# taz.de -- 60. Eurovision Song Contest: „Man wird auf Linie gebracht“
       
       > Faun spielte jahrelang für eine kleine Szene auf Mittelaltermärkten. Nun
       > tritt die Band im Vorentscheid für den ESC an.
       
 (IMG) Bild: Faun am Walpurgisfeuer: Fiona Rüggeberg (2.v.r.) und Niel Mitra (2.v.l.).
       
       taz: Frau Rüggeberg, Herr Mitra, Faun ist eine erfolgreiche Band, vor allem
       in der Mittelalterszene. Seit Jahren spielen Sie als Hauptact auf Märkten
       und Festivals. Nun treten Sie beim Eurovision Song Contest (ESC) an. Ist
       Ihnen die Szene zu klein geworden? 
       
       Niel Mitra: Wir werden auch weiter auf Mittelaltermärkten spielen. Daran
       wird die Teilnahme am ESC nichts ändern. Aber er ist eine Riesenchance. Ich
       glaube, es gibt nur wenige Musiker, die sich das entgehen lassen würden.
       Wir hoffen, dass es uns gelingt, die Mittelalterszene und den Pagan-Folk,
       den wir spielen, ein bisschen bekannter zu machen.
       
       Was ist das, Pagan-Folk? 
       
       Fiona Rüggeberg: Den Begriff haben wir selbst geprägt, weil es keine
       Schublade für uns gab. „Pagan“ kommt aus dem Englischen und bedeutet
       „heidnisch“. Für uns geht es in erster Linie um die Naturverehrung in
       heidnischen Kulturen, das animistische Weltbild. In unseren Texten greifen
       wir dieses Naturverständnis auf. Wir besingen alte Mythen und vertonen fast
       vergessene Geschichten und Märchen, zum größten Teil auf Deutsch, aber auch
       auf Mittelhochdeutsch, Sephardisch oder Altisländisch. Außerdem verwenden
       wir Folkinstrumente wie Drehleier und Geigen, Flöten und Dudelsäcke.
       
       Das klingt rückwärtsgewandt. 
       
       Niel Mitra: Wir haben schon immer sehr moderne Musik gemacht, weil wir mit
       elektronischen Beats und Verzerrern arbeiten. Rock ’n’ Roll mit Drehleier
       und Dudelsack, könnte man sagen. Deshalb passen wir auch gut zum ESC.
       Einerseits machen wir Pop, haben aber auch den totalen Exotenbonus. Ich
       meine, wer von den Zuschauern hat vorher schon mal eine schwedische
       Nykelharpa gesehen?
       
       Was ist das? 
       
       Niel Mitra: Das ist eine Schlüsselfidel, eine Art Geige, die vor dem Körper
       gehalten und sowohl mit Tasten abgegriffen als auch gestrichen wird.
       
       Fiona Rüggeberg: Viele unserer Instrumente sind exotisch. Die Drehleier ist
       eine Mischung aus Klavier, Geige und Kaffeemühle. Das sieht man nicht alle
       Tage.
       
       Drei Minuten darf jedes Lied beim ESC dauern. Reicht das aus, um so viel
       Philosophie zu vermitteln? 
       
       Fiona Rüggeberg: Das wird schwierig, aber ich hoffe, dass es uns gelingt,
       die Zuschauer neugierig zu machen. Aber klar, beim ESC geht alles sehr
       schnell, alles glitzert, und alles ist wahnsinnig aufregend. Wir werden
       sehen, wie weit wir damit tatsächlich kommen.
       
       Einige Fans werfen Ihnen vor, Sie hätten sich zu sehr angepasst. 2013 ist
       Faun zu Universal Music gewechselt, einem Majorlabel. Plötzlich war kein
       Lied mehr länger als radiotaugliche vier Minuten, lange, für Ihr Stücke
       charakteristische Instrumentalparts waren verschwunden, die Refrains
       folgten einem einfachen Pop-Schema … 
       
       Fiona Rüggeberg: Die Kritik war berechtigt. Aber ich würde sagen, die
       Zusammenarbeit mit Universal hat sich gut entwickelt.
       
       Was heißt das? 
       
       Fiona Rüggeberg: Sagen wir mal so: Wenn man mit so einem Label
       zusammenarbeitet, dann muss man einen Haufen naiver Vorstellungen über Bord
       werfen. Electrola hat klare geschäftliche Interessen, und die wissen ganz
       genau, wie Popmusik funktioniert. Da wird man zunächst mal ganz schön auf
       Linie gebracht. Mittlerweile haben wir aber Wege gefunden, wie wir gut
       zusammenarbeiten können. Unsere aktuelle CD, „Luna“, entspricht über sehr
       weite Strecken genau dem, was wir uns vorstellen.
       
       Warum sind Sie überhaupt zu Universal gegangen? 
       
       Niel Mitra: Wir waren an einem Punkt, an dem für uns nicht klar war, ob und
       wie wir weitermachen sollen. Wir haben uns über zehn Jahre lang selbst
       organisiert, und jeder von uns hat wahnsinnig viel Arbeit und Liebesmühe in
       das Projekt Faun investiert. So viel, dass wir teilweise nicht mehr zum
       Musikmachen gekommen sind.
       
       Fiona Rüggeberg: Natürlich ging es auch ums Finanzielle, das muss man nicht
       leugnen. Auch als Musiker muss man zusehen, wie man überlebt. Nach der
       letzten Tour vor dem Wechsel haben wir zum Spaß unseren Stundenlohn
       ausgerechnet. Niel kam auf 50 Cent, ich auf 25 Cent. Und das, obwohl wir
       längst auf einem Level spielten, wo man sagen könnte: Hey, die haben es
       geschafft.
       
       Plötzlich wurden Ihre CDs im Fernsehen beworben und Faun trat in der
       Carmen-Nebel-Show auf. War das richtig so? 
       
       Niel Mitra: Darüber haben wir sehr lange diskutiert. Letztlich haben wir
       uns dafür entschieden, denn es gibt im deutschen Fernsehen einfach keine
       anderen Plattformen, auf denen man Musik darbieten und gleichzeitig viele
       Menschen erreichen kann. Klar, es gibt ZDFneo und Arte und EinsPlus. Aber
       deren Zuschauerquote ist sehr marginal.
       
       Zweimal sind sie bei Carmen Nebel aufgetreten. Beim ersten Mal waren nur
       Sie, Frau Rüggeberg, und ihre Kollegin Katja Moslehner im Bild zu sehen,
       die hübschen Frontfrauen. Waren Sie damit zufrieden? 
       
       Fiona Rüggeberg: Nein, das war sehr schade. Wir haben ja auch schicke Jungs
       in der Band. Das Problem ist: Das Konzept einer solchen Show ist auf die
       typische Frontsänger-Formation ausgerichtet. Unseren egalitären Ansatz
       kannten die nicht. Wir sind auch sehr naiv an diese Show herangegangen und
       waren dann mit einer Welt konfrontiert, die uns vorher nicht geläufig war.
       Ich habe nicht mal einen Fernseher. Die ganze Medienwelt ist ein Rätsel für
       mich. Und dann geht alles so schnell. Zack! – schon ist alles im Kasten,
       und du denkst nur: Irgendwie hätte ich das gern anders gemacht.
       
       Haben Sie so Fans verloren? 
       
       Fiona Rüggeberg: Viele sind wieder da, weil sie neugierig waren und auf
       Konzerten sehen wollten, ob wir uns tatsächlich, wie vermutet, in
       Monsterbarbies verwandelt haben. Wir haben aber so gespielt, wie man es von
       uns gewohnt war. Manche Lieder, die auf der Platte zu poppig produziert
       wurden, haben wir verändert und wieder mehr unseren Sound gemacht.
       
       Und wie sind die Reaktionen auf die Teilnahme am ESC? 
       
       Niel Mitra: Das Interessante ist, dass man in Sachen ESC gegen einen Effekt
       ankämpft, den ich persönlich total unterschätzt habe. Viele setzten den ESC
       mit Schlager gleich. Aber das stimmt nicht. Da gab es auch schon die
       belgische Folkband Urban Trad, die fast gewonnen hätte, oder die türkische
       Punkband Athena, die den dritten Platz gemacht hat. Auch beim ESC gibt es
       Nischen.
       
       Die Band Unheilig, der man ebenfalls vorwarf, sie seien zu mainstream
       geworden, hat sich nach der Teilnahme am ESC-Vorentscheid aufgelöst. Droht
       Faun ein ähnliches Schicksal?
       
       Fiona Rüggeberg: Ich glaube nicht, dass man das vergleichen kann. Wir haben
       mit unserem letzten Album wieder an unsere Wurzeln angeknüpft. Das habe ich
       bei Unheilig nicht gesehen. Die haben ihren Stil mit dem Wechsel zum
       Majorlabel dauerhaft verändert. Wir haben nicht vor, abzudanken, sollte es
       mit dem ESC nicht klappen. Einen Tag nach dem Vorentscheid startet unsere
       Tour.
       
       Niel Mitra: Sollten wir nicht in Wien dabei sein, dann spielen wir uns den
       ESC einfach auf den Konzerten wieder vom Leib …
       
       Fiona Rüggeberg: … aber dabei zu sein wäre eine große Ehre!
       
       5 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marlene Halser
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Eurovision Song Contest
 (DIR) Schwerpunkt Eurovision Song Contest
 (DIR) Dänemark
 (DIR) Schwerpunkt Eurovision Song Contest
 (DIR) Schwerpunkt Eurovision Song Contest
 (DIR) Russland
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
 (DIR) Australien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Krimi-Koproduktion mit acht Ländern: Dänisches Dynamit
       
       Dem schnarchlangweilgen Titel zum Trotz: Das ZDF legt mit „The Team“ die
       Messlatte für Krimis höher – und wartet mit kreativer Kraft aus
       Skandinavien auf.
       
 (DIR) ESC-Koordinator über Kümmert-Rückzug: „Als Künstler war er großartig“
       
       Der Sieger des Songcontests wollte kein Sieger sein. Thomas Schreiber über
       die Legitimität der Nachfolgerin, die Kritik in Online-Netzwerken und
       Kapazitäten.
       
 (DIR) Eurovision-Vorentscheid Hannover: Sieger Kümmert verzichtet auf ESC
       
       Ann Sophie fährt zum ESC. Der eigentliche Gewinner Andreas Kümmert tritt
       zurück, ihm fehle die Kraft. Zuvor gab es zweifelhafte Presseberichte.
       
 (DIR) Memoiren von Conchita Wurst: Hof halten im Soho House
       
       ESC-Königin Conchita Wurst stellte in Berlin ihre Memoiren vor. Sie
       plauderte über den Geruch von Prominenten und zeigte sich politisch
       selbstbewusst.
       
 (DIR) 60. Eurovision Song Contest: Die Türkei wieder reif für den ESC?
       
       Seit drei Jahren will der türkische Sender TRT nicht mehr beim ESC
       mitmachen. Grund: moralische Bedenken – und Conchita Wurst.
       
 (DIR) Australien bei der Eurovision: Echte Europäer von Down Under
       
       Muss man für den ESC nicht aus Europa kommen? Keineswegs. Und es gäbe kaum
       einen geeigneteren Teilnehmer als Australien.