# taz.de -- Kolumne Fernsehen: Tiefkühlpizza, keinen Eintopf!
       
       > Eine bessere Gesellschaft ist möglich. Mit Fernsehchips. Pädagogen haben
       > wohl auch was gegen ihre Kinder.
       
 (IMG) Bild: So stellt sich ProSieben „Nerds“ vor
       
       Wer ein großes Bedürfnis nach einem Gut erzeugen will, muss es verknappen.
       Das wissen alle Diktatoren, die was gegen ihr Volk haben, und alle
       Unternehmen, die was gegen ihre Kunden haben. Apple macht das alle paar
       Monate wieder, wenn es irgendwelche Geräte auf den Markt schmeißt. Deswegen
       hauen sich die Leute darum. Das gibt schöne Fotos.
       
       Meine Eltern, beide Lehrer, verknappten das begehrte Gut Fernsehen.
       Mithilfe von Fernsehchips. Pädagogen haben wohl auch was gegen ihre Kinder.
       Es gab Fernsehchips in den Währungen 15 und 30 Minuten. Da ich noch drei
       Geschwister habe, wurde streng nach Alter gestaffelt. Mein drei Jahre vor
       mir geborener Bruder bekam mehr als ich, meine kleinen Schwestern bekamen
       weniger.
       
       Ein paar Stunden Fernsehen pro Woche wurden uns zugeteilt. Wir konnten auch
       ansparen, haben wir aber nie. Die lange Filmnacht hätten wir eh nicht
       gucken dürfen. Aufbleiben war nämlich auch ein künstlich verknapptes Gut
       damals in Husum.
       
       Also musste akribisch geplant werden: Die Fernsehzeitschrift wurde
       durchforstet, Sendungen markiert, Geschwisterrat gehalten. Wer opfert seine
       Chips für welches Programm? Der Tauschhandel blühte. Da Erziehung zu 90
       Prozent Erpressung ist, wurden auch mal Fernsehchips gegen irgendeine Form
       von Leistung ausgegeben – das Bad putzen zum Beispiel.
       
       Die Sender haben das System längst erkannt: Sie verknappen das gute
       Programm. Sie quälen die Zuschauer mit „Berlin Tag & Nacht“ oder anderem
       Scripted-Reality-Müll. Dieses Kartell muss zerschlagen werden!
       
       Deshalb fordere ich eine Gesellschaft mit Fernsehchips – auch wenn ich als
       Kind darunter litt und häufig zu meinem Freund Carsten auswich (dort:
       Fernsehen und Fertigpizza, zuhause: Reden und Eintopf). In einer solchen
       Fernsehchips-Handelszone müssten die, die nicht schauen, sich nicht mehr
       ständig über ein Medium beschweren, von dem sie sich abgewendet hätten,
       weil es dumm mache, sondern könnten ihre Fernsehchips an Dauerkonsumenten
       verscherbeln und das eingenommene Geld in wahre Kultur stecken (Kabarett,
       Kupferstiche). Und die, die sich bisher den ganzen Mist reinballerten,
       würden gezwungenermaßen darüber nachdenken, ob es sich lohnt, die kostbaren
       Wertmarken für „Schwiegertochter gesucht“ auszugeben.
       
       Und würden die Menschen ihre Fernsehchips gemeinsam einsetzen, um so
       zusammen mehr fernsehen zu können, entstünde endlich wieder die gute alte
       Lagerfeuer-Atmosphäre in deutschen Wohnzimmern, die Regisseur Dieter Wedel
       so vermisst. Hat er zumindest auf den Münchener Medientagen gesagt.
       
       Auf der anderen Seite wären die Programmmacher gezwungen, sich mehr Mühe zu
       geben. Denn wer fürs Programm die wertvolle Fernsehwährung ausgibt,
       erwartet Haute Cuisine – und keinen Haferschleim.
       
       Ach, schöne neue Welt mit Fernsehchips. Ich wüsste auch schon, wofür ich
       drei 30-Minuten-Chips in dieser Woche ausgeben würde: für den kommenden
       „Polizeiruf 110“ mit Matthias Brandt – und danach würde ich so lange
       aufbleiben, wie ich will.
       
       2 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürn Kruse
       
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