# taz.de -- Parlamentswahl in Großbritannien: Angst vor der Bauchlandung
       
       > Bei der Parlamentswahl müssen alle etablierten Parteien zittern. In den
       > Umfragen liegen Konservative und die Labour-Partei gleichauf.
       
 (IMG) Bild: David Cameron schaut schon mal runter.
       
       CAMBRIDGE taz | Irgendwann am frühen Freitagmorgen wird die nordenglische
       Industriestadt Sheffield Geschichte schreiben. Wenn Nick Clegg, Führer der
       britischen Liberaldemokraten und Vizepremier der amtierenden
       konservativ-liberalen Koalition, seinen Wahlkreis Sheffield-Hallam behält,
       gibt es die Chance, dass Großbritanniens bisherige Regierung im Amt bleibt.
       Sollte die Labour-Opposition aber Clegg den Sitz abjagen und ihn damit aus
       dem Parlament kegeln, stehen die Zeichen eher auf Linksregierung.
       
       Weder Konservative noch Labour können bei den heutigen Parlamentswahlen auf
       eine eigene Mehrheit hoffen. Schon beim letzten Mal vor fünf Jahren war das
       so. Damals fanden Cameron und Clegg zusammen in einer blau-gelben
       Koalition. Für viele linksorientierte Liberale war dies ein Verrat.
       
       Den Liberalen droht nun ein Massaker an der Wahlurne, viele werden strikt
       gegen eine zweite Rechtskoalition sein. Verschwindet Clegg, der Architekt
       der Koalition mit Cameron, steht bei den Liberalen eine Zeit der
       Selbstzerfleischung an. Laut Julian Huppert, liberaler Abgeordnete für
       Cambridge, wird ein Krisenkomitee mögliche Koalitionsgespräche steuern.
       Entscheiden muss dann die Basis, per Mitgliederentscheid oder
       Sonderparteitag. Und sie könnte sich eine neue, linke Parteiführung geben.
       
       Während also normalerweise in Großbritannien gleich am Tag nach der Wahl
       feststeht, wer in Zukunft regiert, könnte es diesmal Wochen dauern. Cameron
       kann erst mal einfach weiterregieren, wenn er keine spektakuläre
       Bauchlandung hinlegt. Die Nagelprobe gibt es erst Ende Juni, wenn die erste
       Regierungserklärung zur Abstimmung im Parlament ansteht.
       
       ## Jede Koalition ausgeschlossen
       
       Milibands Lage ist komplizierter. Jahrelang ging der Labour-Chef davon aus,
       dass der unvermeidliche Popularitätsverlust von Cameron und Clegg ihn 2015
       quasi automatisch ins Amt spült. Aber die schottische SNP hat diesen Plan
       über den Haufen geworfen. Sie trumpft stark auf und dürfte Labour fast alle
       schottischen Wahlkreise abnehmen. Labour muss jetzt in England über 40
       Sitze dazugewinnen, um überhaupt noch auf plus/minus null zu kommen.
       
       Sollte es für Labour und Liberale zusammen nicht zur Mehrheit reichen,
       könnte es dennoch eine rechnerische Labour-SNP-Mehrheit geben. Die Parteien
       sind sich allerdings in Schottland spinnefeind. Labour schließt jede
       Koalition oder Tolerierung aus. Eine Labour-Minderheitsregierung müsste
       dann vor jedem Parlamentsvotum die Bedingungen einer Zustimmung anderer
       Parteien aushandeln.
       
       „Wir können Großbritannien vom Chaos eines von der SNP gestützten Ed
       Miliband retten“, schrieben die Konservativen am Mittwoch in einer
       E-Mail-Botschaft. „Wählt für euch und eure Familien“, twitterte Miliband in
       Reaktion: „Wenn ich Premierminister bin, werde ich für die arbeitenden
       Menschen eintreten.“
       
       Die SNP, Grüne und walisische Nationalisten sehen sich als das künftige
       linke Gewissen im Parlament, das Labour auf Kurs halten will. Bisher will
       Labour den aktuellen Sparkurs bloß abmildern, nicht beenden: Das
       strukturelle Haushaltsdefizit soll jedes Jahr sinken. Die linken
       Kleinparteien fordern dagegen einen Kurswechsel und eine Ausweitung der
       öffentlichen Ausgaben.
       
       ## Weiter sparen
       
       Camerons Konservative wollen weiter sparen und das Haushaltsdefizit binnen
       zwei Jahren auf null führen. Über die nächsten fünf Jahre summiert sich der
       Unterschied zwischen Labour und den Konservativen bei den geplanten
       Staatsausgaben auf 90 Milliarden Pfund (120 Milliarden Euro). Das setzt die
       Konservativen der Anschuldigung aus, sie planten neue, gigantische soziale
       Einschnitte. Die wiederum behaupten, nur ihre Wirtschaftspolitik garantiere
       gute Wirtschaftsdaten und steigende Steuereinnahmen. Großbritannien hat
       derzeit die höchste Wachstumsrate aller G-7-Länder und in den vergangenen
       Jahren mehr neue Arbeitsplätze geschaffen als die gesamte Eurozone, lobt
       sich die Regierung.
       
       Die Liberalen sind auch stolz auf diese Bilanz, verweisen aber auf
       Billiglöhne und Steuerungerechtigkeit. Sie sehen sich für beide
       Großparteien als Korrektiv: Einer Rechtsregierung würden sie das Herz
       zuliefern, einer Linksregierung das Hirn, lautet die aktuelle, leicht
       überhebliche Formel. Ihre „rote Linie“ für Koalitionsgespräche: mehr Geld
       für Bildung und Gesundheit sowie Steuererleichterungen für Geringverdiener.
       Ersteres geht eher mit Labour, Letzteres eher mit den Konservativen.
       
       Alle etablierten Parteien haben ein massives Glaubwürdigkeitsproblem vor
       allem bei Jungwählern. Wer heute in Großbritannien aufwächst, hat es
       zumeist schwerer als die Eltern und Großeltern. In den letzten zehn Jahren
       hat sich sowohl die britische Staatsschuld als auch die Zahl der britischen
       Milliardäre verdreifacht. Beide Großparteien haben in dieser Zeit jeweils
       fünf Jahre regiert; beide weigern sich, in diesen Entwicklungen ein Problem
       zu erkennen.
       
       Die Konservativen versprechen nun ein Gesetz, das Steuererhöhungen
       verbietet, was Ökonomen als Irrsinn abtun. Labour-Chef Miliband hat seine
       Wahlversprechen buchstäblich in Stein gemeißelt – er enthüllte am
       Wochenende eine Steinplatte mit fünf Labour-Parolen samt eingemeißelter
       Unterschrift. Bei einem Wahlsieg will er den Stein im Garten von 10 Downing
       Street aufstellen.
       
       7 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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