# taz.de -- Kolumne Macht: Eine Frage der Daseinsfürsorge
       
       > Wenn die Lokführer streiken, schimpfen alle auf die Gewerkschaften. Aber
       > warum nicht auf den Staat? Der wäre eigentlich zuständig.
       
 (IMG) Bild: Es fährt ein Zug nach Nirgendwo. Oder auch nicht.
       
       Vor einigen Tagen bin ich mit dem Auto von Berlin nach München gefahren.
       Stellenweise herrschte Nebel, in Franken lag noch ziemlich viel Schnee.
       Glatteisgefahr. Nicht angenehm, aber die Lokführer hatten mal wieder mit
       Streiks gedroht. Dann fügt man sich halt seufzend ins Unvermeidliche und
       schimpft abends auf die Gewerkschaft.
       
       Wieso schimpft eigentlich niemand auf den Staat? Ist doch sonst ein
       beliebtes Thema. Und der wäre in diesem Fall auch die richtige Adresse für
       Unmutsäußerungen.
       
       Landwirtschaftsminister Christian Schmidt hat erklärt, die Tarifautonomie
       in Deutschland sei ein „hohes Gut“, sie sollte seiner Ansicht nach
       „allerdings nicht zu Lasten der Daseinsvorsorge ausgenutzt werden“. Er
       meinte damit, dass viele Pendler auf die Bahn angewiesen sind, um ihren
       Arbeitsplatz zu erreichen. Wer es ernst meine mit der Entwicklung des
       ländlichen Raums, so Schmidt, der dürfe „die Pendler nicht auf den
       Bahnsteigen stehen lassen.“
       
       Recht hat er. Aber was will der Minister uns damit sagen? Was immer die
       Aufgabe von Gewerkschaften ist: Die Entwicklung des ländlichen Raums gehört
       nicht dazu. „Daseinsvorsorge“ übrigens auch nicht. Würden sich
       Gewerkschaften – weil sie einfach nett sein wollten – darum kümmern, dann
       könnte man ihnen die Verschwendung von Mitgliedsbeiträgen vorwerfen.
       
       ## Der ländliche Raum
       
       Daseinsvorsorge ist ein etwas sperriger Begriff, der unter anderem die
       Bereitstellung der allgemeinen Infrastruktur bedeutet. Die Entwicklung des
       ländlichen Raums ist ein Teil davon. Das ist eine staatliche Pflicht. Keine
       gewerkschaftliche.
       
       Unter anderem deshalb ist die Bahn ein Staatsbetrieb, der aber seit den
       neunziger Jahren privatwirtschaftlich organisiert ist. Privatisierung war
       damals groß in Mode. Man versprach sich viel davon: besseren Service, mehr
       Kundenfreundlichkeit, Entlastung der Steuerzahler, größere Attraktivität
       des Schienenverkehrs.
       
       Nun ja. Erfolgsgeschichten sehen anders aus. Selbst wenn man die
       verheerenden Folgen unberücksichtigt lässt, die der nette Einfall nach sich
       zog, mit der Bahn an die Börse gehen zu wollen.
       
       Es gibt verschiedene Möglichkeiten, einen zuverlässigen öffentlichen Dienst
       zu organisieren. Eine davon ist das Berufsbeamtentum, das besondere
       Privilegien genießt, aber kein Streikrecht hat. Über das Beamtentum lässt
       sich streiten, aber wenn man es grundsätzlich für sinnvoll hält: Warum
       meinte man irgendwann, es ausgerechnet für Lokführer abschaffen zu wollen?
       Was für ein Gesellschaftsbild steckt hinter der Vorstellung, dass es nicht
       so wichtig sei, ob Züge verlässlich fahren? Dass die Terminplanung der
       Bevölkerung so bedeutend nicht ist?
       
       In Ländern, in denen die öffentliche Infrastruktur schlecht funktioniert
       oder ganz zusammengebrochen ist, können wohlhabende Schichten fast alles
       das, wofür eigentlich der Staat zuständig ist, privat finanzieren: Bildung
       und Sicherheit beispielsweise, natürlich auch Mobilität. Weniger
       wohlhabende Leute haben allerdings das Nachsehen.
       
       Es ist niemals leicht, einen Fehler einzugestehen. Aber es ist möglich. Die
       Privatisierung der Bahn in Neuseeland war ein Fehlschlag und wurde daher im
       Jahr 2008 konsequent rückgängig gemacht.
       
       Der Weg von Berlin nach München ist weit, wenn man allein im Auto sitzt.
       Viel Zeit, um zu bedauern, dass jetzt allerorten über Tarifautonomie
       geredet wird und nirgends über die Probleme, die eine Privatisierung
       staatlicher Aufgaben mit sich bringt.
       
       28 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Gaus
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Privatisierung
 (DIR) Deutsche Bahn
 (DIR) Gewerkschaft der Lokführer
 (DIR) Garissa
 (DIR) Russland
 (DIR) Schwerpunkt Krise in Griechenland
 (DIR) Euro-Krise
 (DIR) Trauer
 (DIR) Anzeige
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kolumne Macht: Ein vorhersehbares Blutbad
       
       Dem kenianischen Präsidenten Uhuru Kenyatta spielte die Trägödie von
       Garissa, bei der 147 Menschen starben, in die Hände. Mindestens.
       
 (DIR) Kolumne Macht: EU-Armee, weiter eine schlechte Idee
       
       Die Gründung einer europäischen Armee wird wieder mal vorgeschlagen. Leider
       wird diese Idee nicht besser, wenn man sie wiederholt.
       
 (DIR) Kolumne Macht: Wer wem ein Lied singen darf
       
       Australien nimmt am Eurovision Song Contest teil und gehört damit zu
       Europa. Ob Deutschland noch dazu gehörte, wenn abgestimmt würde?
       
 (DIR) Kolumne Macht: Theaterdonner, nichts weiter
       
       Austritt? Rausschmiss? Es geht nicht darum, ob Griechenland ein Teil der
       Eurozone bleibt. Denn ein Teil Europas bleibt es so oder so.
       
 (DIR) Kolumne Macht: Zurschaustellung von Solidarität
       
       Die Staatschefs, die in Paris trauerten, waren bestimmt erschüttert. Aber
       nicht so, dass sie ihre Lippenbekenntnisse auch ernstnähmen.
       
 (DIR) Kolumne Macht: Autobahnpolizei kannste vergessen
       
       Nötigung auf der Überholspur. Todesangst. Anzeige. Und der
       Polizeihauptmeister fragt, ob man nicht lieber weiterfahren wolle.