# taz.de -- Syrische Flüchtlinge in der Türkei: Spielen zwischen Müllhaufen
       
       > Die Türkei verlangt bei der Einreise aus Syrien einen Pass, nur wenige
       > Flüchtlinge kommen durch. Im Grenzort Atma hilft die Bevölkerung, so gut
       > sie kann.
       
 (IMG) Bild: Ohne Pass über die Grenze: Syrische Flüchtlinge auf dem Weg in die Türkei.
       
       ATMA taz | An den Ästen der alten Olivenbäume hängen Kinderschaukeln, doch
       niemand benutzt sie. Zwischen den Wurzeln sitzen besiegte Familienväter im
       Kreis. Sie gießen Tee in ihre Tassen und zwischen einer Zigarette und der
       nächsten reden sie über ihre Zukunft. „Syrien will uns nicht, die Türkei
       auch nicht. Aber wo sollen wir hingehen? Sie sagen, wir seien Terroristen!
       Aber ich sehe rundum nur Frauen und Kinder! Sind sie etwa die Terroristen?“
       
       Aala ist vor drei Tagen aus Daira Azza nach Atma gekommen. Er ist am Rücken
       verletzt, von dem Splitter einer Bombe, die sein Haus zerstört hat. Von
       seinem Zelt aus sieht man die 400 Meter entfernte Grenze zur Türkei. Sie
       wirkt wie ein eisernes Netz. Aber von den Olivenhainen in Atma aus
       betrachtet, erinnert sie eher an einen Käfig. In dem letzten syrischen Ort
       vor dem Grenzgebiet sind tausende Zivilisten auf der Flucht und können
       weder vor noch zurück.
       
       Sie kommen aus Rastan, Jabal Akrad, Homs, Hama, Aleppo und sogar aus
       Damaskus. Es sind vor allem Frauen und Kinder. Sie entkamen den
       Fliegerbomben, die auf Zivilisten abgeworfen wurden, den vom Regime
       verübten Massakern in den aufständischen Gebieten oder Gefechten zwischen
       regulären Soldaten und Rebellen.
       
       ## Ein paar Hundert pro Woche
       
       98.000 syrische Flüchtlinge hat die Türkei bereits aufgenommen. Doch jetzt
       ist die Grenze für alle Syrer ohne regulären Reisepass geschlossen. Nur ein
       paar Hundert Menschen werden pro Woche durchgelassen.
       
       Und so haben sich allein in Atma, einem Dorf mit 7.000 Einwohnern, binnen
       vier Wochen mehr als 25.000 Flüchtlinge gesammelt. Etwa 15.000 sind in den
       Wohnungen der Bevölkerung des Ortes untergekommen. Es gibt keine Familie,
       die nicht noch zwei oder drei andere Familien aufgenommen hat. Weitere
       5.000 Menschen campen in den Schulen der umliegenden Dörfer. Und die
       restlichen 5.000 hausen immer noch in behelfsmäßigen Lagern auf den Feldern
       zwischen den Olivenhainen vor der Grenze.
       
       Die Glücklicheren schlafen in den Zelten, die türkische Hilfsorganisationen
       geschickt haben. Die zuletzt Angekommenen verfügen hingegen nur über
       Tücher, die zwischen dem einen und anderen Hain hängen, um etwas Intimität
       zu schaffen. Für diese 5.000 Personen gibt es nur nur zwei chemische Bäder
       und einen Wassertank, der voller Kalk ist. Aber es gibt keine Alternative.
       Die Kinder trinken das trübe Wasser trotzdem, wenn sie zwischen brennenden
       Müllhaufen spielen.
       
       ## Essen und Decken
       
       Die Bewohner von Atma versuchen ihr Bestes. Jeden Abend kommt ein Lastwagen
       mit freiwilligen Helfern vorbei, die Essen und Decken verteilen, aber diese
       Gaben allein können das Problem nicht lösen.
       
       Unterdessen geht das Töten in Syrien weiter. Zum Beispiel in Kafr Awid,
       einem Ort in den Bergen von Jabal Akrad. Innerhalb einer halben Sunde haben
       Assads Kampfflieger zwölf Bomben auf die Häuser der Bewohner abgeworfen.
       Während des Bombardements, das mehr als zehn Gebäude zerstörte, wurden
       zwanzig Menschen getötet und zehn verletzt – alles Zivilisten.
       
       Osama machte an diesem Tag kein Auge zu. Er ist Krankenpfleger, 35 Jahre
       alt, verheiratet und hat drei Kinder. „In Kafr Awid hatte ich eine Art
       Krankenhaus auf meinem Feld neben meiner Wohnung. Monatelang habe ich dort
       heimlich die Verletzten der Bombardements gepflegt“, sagt er. Nach dem
       Angriff, den neuerlichen Toten, beschloss er, aufzugeben: „Ich werde vom
       Regime gesucht und muss erst mal meine Familie in Sicherheit bringen, bevor
       sie sie finden.“
       
       Übersetzung aus dem Italienischen: Enrico Ippolito
       
       11 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriele Del Grande
       
       ## TAGS
       
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