# taz.de -- Erneuerer der Lichtbildnerei: Fotograf und Dandy
       
       > Alvin Langdon Coburns Einfluss auf die stilistische und technische
       > Entwicklung des Mediums Fotografie ist heute unumstritten. In
       > Fachkreisen.
       
 (IMG) Bild: Werk des Künstlers: Bahnhofdach, Pittsburgh (1910).
       
       Der 1882 in Boston geborene Alvin Langdon Coburn hatte schon in sehr jungen
       Jahren begriffen, dass es einfach darauf ankam, sehr ernsthaft und ohne
       Scheu seine Anliegen zu vertreten. Zielgerichtet und beharrlich. Bereits
       mit 17 Jahren war er in Ausstellungen mit der Avantgarde der amerikanischen
       Fotografie vertreten, gehörte seitdem zum Kreis der Großen, arbeitete mit
       Alfred Stieglitz und Edward Steichen, hatte sich rasch in New York und
       London, den Zentren der modernen Fotografie, einen Namen gemacht.
       
       Sein Einfluss auf die stilistische und technische Entwicklung des Mediums
       ist heute unumstritten. In Fachkreisen. Seine anfänglich schier
       unerschöpfliche Begeisterung, Hingabe und Kampflust währte nicht allzu
       lang; 1920, er war noch nicht vierzig, zog er sich vom Kunstbetrieb zurück
       und geriet prompt in Vergessenheit. Nur nicht in Fachkreisen.
       
       Seinen überaus umfangreichen fotografischen Nachlass, einschließlich des
       technischen Materials und seiner Sammlung von fotografischen Arbeiten der
       von ihm geschätzten Kollegen, hat Coburn noch zu Lebzeiten dem George
       Eastman House (Rochester, NY) vermacht.
       
       Eine große Retrospektive, zusammengetragen von der Coburn-Expertin Pamela
       Glasson Roberts, ist noch bis Ende der Woche in der Fundación Mapfre in
       Madrid zu sehen. Traditionell chronologisch gehängt, zeichnet sie den
       künstlerischen Werdegang des einfühlsamen Porträtisten und des radikal
       vorwärtstreibenden rastlosen Erneuerers eines sich noch reichlich
       unentschieden positionierenden Mediums nach.
       
       Angefangen hat der selbstbewusste Autodidakt als Porträtist literarischer
       und künstlerischer Berühmtheiten. Er pendelte bis 1913, gefördert von
       seinem Cousin, dem exzentrischen Piktoralisten F. Holland Day, der ihn auch
       schon mal als Jesusfigur mit Heiligenschein ablichtete und die elitäre
       Attitüde des genialischen Dandys vorlebte, zwischen London, Boston und New
       York.
       
       ## Des Symbolismus überdrüssig
       
       Dort hatte er, des gekünstelten und mit extremen technischen Finessen
       manipulierten Symbolismus überdrüssig, bereits 1902 mit Alfred Stieglitz,
       Edward Steichen, Frank Eugene, Gertrude Käsebier und anderen Abtrünnigen
       der manierierten Piktoralisten-Szene die „Photo-Secession“ gegründet.
       
       Er war an Ausstellungen in Stieglitz' Galerie „291“ in der Fifth Avenue
       beteiligt, publizierte in der berühmten Zeitschrift „Camera Work“ und in
       von ihm sehr modern konzipierten Bildbänden seine handwerklich makellos
       produzierten Helio- beziehungsweise Photogravüren.
       
       Einer seiner ersten Auftraggeber, da war er grade mal 18 Jahre alt, war
       George Bernard Shaw, den er bald darauf nackt in der Pose des Rodinschen
       Denkers fotografierte. Die moderne Auffassung seiner Porträts, die er
       anders als zu jener Zeit noch üblich, ohne belebende Hintergründe,
       Accessoires und sonstiges narratives Beiwerk geradezu puristisch
       inszenierte, machten ihn berühmt. Er arbeitete mit Platinum und entwickelte
       ein ausgeklügeltes System zur Herstellung von Heliogravüren.
       
       Er fotografierte die Londoner Straßen, die stattlichen Gebäude an den Ufern
       der Themse, die Brücken in herrlichem Helldunkel-Sfumato mit besonderem
       Augenmerk auf die Harmonie, aber auch die Spannung von Linie, Kontrast und
       Tonigkeit.
       
       ## Der erste, der aus der Vogelschau fotografierte
       
       Doch war er auch der erste, der aus der Vogelschau arbeitete, da war das
       Bauhaus noch weit, er betrachtete sein New York stets vom neuesten Hochhaus
       aus, nannte die Aufsicht auf den verschneiten Madison Square mit seinen auf
       den zentralen Kreis zulaufenden Wegen „The Octopus“; Brooklyn Bridge und
       London Bridge faszinierten ihn ebenso wie die Niagarafälle, der Grand
       Canyon, der Yosemite Park und die „Pittsburgh Chimneys“ der großen
       Fabriken.
       
       Die meisten dieser Aufnahmen druckte er auf seiner Kupferdruckpresse als
       Photogravüren, ihm war an der Verbreitung der Fotografie in Publikationen
       gelegen und er veröffentlichte in allen einschlägigen Fachzeitschriften von
       Rang. Er reiste nahezu rastlos in Europa und den USA.
       
       1913 heiratete er seine Jugendfreundin Edith, lebte mit ihr und seiner
       vermögenden Mutter eine sicherlich sehr anstrengende, gleichwohl ebenfalls
       dandyhafte Ménage a Trois in London, in sein Heimatland reiste er danach
       nicht mehr.
       
       1917, mit Mitte dreißig, schien er bereits erschöpft, wusste zumindest,
       dass die Fotografie neue Wege beschreiten müsse. Um bestehen zu können, um
       Autonomie im Feld der bildenden Künste zu erreichen, die längst schon den
       Aufbruch in die Moderne vollzogen hatten.
       
       Er hatte vor allem durch die Bekanntschaft mit dem großen Dichter Ezra
       Pound (der später so jämmerlich in den Faschismus abgeglitten war)
       begonnen, sich für den Vortizismus zu interessieren, die englische Variante
       eines Amalgams aus französischem Kubismus und italienischem Futurismus. Man
       huldigte der Geschwindigkeit, der Bewegung, den Maschinen – und
       abstrahierte.
       
       ## Vorbei die Zeit des Impressionismus
       
       Vorbei die Zeiten, als man die formalen und kompositorischen
       Gesetzmäßigkeiten der Malerei, die Lichtregie und die Naturstimmungen der
       Impressionisten eifrig nachahmte. Coburn, der sich bis dahin immer noch der
       malerischen Fotografie, verschrieben hatte, begann zu experimentieren.
       
       Immer schon hatten ihn die technischen Möglichkeiten, die Finessen einer
       Kamera herausgefordert. Er installierte drei Spiegel als Triangel vor der
       Linse und fotografierte die nun unter einem Prisma liegenden, fraktierten
       Holzstückchen oder Kristalle, eine rätselhafte, kaleidoskopische
       Abstraktion war das Ergebnis.
       
       Die 18 mit dem „Vortoscope“ hergestellten „Vortographs“, die er 1917 in
       London ausstellte, erregten bei den Kollegen, bei Kritik und Publikum
       reichlich Aufmerksamkeit und ebenso große Irritation. Bei Pound und Shaw
       löste er freilich ungeteilte und nimmer versiegende Zustimmung aus. Von der
       Fachkritik gab es überwiegend Spott, sie konnte sich nicht so richtig
       zurechtfinden in Coburns Anspruch und Bildwelt („eine recht unterhaltsame
       halbe Stunde lässt sich damit zubringen, herauszufinden, wie herum ein
       ,Vortograph` am besten aussieht“).
       
       Anfang der 20er Jahre, nachdem er sich noch der „Abstraktion“ von
       Baugerüsten und Balkenkonstruktionen gewidmet hatte, verlor Coburn das
       Interesse an diesem und weiteren Experimenten, an den Befindlichkeiten,
       Intrigen und Machtkämpfen der Szene sowieso. Er wandte sich der
       Freimaurerei zu, verlor sich im Mystischen, lebte mit seiner Frau
       abgeschieden in Wales. Die Fotografie ließ ihn, der wie kein anderer die
       Brücke zwischen historischer und Avantgardefotografie gespannt hatte, nie
       ganz los; hin und wieder gab es später noch Ausstellungen.
       
       Sein Rang als virtuoser Symbolist, als leidenschaftlicher Verfechter der
       Autonomie des von ihm technisch versiert beherrschten Mediums, das er bei
       aller Skepsis gegenüber der piktoralistischen Fotografie weiterhin
       bevorzugt in weichzeichnender Morbidezza präsentierte, blieb unumstritten.
       
       1966 jedoch, als er starb, belegten seine Aufnahmen im Mausoleum der
       historischen Fotografie einen Ehrenplatz – trotz ihrer damals allseits
       attestierten Dekadenz. Und heute erzielt eine Vortographie, so sie denn
       überhaupt auf dem Markt auftaucht – Coburn hat nur wenige Abzüge gemacht,
       manches Mal nur einen –, bis zu 500 000 Euro wie bei Sotheby's, New York am
       1. März 2014 geschehen.
       
       5 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Annegret Erhard
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Berlin
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
       
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