# taz.de -- Humboldt-Kalmare sind anpassungsfähig: Gewinner des Klimawandels
       
       > Während der Lebensraum vieler Fischarten schrumpft, breitet sich der bis
       > zu zwei Meter große Humboldt-Kalmar aus. Er ist ein Meister der
       > Anpassung.
       
 (IMG) Bild: Humboldt-Kalmare können ihre Hautfarbe blitzschnell von Rot nach Weiß ändern
       
       Ein rekordverdächtiger El Niño bescherte Kalifornien im Winter 1997/98
       nicht nur Unwetter und Überschwemmungen, sondern auch den Humboldt-Kalmar.
       Bis zu 2 Meter groß und 50 Kilogramm schwer, tritt der Tintenfisch in
       Schwärmen von mehr als 1.000 Tieren auf. Normalerweise lebt er in den
       Gewässern vor Zentral- und Südamerika. In den letzten 16 Jahren hat er sich
       nach Norden ausgebreitet, sogar vor Alaska wurde er gesichtet.
       
       Wissenschaftler glauben, der Siegeszug des Humboldt-Kalmars hängt damit
       zusammen, dass weniger Sauerstoff in die Meere gelangt (Stewart et al.,
       „Global Change Biology“, 2014). Sogenannte Sauerstoffminimumzonen (Oxygen
       Minimum Zones, OMZs) sind Bereiche, die im Schnitt nur ein Zehntel so viel
       Sauerstoff enthalten wie das umgebende Wasser.
       
       Bisher waren sie auf tropische Gewässer und Meerestiefen von 200 bis 1.000
       Metern beschränkt. Durch die Erwärmung der Ozeane haben sie sich in den
       letzten 50 Jahren ausgebreitet. Das hat das Team von Lothar Stramma,
       Ozeanograf am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanografie in Kiel
       herausgefunden. Stramma erklärt: „Zum einen löst sich Sauerstoff in warmem
       Wasser schlechter, zum anderen nehmen die Strömungen ab.
       
       Normalerweise sinkt kaltes, sauerstoffreiches Wasser in polaren Regionen
       nach unten und strömt in tropische Gewässer. Diese Absenkbewegung wird
       durch wärmeres Wasser abgeschwächt.“ Da der Nachschub ausbleibt, wachsen
       die sauerstoffarmen Zonen, sowohl horizontal als auch vertikal. Im
       Fachmagazin Nature Climate Change beschreiben die Wissenschaftler, wie
       dadurch der Lebensraum im Oberflächenwasser schrumpft. Als Folge sind Arten
       wie Thun- und Schwertfisch der Überfischung stärker ausgesetzt.
       
       Für den Humboldt-Kalmar ist Sauerstoffmangel kein Problem, obwohl er
       ebenfalls mit Kiemen atmet. Sören Häfker ist Doktorand am
       Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Er war an Bord des
       US-amerikanischen Forschungsschiffs „New Horizon“ im Golf von Kalifornien
       unterwegs und hat genau diese Eigenschaft des Tieres studiert.
       
       ## Schnelles Wachstum
       
       Häfker erklärt „Der Humboldt-Kalmar stellt bei Bedarf seinen Stoffwechsel
       um und gewinnt ohne Sauerstoff zusätzliche Energie, ähnlich wie unsere
       Muskulatur beim Kraftsport.“ Energie braucht der Kalmar, denn er wächst
       schnell: innerhalb von zwei Jahren von zwei Millimeter auf zwei Meter.
       
       Dafür muss er täglich zehn Prozent seines eigenen Körpergewichts fressen.
       Wählerisch ist er nicht. Auf dem Speiseplan stehen unter anderem Krill,
       Fische, andere Tintenfische und auch Artgenossen.
       
       William Gilly, Biologe an der Stanford University, erforscht
       Humboldt-Kalmare seit 2001. Er sagt: „Sie ziehen dahin, wo sie Futter
       finden.“ In starken El-Niño-Jahren brechen im Ostpazifik ganze
       Nahrungsketten zusammen und die Kalmare wandern nach Norden und Süden aus.
       Bei Nahrungsmangel haben sie noch eine andere Strategie. Gilly erklärt:
       „Sie bleiben klein. Wir haben Schwärme von Tieren beobachtet, die mit 40
       Zentimetern schon geschlechtsreif waren.“ Ein Weibchen produziert in seinem
       kurzen Leben mehrere Millionen Eier.
       
       ## Gutes Erinnerungsvermögen
       
       Der Humboldt-Kalmar setzt nicht nur auf körperliche Fitness und schnelle
       Fortpflanzung, sondern auch auf Köpfchen. Gilly hat mit Sonar beobachtet,
       wie sich bis zu 40 Tiere unter Wasser in einer geordneten Spirale aufwärts
       bewegen – eine Gruppenjagd vermutet der Wissenschaftler. Außerdem können
       die Kalmare ihre Hautfarbe blitzschnell von Rot nach Weiß ändern. Zusammen
       mit einem National-Geographic-Filmteam hat Gilly herausgefunden, dass sie
       diesen Farbwechsel aktiv kontrollieren und die Frequenz mit anderen
       Kalmaren abstimmen. Gilly ist sich sicher, dass sie auf diese Art
       miteinander kommunizieren.
       
       „Kopffüßer sind bekannt für ihre Fähigkeit, zu lernen und sich zu erinnern.
       In freier Wildbahn zeigen sie hoch entwickeltes Verhalten beim Jagen,
       Verteidigen und Reproduzieren“, sagt Anna Di Cosmo, Zoologin an der
       Universität von Neapel Federico II. Besonders Kraken sind die Superhirne
       unter den Tintenfischen. Sie zeigen ein individuelles Wesen und benutzen
       Werkzeuge, zum Beispiel bauen sie sich Verstecke aus Kokosnussschalen,
       schrauben Deckel von Gläsern oder schauen sich Tricks von Artgenossen ab.
       
       „Ihre Anpassungsfähigkeit deutet darauf hin, dass diese Tiere ein
       Bewusstsein haben und Schmerzen empfinden“, sagt Di Cosmo. Seit Januar 2013
       sind Kopffüßer in eine EU-Richtlinie zum Schutz von Versuchstieren
       einbezogen. Di Cosmos Forschungsgruppe hat vor Kurzem eine
       Anästhesie-Methode für Tintenfische veröffentlicht im Journal of Aquatic
       Animal Health. 
       
       ## Ein Ausbruchskünstler
       
       Das Berliner Sea-Life-Aquarium hat derzeit eine Oktopus-Sonderausstellung.
       Darin ist noch bis 20. Februar 2015 ein Pazifischer Riesenkrake mit einer
       Armspanne von zweieinhalb Metern zu sehen. Chefaquarist Martin Hansel sagt:
       „Kraken sind wahre Ausbruchskünstler. Lässt man den Deckel offen, dann
       kriechen sie aus ihrem Tank oder greifen nach dem Pfleger.“
       
       Allerdings beschäftigt sich Hansel mit Kraken besonders gern, „weil sie
       auch interagieren, wenn es nichts zu fressen gibt“. Wenn er am Beckenrand
       steht, muss er sich gegen die vielen Saugnäpfe wehren, so lange, bis er das
       Tier am Kopf krault, dann hält es still.
       
       Bisher ist es noch nicht gelungen, den Humboldt-Kalmar in Gefangenschaft zu
       halten, um sein Verhalten besser zu studieren. Dem Biologen William Gilly
       zufolge könnte man seinen „IQ“ ohnehin nicht auf die gleiche Weise testen
       wie den der Kraken, da er nicht am Meeresgrund, sondern in der
       dreidimensionalen Wassermitte lebt.
       
       Egal, wie klug der Humboldt-Kalmar sein mag, gegen seinen gefährlichsten
       Räuber, den Menschen, hat er trotzdem keine Chance. Die Fangzahlen sind auf
       800.000 Tonnen pro Jahr gestiegen. Von den Hauptfischereien in Mexiko, Peru
       und Chile landet der Tintenfisch getrocknet oder gefroren auf Märkten in
       Südamerika und Südostasien.
       
       2 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Adriane Lochner
       
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