# taz.de -- Die ukrainische Hafenstadt Berdjansk: Sandstrände und Checkpoints
       
       > Zwischen Mariupol und der Krim liegt Berdjansk. Die Bewohner befürchten
       > eine russische Invasion. Diese Woche stürzten sie erst Lenin vom Sockel.
       
 (IMG) Bild: Ein Junge am Asowschen Meer bei Mariupol
       
       BERDJANSK taz | Der Primorski-Platz in der südukrainischen Hafenstadt
       Berdjansk hat sich fein herausgeputzt. Es gibt neue Marmorplatten, Bänke,
       Laternen und Umzäunungen. Bis zum Donnerstag dieser Woche beobachtete ein
       sechs Meter hoher Lenin von einem Podest aus das Geschehen in dem
       100.000-Einwohner-Ort. Dann wurde der Führer der proletarischen
       Weltrevolution in den frühen Morgenstunden von Unbekannten vom Sockel
       geholt.
       
       Auf dem Markt ist die Schleifung des Denkmals das Gesprächsthema Nummer
       eins. Das hätte man nicht tun dürfen, sagt Oksana, eine ältere Verkäuferin.
       „Wen hat er denn gestört? Er stand einfach da, das war doch ganz schön.
       Jetzt werden die Russen denken, es gebe hier nur Faschisten, und auch in
       unsere Stadt einfallen.“
       
       Nelja, eine junge Frau, die ihre Waren am Nachbarstand verkauft, sieht das
       vollkommen anders. „Solange es in unserer Stadt immer noch Überbleibsel der
       sowjetischen Vergangenheit gibt, so lange werden wir auch ein sowjetischer
       Kurort bleiben. Russische Touristen werden in diesem Jahr nicht kommen –
       unsere einzige Hoffnung sind die Ukrainer. Und die brauchen kein
       Lenin-Denkmal. Sie brauchen schöne Strände, einen guten Service und gute
       Straßen. Hoffentlich wird es das alles bei uns geben“, sagt sie.
       
       Berdjansk mit seinen schönen Stränden, schon zu Zeiten des Diktators Josef
       Stalin berühmt für Schlammkuren, gehörte bislang zu den beliebtesten
       Erholungsgebieten der Ukraine. Ein Großteil der Bevölkerung lebt vom
       Tourismus. Das Geld, das im Sommer verdient wird, muss für den Rest des
       Jahres reichen.
       
       ## Kurz vor der Insolvenz
       
       Andere Einkommensquellen sind hingegen rar. So steht das Asmol-Werk, einst
       wichtigster inländischer Produzent von Ölen, Salben und Cremes, kurz vor
       der Insolvenz. Man könne nicht mehr mit der billigen Importware mithalten,
       heißt es. Ähnlich ist es um die Fischfabrik bestellt. Im Asowschen Meer
       gibt es kaum noch Fische.
       
       Glücklich schätzt sich jeder, der trotzdem einen Job hat, auch wenn sich
       hier kaum mehr als umgerechnet 130 Euro im Monat verdienen lassen. Vielfach
       wird deutlich weniger bezahlt. Rentner müssen sich mit 60 bis 70 Euro im
       Monat zufriedengeben, was kaum ausreicht, um über die Runden zu kommen.
       
       Faktisch sind die Renten und Löhne angesichts von sinkender Kaufkraft und
       steigender Inflation gefallen. Mehr als die Hälfte der Einkommen
       verschlingen die Gebühren für kommunale Dienstleistungen wie beispielsweise
       Wasserversorgung.
       
       Doch Berdjansk hat nicht nur ökonomische Probleme. Die Stadt liegt nur rund
       80 Kilometer entfernt von Mariupol, wo am 24. Januar bei einem Angriff 30
       Menschen getötet und über 100 verletzt wurden. Wie immer in diesem Krieg im
       Osten der Ukraine bezichtigten sich die prorussischen Kämpfer und die
       ukrainische Armee gegenseitig, für den mörderischen Überfall verantwortlich
       zu sein.
       
       ## Weniger Tourismus
       
       Zudem befindet sich Berdjansk an einem Punkt, über den eine Landverbindung
       zwischen Russland und der Krim führt. Seit Langem machen deshalb Gerüchte
       die Runde, dass die Russen die Stadt im Frühjahr einnehmen werden. In
       diesem Fall – davon sind die Einwohner überzeugt – könne man den Tourismus
       wohl komplett vergessen.
       
       Als abschreckendes Beispiel wird die im vergangenen März von Russland
       annektierte Krim angeführt, auf der im vergangenen Jahr 80 Prozent weniger
       Touristen Urlaub machten. „Wenn auch bei uns Putins grüne Männchen
       auftauchen, heißt es die Sachen packen und abhauen von hier. Und dann so
       weit weggehen, wie es nur geht“, sagt Nelja.
       
       Kristina, Mitarbeiterin im Bürgermeisteramt, möchte sich zu dem Thema einer
       möglichen russischen Invasion lieber nicht äußern. Die örtlichen Machthaber
       täten jedoch alles, um die Stadt zu schützen. So würden Checkpoints
       verstärkt, Rettungsdienste in Alarmbereitschaft versetzt, genauso wie Ärzte
       und Ordnungskräfte. Weitere Infos erfährt man nicht, alle Beamten sind
       entweder in Sitzungen oder gerade auf dem Weg zu irgendwelchen „Objekten“.
       
       Offensichtlich liegt die Sicherheit der Stadt den Behörden am Herzen. Im
       Bahnhof patrouilliert die Polizei. Dieser ist, wie auch der Busbahnhof,
       normalerweise im Winter wie ausgestorben. Das hat sich geändert. Denn seit
       sich die Situation in Mariupol zugespitzt hat, läuft der gesamte Verkehr
       über Berdjansk. Von hier fahren Züge nach Kiew, Lemberg und in andere
       Städte. Auch der Busverkehr nach Dnjepropetrowsk und Saparoschje hat sich
       intensiviert, damit Flüchtlinge aus dem umkämpften Osten ihre Heimatorte
       verlassen können.
       
       ## Die Leute haben kein Geld
       
       Sergej ist 28 Jahre alt, Friseur und betreibt mitten in der Stadt einen
       Schönheitssalon. Doch derzeit kann sich kaum jemand einen Besuch dort
       leisten. „Die Leute haben kein Geld mehr und gehen daher zu
       preisgünstigeren Friseuren. Wer gerade eine Insolvenz angemeldet hat oder
       aus anderen Gründen sparen muss, der hat nicht das Geld, um meinen Laden
       aufzusuchen. Ich weiß nicht, wie lange ich mich hier noch halten kann“,
       seufzt der Jungunternehmer.
       
       Bis zum Sommer will er noch abwarten, wie sich die Situation entwickelt.
       Notfalls müsse er dann eben schließen. Nachrichten schaue er sich übrigens
       schon lange nicht mehr an. „Das“, sagt er, „macht mich depressiv.“
       
       Aus dem Russischen von Barbara Oertel und Bernhard Clasen
       
       30 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andrej Nestterko
       
       ## TAGS
       
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