# taz.de -- Proteste gegen Bau des Nicaraguakanals: „Ein Kampf zwischen Esel und Tiger“
       
       > Ein chinesisches Konsortium hat begonnen in Nicaragua einen gigantischen
       > Kanal vom Atlantik zum Pazifik bauen. Das Landvolk des armen Landes wehrt
       > sich.
       
 (IMG) Bild: „Bis zum letzten Atemzug“: Protest zum Baubeginn am Montag.
       
       RIO GRANDE ap | Esteban Ruiz will für sein Haus kämpfen. Als er in den
       1980ern als einberufener Soldat in den Contra-Kriegen Nicaraguas kämpfte,
       hatte er irgendwann die Nase voll vom Töten und desertierte. Aber jetzt, da
       das Land bedroht ist, das er bestellt und das ihn ernährt, erwacht seine
       Kampfeslust erneut. „Ich werde nicht weggehen“, sagt der 47-jährige Bauer
       entschlossen.
       
       Was sein Land bedroht, ist kein Krieg, keine Revolution. Sondern ein Kanal.
       Das chinesische Konsortium HKND will in den kommenden fünf Jahren einen
       Durchstich durch Mittelamerika realisieren: Von der Karibikküste bis zum
       Pazifik südlich von Managua. Dabei soll der Nicaraguasee durchquert werden,
       das größte Süßwasserreservoir Mittelamerikas. Das geplante
       Investitionsvolumen beläuft sich auf rund 41 Milliarden Euro – ein
       Vielfaches der gesamten Wirtschaftskraft Nicaraguas. Die Bauarbeiten
       begannen am Montag vor Weihnachten.
       
       Der Grund für das Megaprojekt: Der bestehende Panamakanal ist zu klein für
       moderne Containerschiffe und ohnehin vollständig überfordert vom aktuellen
       Bedarf am internationalen Seeverkehr. Die linke Regierung Nicaraguas unter
       dem sandinistischen Präsidenten Daniel Ortega unterstützt das Projekt.
       Immerhin sollen 50.000 neue Arbeitsplätze entstehen und die kränkelnde
       nicaraguanische Wirtschaft soll einen kräftigen Schubs durch die
       chinesische Investition bekommen.
       
       Ruiz sagt, er wolle „bis zum letzten Atemzug“ gegen das Projekt kämpfen.
       Sein Dorf Rio Grande liegt mitten in der Fahrrinne des geplanten Kanals –
       das 2000-Seelennest zwischen Bohnen- Mais- und Hirsefeldern soll komplett
       platt gemacht werden. Wie viele Bauern fürchtet Ruiz, dass er keinen fairen
       Preis für sein Land bekommt. Kritiker des Kanalbaus bemängeln, dass
       Präsident Ortega zu viele Kompetenzen an HKND abgegeben habe.
       Umweltschützer sehen die Qualität des Wassers im Nicaraguasee gefährdet,
       wenn Ozeanriesen durch eine zu schaffende 30 Meter tiefe Fahrrinne
       schippern.
       
       ## Konzessionen ohne Verpflichtungen
       
       Der Protest manifestierte sich bereits in Obrajuedo, einem verschlafenen
       Fischerdorf unweit der Panamericana am Westufer des Nicaraguasees. Steine
       flogen auf die Jeeps der chinesischen Ingenieure, die zu einem Ortstermin
       unterwegs waren. Tags drauf brannten Reifen auf der Panamericana und
       blockierten die wichtigste Straße Mittelamerikas stundenlang. Am 10.
       Dezember demonstrierten 5000 Menschen in der Hauptstadt Managua gegen das
       Kanalprojekt. Laut Angaben der Organisatoren hätten es noch viel mehr sein
       können, hätte die Polizei nicht viele Demonstranten bereits vor dem
       Erreichen der Hauptstadt abgefangen und an der Demoteilnahme gehindert.
       
       In den vergangen Jahren war dies das größte Aufbegehren der Straße gegen
       die Regierung, die jeden Protest im Keim erstickt. „Das zeigt, dass ein
       wichtiger Teil des nicaraguanischen Volks nicht an das Kanalprojekt
       glaubt“, sagt Francisco Aguirre-Sacasa, ehemaliger nicaraguanischer
       Außenminister und Diplomat.
       
       Pläne für die 278 Kilometer lange Querung des Kontinents mit einer
       künstlichen Wasserstraße gibt es bereits seit dem frühen 19. Jahrhundert.
       Die Befürworter rechnen damit, dass das Projekt Nicaragua - eines der
       ärmsten Länder der Welt – aus der wirtschaftlichen Misere führen wird: Für
       50 Jahre wurde HKND die Konzession zum Betrieb des Kanals gewährt, mit
       einer Option auf weitere 50 Jahre. Im Gegenzug finanziert das Konsortium
       den Bau und zahlt darüber hinaus jährlich rund acht Millionen Euro Pacht.
       Der Vertrag gewährt HKND Baurecht für Häfen, Flugplätze, eine Bahnlinie und
       Straßen – ohne jedwede Verpflichtung.
       
       Das Konsortium beauftragte die angesehenen britischen Experten vom
       Environmental Resources Management (ERM) für eine Expertise über mögliche
       Umweltschäden. ERM-Experten reisten diesen Sommer entlang der geplanten
       Kanalroute von Dorf zu Dorf und informierten die Bewohner über die Folgen
       des Baus.
       
       Teilnehmer an den Treffen in den Dörfer berichten, dass ERM nicht an den
       Anregungen der Dorfbewohner interessiert gewesen sei. ERM habe lediglich
       seine Pflicht erfüllt „damit sie sagen können: Wir haben die Treffen
       durchgeführt“, sagt Rosa Amelia Mora Novoa, eine 37-jährige Hausfrau aus
       Rio Grande. Ende November verkündete HKND, der Schaden für die Umwelt sei
       minimal. Insider kritisieren das Tempo der Expertise: Es habe eigentlich
       genug Zeit gegeben, das ordentlich zu machen, sagt einer, der es wissen
       muss, der aber lieber anonym bleiben will.
       
       ## Graffiti gegen das Riesenprojekt
       
       Immerhin hat sich nach dem Umweltgutachten einiges an den ursprünglichen
       Plänen geändert: Die Fahrrinne durch den durchschnittlich nur fünf Meter
       tiefen Nicaraguasee soll nicht konventionell ausgebaggert werden, sondern
       es soll mit einem neuartigen Verfahren der Seegrund abgesaugt werden, um
       eine Trübung des artenreichen Gewässers zu vermeiden.
       
       Die geplanten Häfen an den Enden wurden verlegt – in der Karibik, um den
       Lebensraum eines indigenen Stamms zu schonen und am Pazifik, um einen
       Mangrovenwald zu erhalten. In Managua findet der Kanalbau durchaus
       Befürworter im Volk: „Ich finde das eine unterstützenswerte Idee“, sagt
       Taxifahrer José Marin Solano über das Projekt. „Alles kostet Opfer, aber
       wenn es uns hilft, aus Stagantion und Armut rauszukommen, sollten wir das
       machen“, sagt er.
       
       In Obrajuelo, dem Fischerdorf am Nicaraguasee, ist die Ablehnung des
       Projekts dagegen an den Wänden zu lesen: „Ortega verkauft uns“, steht da in
       Graffiti und „Chinesen raus“. Albalina Espinoza droht, ihr Dorf sei darauf
       vorbereitet, sollten die chinesischen Ingenieure noch einmal zurückkommen.
       Wie sie sich wehren will, sagt sie nicht. Ihr Nachbar José Jesús Vanegas
       López dagegen hat die Hoffnung schon fast aufgegeben. „Das hier“, sagt er,
       „ist wie ein Kampf zwischen einem angepflockten Esel und einem
       freilaufenden Tiger.“
       
       25 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Orsi
       
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