# taz.de -- Die Türkei vor der Wahl: Heftiger Gegenwind für die AKP
       
       > Erdogan hat der Kandidatenliste für die Parlamentswahl im Juni seinen
       > Stempel aufgedrückt. Doch er könnte die absolute Mehrheit verlieren.
       
 (IMG) Bild: Kurdische Neujahrsfeiern am 22. März in Istanbul
       
       ISTANBUL taz | „Das Risiko ist hoch, aber der mögliche Erfolg ist es wert.“
       Saruhan Oluc ist der Spitzenkandidat der prokurdischen Partei HDP in der
       türkischen Touristenmetropole Antalya für die Parlamentswahl im Juni dieses
       Jahres. Im Gespräch rechtfertigt er die Strategie der HDP, die bei diesen
       Wahlen, anders als bei allen vorangegangenen Urnengängen, als Partei und
       nicht mehr mit unabhängigen Kandidaten antreten will.
       
       Die HDP riskiert damit, an der undemokratisch hohen Zehnprozenthürde für
       einem Einzug ins Parlament zu scheitern. Andererseits würde sie bei einem
       Erfolg die politische Landkarte der Türkei verändern.
       
       Seit am Dienstag die Anmeldefrist für alle Parteien, die an der Wahl
       teilnehmen wollen, abgelaufen ist, wird über nichts so leidenschaftlich
       diskutiert, wie über die Rolle der Kurden. Denn die Kurden könnten zum
       Zünglein an der Waage werden, wenn es darum geht, ob es Präsident Recep
       Tayyip Erdogan gelingt, den Traum seines Lebens zu realisieren und das
       politische System der Türkei von einer Parlamentsdemokratie hin zu einer
       autoritären Präsidialdemokratie zu verändern.
       
       Dafür müsste Erdogans AKP bei den Wahlen allerdings so gut abschneiden,
       dass die Partei genug Abgeordnete ins Parlament schicken kann, um eine
       verfassungsändernde Mehrheit zu erreichen. Und das kann sie nur schaffen,
       wenn die HDP nicht ins Parlament kommt.
       
       Bislang hat die AKP seit ihrem ersten Wahlsieg 2002 in drei
       aufeinanderfolgenden Wahlen immer eine absolute Mehrheit erreicht, die
       notwendige Zweidrittelmehrheit für eine Verfassungsänderung jedoch
       verfehlt.
       
       ## Erdogans autoritäres Gehabe nervt viele Wähler
       
       Die soll jetzt Ministerpräsident und Parteichef Ahmet Davutoglu liefern, da
       Erdogan als Präsident die Partei formal nicht mehr führen darf. Doch die
       Vorzeichen für einen neuen, überwältigen Wahlsieg der AKP stehen schlecht.
       Das autoritäre Gehabe Erdogans, der Davutoglu immer wieder ins Handwerk
       pfuscht, nervt zunehmend mehr Wähler und sorgt parteiintern für Konflikte.
       Deshalb schauten die türkischen Medien aufmerksam darauf, ob es Davutoglu
       gelingen würde, die endgültige Liste der Parlamentskandidaten der AKP
       aufzustellen, oder ob er Erdogan die letztendliche Entscheidung, wer für
       die AKP kandidieren darf, überlassen musste.
       
       Offiziell wird die Öffentlichkeit darüber im Unklaren gelassen – alle hohen
       AKP Funktionäre mussten sich zum Stillschweigen verpflichten – aber die
       Namen auf der jetzt veröffentlichten Liste sprechen für sich. Alle engen
       Berater Erdogans samt seinem Schwiegersohn sind vertreten und das sicher
       nicht, weil Davutoglu es so wollte. Loyalität zum Präsidenten scheint das
       wichtigste Auswahlkriterium gewesen zu sein. Damit hat Erdogan klar
       gemacht, dass er auch künftig das letzte Wort in der AKP haben wird – ein
       klarer Bruch der Verfassung und eine möglicherweise wahlentscheidende
       Schwächung von Davutoglu.
       
       ## Die kurdische HDP macht sich Hoffnungen
       
       Denn nach den letzten Umfragen verliert die AKP im Vergleich zu den
       Parlamentswahlen 2011 bis zu zehn Prozent der Stimmen. Das liegt auch
       daran, dass sich die Opposition vor diesen Wahlen in einem besseren Zustand
       präsentiert als vor vier Jahren. Die sozialdemokratisch-kemalistische CHP
       hat sich modernisiert und für türkische Verhältnisse erstaunlich viele
       Frauen auf die vorderen Ränge ihrer Wahllisten platziert. In Istanbul,
       Izmir und Ankara besetzen Frauen die Spitzenplätze. Den Nationalisten von
       der MHP ist es dagegen gelungen, einige prominente Namen für sich zu
       gewinnen, mit denen sie der AKP Stimmen abnehmen will.
       
       Am motiviertesten aber sind die WahlkämferInnen der HDP. Wenn die kurdische
       HDP es schaffen sollte, am 7. Juni die Zehnprozenthürde zu nehmen und als
       vierte Partei neben der AKP, der CHP und den Nationalisten der MHP ins
       Parlament einzuziehen, kann Erdogan nicht nur die verfassungsändernde
       Mehrheit abschreiben. Dann wäre selbst die Alleinregierung der AKP
       gefährdet. Falls die AKP nach nunmehr 13 Jahren Alleinregierung ab Juni
       einen Koalitionspartner braucht, werden die Karten in der Türkei völlig neu
       gemischt.
       
       8 Apr 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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