelle. Die Friesenkate ist eines
       jener Etablissements, in denen unter dem Kassentresen auf einem Regal
       Brettspiele für Kinder liegen; ein Familienrestaurant, in das Gäste über
       Jahrzehnte hinweg immer wieder einkehren, nicht weil in der Küche ein
       Michelin-Koch die Kelle schwingt, sondern weil es menschelt zwischen Gast
       und Wirt. Ein Restaurant, wo die Heizung auf der Toilette aufgedreht ist,
       sogar heute.
       
       Bei seinem Vater gab es für die Kinder immer Sesamstraße- oder Mickey
       Maus-Teller, erinnert sich Samy Abdalla, und danach ein Ü-Ei, damit die
       Erwachsenen ungestört noch weiterklönen konnten. Die Menschen hätten sich
       in der Friesenkate geborgen gefühlt. In der ersten Etage hat Samy einen
       Teil seiner Kindheit verbracht.
       
       ## Lifestyle und Luxus
       
       Doch die Zeichen im Familienkurort St. Peter-Ording ("SPO“) stehen auf
       Umschwung. 50 Millionen Euro hat die Gemeinde seit Ende der 90er-Jahre
       ausgegeben, um die touristische Infrastruktur der 70er- und 80er-Jahre den
       heutigen Ansprüchen anzupassen. Die hölzerne Seebrücke wurde über die
       Salzwiesen hinaus an den Strand erweitert, ebenso erneuert wurde die
       Meerwasser-Erlebnisbad-Therme.
       
       Constanze Höfinghoff, seit August stellvertretende Tourismusdirektorin in
       St. Peter-Ording, spricht von einem „guten Investitionsklima“, das in St.
       Peter-Ording geschaffen worden sei. Nun würden die Privatinvestoren endlich
       nachziehen. In der Vermarktungsbroschüre heißt es, dass „frische Konzepte“
       den 3.800-Einwohner-Ort modernisieren sollen.
       
       Die Entwicklung geht in Richtung Lifestyle und Luxus. Eine der letzten
       erhaltenen Villen aus den 1930er-Jahren wurde üppig zu einem
       „Boutique-Hotel“ saniert, Hoteliers haben ihre Anlagen zu „Resorts“ umbauen
       lassen, die „Vier-Sterne-Superior-Wellnesshotel“ heißen oder die
       Beschreibung „Spa“ im Namen tragen.
       
       Die Veränderung zeigt sich auch in der Gastronomie. Die örtliche
       „Gosch“-Filiale gibt es schon seit Ostern 2008, und das Pfahlbau-Restaurant
       „Arche Noah“ wurde im Frühjahr von der Sylter „Sansibar“ übernommen. Die
       Preise waren fast auf Sylt-Niveau – ob die Küche auch, darüber stritten
       sich die Gäste in einschlägigen Gourmet-Foren. Inzwischen hat die Arche
       Noah wieder einen neuen Besitzer, doch die gehobenen Preise sind geblieben.
       
       Die Veränderungen sind vermutlich unaufhaltsam. Tourismus-Managerin
       Höfinghoff nennt das große Dilemma unserer Zeit: „Im Rahmen der
       Erreichbarkeit aller Destinationen auf diesem Planeten befinden wir uns im
       großen Wettbewerb.“ Das heißt: Mitziehen oder abgehängt werden.
       
       Nun ließe sich sagen, dass St. Peter-Ording nur unter Anhängern der
       Waschbeton-Optik als formvollendet galt. Die Modernisierungsmaßnahmen der
       Gastronomie und Hotels sollen endlich auch Kunden mit Geld bringen. Doch
       nicht allen Bewohnern gefällt das Facelifting, und nicht alle schätzen
       Investoren, die wegen günstiger Zinsen nach der Finanzkrise ihre Vermögen
       in „Betongold“ stecken.
       
       ## Käufer aus der Schweiz
       
       „Es wird unglaublich gesucht“, sagt Rainer Balsmeier, seit 16 Jahren in
       Personalunion Bürgermeister und Tourismusdirektor von St. Peter-Ording. In
       der Gemeinde hat sich der Wert einer Doppelhaushälfte in den vergangenen
       zehn Jahren verdoppelt. Häuser werden verkauft, weil die Erben beim Tod der
       Besitzer ihre Miterben nicht auszahlen können. Ein 40-jähriger Anwohner
       berichtet, das Anwesen seiner Mutter sei gerade auf dem Markt gewesen, da
       hätte auch schon ein Schweizer zugegriffen, ohne über den Preis zu
       verhandeln.
       
       Wer nicht selber wohnt, der lässt vermieten. Aus einem ehemaligen
       friesischen Reetbauernhof werden so „10 Luxuskomfortwohneinheiten“ mit
       kurzem Weg zum Strand und Golfplatz. Für all jene, denen „3 Sterne
       eindeutig zu wenig“ sind, wirbt das Angebot einer Firma für Ferienhäuser.
       Die Nachfrage ist groß, – und das Vermögen nimmt sich den Platz, den es für
       seine Investitionen braucht: Am Rande der Gemeinde auf ehemals grünen
       Wiesen erblühen brandneue Reetdach-Kolonien, im Sprinttempo aufgestellt.
       Die seien gut für das „Ortsbild“, glaubt Bürgermeister Balsmeier.
       
       Claus Heinemann sieht das anders. Der ehemaliger Lehrer und 1. Vorsitzender
       der AG-Ortschronik St. Peter-Ording nennt die Luxus-Domizile „schöne, tote
       Gebiete“. Knapp eine Million Euro kostet ein Einfamilienhaus Baujahr 2015,
       Wohnfläche 150 Quadratmeter. Für die meisten der 2.300
       sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus dem örtlichen Gastronomie-
       und Hotelgewerbe unerschwinglich.
       
       „In den Ort wird immer mehr und größeres Geld reingepumpt“, erzählt Pastor
       Bernd Nielsen. Die Tourismuszentrale vermarkte den Ort zunehmend auf
       schnellere Weise, sagt der Pastor, selbst Besitzer und Vermieter einer
       denkmalgeschützten Reetdach-Kate, in der schon seine Großeltern lebten.
       „St. Peter-Ording verliert seinen dörflichen Charakter.“ Statt
       Nachbarschaft gibt es nun Hochhaus-Anonymität.
       
       ## Die LKWs kommen
       
       Steht St. Peter-Ording vor einer „Versyltisierung“? Verkommt es zum kalten
       Renditeobjekt? „Die Angst erkenne ich nicht“, beschwichtigt Bürgermeister
       Balsmeier. Dass über 60 Prozent der 2.300 Beschäftigten von außerhalb nach
       St. Peter-Ording pendeln, sei normal: In einem Ferienort seien die Mieten
       immer etwas höher als anderswo, so dass sie sich nicht alle leisten können.
       
       „Nicht mit dem Lolli im Mund laufen!“, ruft Samy Abdalla seiner
       achtjährigen Tochter zu, die im Flur mit zwei anderen Kindern unterwegs zum
       Eiscreme-Kühlschrank ist. Die lässt sich nur schwer aufhalten, schließlich
       versteckt sie beim Rennen den Lolli hinter dem Rücken. Samy Abdalla taucht
       die Stäbchen wieder in die brodelnde „Feuertopf“-Gewürzbrühe und fischt
       nach Fleisch; heute isst er mit seiner Familie auswärts, bei Freunden im
       benachbarten Restaurant Fung Hieng Palace.
       
       Es ist früher Nachmittag und nicht viel los. Sonny Diep, der Betreiber des
       Fung Hieng Palace, seine Frau, die Mutter und eine gemeinsame Freundin aus
       Estland sitzen mit am Tisch. Sie lachen, und sie unterhalten sich. Die
       Frage ist: Was macht einen Ort aus? Sie alle bewegt die geplante Abreise
       von Samy Abdalla und seiner Familie aus St. Peter-Ording.
       
       Für Sonny Diep liegt vielleicht bald eine ähnliche Entscheidung an. Der
       Standort des Restaurants ist verlockend für Investoren. Die Einwohner, die
       hier im Zentrum einst über den Geschäften wohnten, sind schon fast alle
       verschwunden. Sonny Diep nimmt die Bedrohung mit Humor. Die vergangenen
       sechzehn Jahre habe er durchgearbeitet. Sollte sein Betrieb schließen
       müssen, „hätte ich endlich Urlaub“.
       
       Samy Abdalla fällt es schwer zu lachen. Draußen vor seinem Auto zittert
       sein Kinn, als er laut darüber nachdenkt, dass er, Sohn eines Flüchtlings
       aus Palästina, mit dem Wegzug seinen Kindern das Umfeld nimmt. Kein Spielen
       mehr am Strand. Übermorgen soll ein LKW kommen und das Inventar aus der
       Friesenkate holen.
       
       ## Das Alte wird fremd
       
       In St. Peter-Ording, so scheint es, ist kein Platz mehr für die Sammy
       Abdallas. Blickt man, die Nordsee im Rücken, über die Salzwiesen hinweg zum
       Ort hin, dann ragt dort ein hellgrauer Turm in den Himmel. Er gehört zum
       „Beach Motel“, einem der neuen Lifestyle-Hotels und nach einigem Streit um
       die Bebauungspläne 2013 abschließend eröffnet. Die Türme sind hoch, vier
       Stockwerke, doch die imitierte Bäderstil-Fassade fügt sich überraschend
       natürlich in die sandige Landschaft ein; man erkennt freilich wegen der
       Deichlinie nur die oberen zwei Etagen.
       
       Vom Strand aus gesehen, mit der Abendsonne im Rücken, ist das „Beach Motel“
       ein Postkartenmotiv. Verlässt man aber den Strand und fährt hinter dem
       Deich auf der Straße entlang, sieht man nur 200 Meter vom Turm des Beach
       Motels entfernt einen zweiten Turm. Es ist das ebenso neue Premium-Hotel
       „Zweite Heimat“.
       
       Zwischen diesen beiden Hotel-Türmen liegen etwas mehr als hundertfünfzig
       Meter. Hundertfünfzig Meter, auf denen alte Einfamilienhäuser stehen.
       Vielleicht drei oder vier, in den Räumen brennt Licht. In ihre turmhohe
       Nachbarschaft eingeklemmt wirken diese Familienhäuser unnatürlich. Es ist,
       als ob sie es wären, die fremd sind.
       
       23 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) E. F. Kaeding
       
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