# taz.de -- Die Wahrheit: Das Griechen-Loch
       
       > Alternativlos: In den Redaktionsstuben breitet sich seit geraumer Zeit
       > Panik aus. Wehe, es gibt einmal keine Nachricht aus Athen.
       
 (IMG) Bild: Dunkle Wolken aus Athen: Wenn die sich mal verziehen, bleibt nur noch Schweigen.
       
       Es gibt ja kein anderes Thema mehr. Selbst der unverfängliche Smalltalk
       beim SB-Bäcker unseres Vertrauens ist nicht mehr frei davon: „Morgen soll
       es wieder wärmer werden.“ – „Zum Glück! Das war aber auch eine Eiszeit in
       Griechenland!“ Wildfremde Menschen in der U-Bahn, sonst wortfaul und
       kontaktscheu, legen ihr Smartphone zur Seite und diskutieren ambitioniert
       die neueste Annäherung, Abwendung, Zusprechung, Absprechung, Harmonisierung
       oder Destabilisierung. Selbst der geistig derangierte Obdachlose vor dem
       Supermarkt brüllt nicht mehr in sein imaginäres Telefon, sondern sinniert
       leise „Die Griechen, wohin, wohin?“
       
       Schulkinder sind nicht mehr in der Lage, einen einfachen Dreisatz zu
       berechnen. Doch welche Sparzwänge die Troika den Griechen auferlegt hat,
       können sie dezidiert in einem achtseitigen Workpaper darlegen. Sogar im
       Waldorfkindergarten basteln die Kleinen Ausstiegsszenarien aus
       frühlingshaftem Blattwerk. Zu Hause müssen sie dann ihren erzürnten Eltern
       nach der „Tagesschau“ die Ouzo-Pinnchen auffüllen. Wenn der Grieche schon
       nicht zahlen will, dann muss zumindest der Schnaps fließen.
       
       Griechenland – worum ging es da noch einmal genau? Irgendwie um Geld?
       Irgendetwas mit Macht? Egal, Hauptsache, es wird berichtet. Aber wehe, es
       gibt einmal keine Nachricht aus Athen oder Berlin zum aktuellen
       Zwischenstand der Verhandlungen. Dann werden schleunigst Symposien
       einberufen, um die Bedeutung der Farbe von Gianis Varoufakis’ Unterhose für
       die Zukunft der Europäischen Union zu erläutern.
       
       In den Redaktionsstuben breitet sich seit geraumer Zeit Panik aus. Worüber
       schreiben, wenn der Konflikt beigelegt ist? Womit soll die Bild-Zeitung ihr
       Titelblatt füllen? Mit weißem Nichts? Kai Diekmann nackt? Kai Diekmann auf
       weißem Nichts nackt? Werden die berüchtigten Wortspiele für immer
       griechische Geschichte sein?
       
       ## Die Wortspielhölle der „Bild“
       
       Angeblich arbeiten für die Wortspielhölle der Bild 7.923 freiberufliche
       Autoren. Wenn die auf einen Schlag arbeitslos sind, hält das unser
       Sozialsystem aus? Selbst den Leserreportern zeichnet der Angstschweiß
       unansehnliche Schwitzflecken unter ihre speckigen Achseln, böte sich ihrem
       Voyeurismus bald keine Akropolis … Entschuldigung … kein Forum mehr.
       
       Oder anders gefragt: Was kommt nach dem Stinkefinger? Man könnte bei Stefan
       Effenberg nachfragen. Der hat das ja schon alles mitgemacht und ist jetzt
       was? Katar-Lobbyist? Blatters Best Friend? Nein, das führt dann doch zu
       nichts. Obwohl: Eine Fußball-WM könnte das angeschlagene Land
       wirtschaftlich wieder auf Kurs bringen, und bestechlich sind die Griechen
       bekanntlich auch – optimale Bedingungen für die Fifa, aber lassen wir das.
       
       Zurück zum Mittelfinger: Auf welch dünnem Eis wir thematisch
       umherschlittern, kann an dieser vermeintlichen Geste und ihrer medialen
       Ausschlachtung nicht deutlicher aufgezeigt werden. Wie viele
       Talkshow-Moderatoren müssen entlassen werden, wenn die Griechen nicht mehr
       unseren Tagesablauf bestimmen? Wie viele Hashtags wie #grexit werden zur
       albernen Fußnote der jüngsten Erregungsgeschichte? Fordern verärgerte
       Zuschauer ihre Gebührengelder zurück, wenn sie erst einmal bemerken, dass
       es nichts mehr zu senden gibt, außer grenzdebilen Ärztesoaps und
       Silbereisen-Freakshows?
       
       „The Day after the Stinkefinger“ wird der Titel eines Dokumentarfilms, der
       in – optimistisch – zehn bis zwanzig Jahren retroperspektiv den Neuanfang
       nach der Griechenglocke beschreiben wird. Wie der aussehen könnte?
       Trendforscher arbeiten fieberhaft in Nachtschichten, um das zukünftige
       Topthema vorherzusagen. Was kommt nach dem Griechen-Loch?
       
       Vielleicht lässt sich dem Klimawandel neues Skandal-Potenzial entlocken.
       Auf irgendeiner Eisscholle werden doch noch ein paar zerzauste Eisbären
       aussterbend umhertreiben. Oder der Atomausstieg – war das nicht mal in den
       80ern ganz groß? Modewellen kommen bekanntlich wieder. Total retro wäre es
       auch, die Endlagersuche mal wieder zünftig als Headline zu verbraten. Und
       wie steht es eigentlich um diese Energiewende? Wenn es wirklich hart auf
       hart kommt: Müssen wir uns dann ernsthaft erneut mit solch politischem
       Unrat wie Dobrindts Maut-Marotte beschäftigen? Die erschütternde Antwort
       lautet: ja.
       
       Zum Glück stünde aber erst einmal das Sommerloch als Rettung bevor.
       Menschenfressende Alligatoren in Badeseen und ausgebüxte Anakondas in
       Parkanlagen trösten den härtesten Griechenfetischisten kurzfristig über
       eine Lösung der Krise hinweg. Ist sie bis dahin immer noch unser Topthema
       Nummer eins, dürfen wir uns vielleicht am Geistesblitz irgendeines
       Politikers aus der dritten Reihe erfreuen. Zum Beispiel, dass wir
       Griechenland als 17. Bundesland annektieren sollten. Mit dem Osten hat es
       doch auch geklappt, obwohl der Pleite war.
       
       30 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nico Rau
       
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