# taz.de -- Staatsterror in Cagayan
> Auf den Philippinen müssen Bürgerrechtler und bäuerliche Aktivisten um
> ihr Leben fürchten von Philippe Revelli
Es geschah am 11. November 2006 in Baggao im Norden der Insel Luzón. Joey
Javier, Vorsitzender der Bauernvereinigung Kagimungan, war unterwegs zu
einer Versammlung. Seine Frau Dominga berichtet, was dann geschah: „In der
Nacht zuvor hatte es stark geregnet. Sein Dreirad blieb deshalb im Schlamm
stecken. Als mein Mann abstieg, näherten sich zwei Männer. Sie erschossen
ihn aus nächster Nähe. Das Militärlager ist kaum hundert Meter entfernt,
aber niemand hat versucht, die Mörder festzunehmen.“
Zwei Wochen später wurde Javiers Nachfolger, Anthony Licyayo, ermordet. Im
Dezember 2006 entkam dessen Nachfolger Pedro Frances nur knapp einem
Attentat. Am 21. Januar 2007 wurden zwei weitere Kagimungan-Aktivisten
umgebracht. Und am 7. August desselben Jahres wurde Ambot Asucena, der
Leiter der Jugendabteilung, in seinem Haus überfallen. Bevor er seinen
Verletzungen erlag, identifizierte Asucena seine Angreifer als Soldaten des
21. Infanteriebataillons. Angehörige desselben Bataillons entführten am 9.
September 2007 zwei weitere Kagimungan-Mitglieder, an deren Leichen sich
später Folterspuren fanden.
Den Hintergrund dieser Serie von Attentaten erläutert Isabelo Adviento, der
heutige Vorsitzende von Kagimungan: „Im Juli 2006 rückte die Armee in die
Gemeinde Baggao ein, wo der harte Kern unserer Bewegung sitzt. Noch im
selben Monat ging das Gebäude des Rundfunksenders Cagayan, den wir kurz
zuvor gegründet hatten, in Flammen auf. In den darauffolgenden Monaten kam
es immer öfter zu außergerichtlichen Hinrichtungen. Die Soldaten
durchkämmten die Häuser und nötigten die Leute, zu ihren
Propagandaversammlungen zu kommen, in denen man uns als Komplizen der
Guerilla hinstellte. Die Bauern sollten entweder der Armee als Bergführer
dienen oder sich der paramilitärischen Miliz Cafgu[1]anschließen.“
Kagimungan ist eine legale Vereinigung, in der die Kleinbauern der Provinz
Cagayan organisiert sind. Seit einigen Jahren bekämpfen sie das bis heute
existierende System der Teilpacht. So weigern sich die Bauern, die Hälfte
ihrer Ernte an die Grundbesitzer abzutreten. Außerdem war es Kagimungan
zunächst gelungen, für die kleinen Produzenten günstigere Konditionen mit
den Großhändlern zu verabreden, die allerdings nach den Attentaten auf
Kagimungan-Aktivisten gleich wieder infrage gestellt wurden.
In letzter Zeit beunruhigen die Mitglieder von Kagimungan drohende
Enteignungen und die Einführung genetisch modifizierten Saatguts im Zuge
des Wirtschaftsplans für Nord-Luzón (North Luzón Super Economic Planship).
Dieses gigantische Programm sieht den Bau eines ultramodernen Hafens vor,
dazu die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen und die Förderung des
Anbaus von Agrarexportprodukten. In diesem Rahmen wird massiv um
ausländische Investitionen geworben, denen die Kagimungan-Anführer im Wege
stehen, als „letzte Hindernisse“, wie die Behörden behaupten. „Damit wurde
den Mördern gesagt, wen sie abschießen sollen“, kommentiert der
Bauernvertreter Adviento, der aus Sicherheitsgründen nicht mehr in seinem
Dorf lebt und seinen Aufenthaltsort häufig wechseln muss.
Für Renato Reyes, Generalsekretär der großen Volksbewegung Bayan, ist die
Situation in der Provinz Baggao „typisch für das, was im ganzen Land
geschieht. Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo führt im Namen des Kampfes
gegen den Terror einen schmutzigen Krieg gegen alle, die sich ihrer
ultraliberalen Politik widersetzen.“ Seit ihrer Wahl im Jahre 2001 hat die
Präsidentin immer wieder verkündet, sie werde die Philippinen mittels
Liberalisierungen im Handel und bei Investitionen, durch Steuerreformen und
die Privatisierung von Staatseigentum zu einem Land der Ersten Welt machen.
Reyes sieht das anders: „Das schnelle Wirtschaftswachstum, dessen sich das
Regime rühmt, ist nur eine große Blase, die durch Kredite und massive
Auslandsinvestitionen entstanden ist. Um Investoren anzulocken, stellt die
Regierung das Arbeitsrecht zur Disposition, tritt ganze Landesteile an
multinationale Bergbaukonzerne ab, öffnet Naturschutzgebiete für die
Ölförderung und unterschreibt Handelsverträge, die unseren Bauern den Anbau
von Monokulturen aufzwingen, die nur für den Export oder zur Herstellung
von Biokraftstoffen bestimmt sind.“
Was diese Politik für die Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit
bedeutet, können einige Zahlen veranschaulichen: 80 Prozent der Filipinos
leben von weniger als eineinhalb Dollar pro Tag; die Zahl der Kinder unter
fünfzehn Jahren, die keine Schule besuchen, stieg zwischen 2001 und 2006
von 1,8 auf 3,1 Millionen; 26 Prozent der Bauern, die von der 1988
eingeführten Landreform zunächst profitiert hatten,[2]mussten ihr Land
wieder verkaufen. Heute gehört das Agrarland Philippinen zu den weltweit
größten Importeuren von Reis.
„Dennoch sind hier dynamische Demokratiebewegungen entstanden, oft im Kampf
gegen die Diktatur“, erzählt Renato Reyes, „oder Protestbewegungen gegen
die US-Militärbasen. Um diese Stimmen zum Schweigen zu bringen, verfolgt
die Regierung eine Politik der Einschüchterung, die sie als
‚Aufstandsbekämpfungsstrategie‘ bezeichnet.“
Auf den Philippinen gibt es schon seit vielen Jahren bewaffnete
Widerstandsgruppen: Die 1969 gegründete Neue Armee des Volks (NAP), eine
marxistisch orientierte Guerilla, kämpfte mit rund 8 000 Leuten an 62
Fronten im ganzen Land. Seit Anfang der 1970er-Jahre gibt es die Nationale
Moro-Befreiungsfront (MNLF), einige Jahre später formierten sich die
muslimischen Unabhängigkeitskämpfer der Islamischen Moro-Befreiungsfront
(MILF), und 1991 gründete sich die Abu-Sayyaf, deren Anhänger auf den
Inseln Mindanao, Sulu und Jolo im Süden des Archipels aktiv sind.[3]
Die Friedensgespräche mit der NAP liegen seit 2004 auf Eis, im April 2007
rief die Präsidentin mit Hinweis auf Gerüchte über einen drohenden
Staatsstreich den Ausnahmezustand aus und erklärte den bewaffneten Gruppen
den Krieg. „Dabei ist in der philippinischen Verfassung der Ausnahmezustand
nicht vorgesehen“, sagt Reyes. Mit diesem Schritt „stellte sie der Armee
eine Blankovollmacht aus, ihren schmutzigen Krieg fortzusetzen und
auszuweiten“.
Die philippinische Armee operiert seit 2001 nach dem Plan „Bantay Laya I“,
der seit 2007 durch den Plan „Bantay Laya II“ ersetzt wurde. Diese Pläne
orientieren sich am Modell der Operation „Phönix“, wie sie die USA im
Vietnamkrieg praktizierten, und richten sich vor allem gegen Gruppen der
Zivilbevölkerung, die den Rebellengruppen angeblich Schutz und Hilfe
bieten. Norberto Gonzales, der Sicherheitsberater der Regierung in Manila,
hat diese Strategie wiederholt mit dem Argument begründet: „Die Guerilla,
die wir bekämpfen, ist keine klassische Guerilla mehr, sie hat vielmehr
unsere Demokratie unterwandert.“
## Der General nimmt kleine Opfer in Kauf
Eine exemplarische Umsetzung dieser Strategie vollzieht General Jovito
Palparan, seit August 2005 Oberkommandierender der Streitkräfte, in der
Region Zentral-Luzón. General Palparan hat seine Truppen aus den Gebieten,
in denen die Guerilla besonders aktiv war, abgezogen und an die Ränder der
wirtschaftlichen Entwicklungszonen verlagert. Heute stehen sie vor allem in
den Regionen, wo das ehrgeizige Straßenbauvorhaben Global Gateway
Project[4]auf heftigen Widerstand stößt, und zwar sowohl seitens der
Bauern, die man von ihrem Land vertrieben oder mit Vertreibung bedroht
hatte, als auch seitens der Spediteure, die gegen die Einführung einer
Straßenmaut protestieren.
Das Militär kooperiert mit paramilitärischen Gruppen, die allein im Jahre
2006 in der Region Zentral-Luzón 83 Führer und Aktivisten der Linken sowie
Bauern und Menschenrechtler umgebracht haben. Natürlich streitet General
Palparan entschieden ab, dass er diese Morde angeordnet hat. Doch in einem
Zeitungsinterview erklärte er, diese außergerichtlichen Hinrichtungen
unterstützten die Armee in ihrem Kampf gegen die Kräfte, „die das Volk
gegen die Regierung aufstacheln“, weshalb man solche „kleinen Opfer“ im
Zuge der Aufstandsbekämpfung in Kauf nehmen müsse.[5]
Auf der Website der Streitkräfte werden die Zielpersonen direkt genannt:
„In Roman Polintan, Fabian Hallig und Aurora Broquil[6]haben die
Kommunistische Partei und die NAP Verbündete und Propagandisten gefunden.“
Und im australischen Fernsehen gab General Palparan auf eine Frage der
Interviewerin Karen Percy lächelnd zu, er habe „bestimmte Leute dazu
ermutigt oder inspiriert, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen“.[7]
Im August 2006 hatte die Regierung zwar die Melo-Kommission ins Leben
gerufen, die Fälle von außergerichtlichen Hinrichtungen untersuchen sollte,
doch sie legte nur widersprüchliche Resultate vor, was erneut belegte, dass
das Regime nicht gewillt ist, das Treiben der paramilitärischen Kräfte zu
beenden. Zwar ist es noch zu früh, um die Wirksamkeit des Gesetzes zum
Schutz der Menschenrechte[8]zu beurteilen, doch die
Menschenrechtsorganisation Karapatan hat sich bereits skeptisch geäußert:
Sie verwies darauf, dass am selben Tag, an dem das Gesetz erlassen wurde,
das Verteidigungsministerium vom Präsidentenpalast die Anweisung erhielt,
„die Aufdeckung militärischer Geheimnisse und feindliche Einmischungen in
Operationen zur nationalen Sicherheit zu verhindern“.
Diese Maßnahmen waren jedenfalls nicht geeignet, den
UN-Sonderberichterstatter Philip Alston zu überzeugen: „Gewisse Abteilungen
innerhalb der Streitkräfte verfolgen eine explizite Strategie der
Hinrichtung von Führern linker Organisationen. (…) Sie haben führende
Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft eliminiert, darunter Verteidiger der
Menschenrechte, Gewerkschafter und Befürworter der Agrarreform, sie haben
viele Akteure der Zivilgesellschaft eingeschüchtert und den Raum für
politische Kontroversen eingeschränkt.“
Der Behauptung der Militärs, ein Großteil der außergerichtlichen
Hinrichtungen sei auf angebliche Säuberungsaktionen der Guerilla
zurückzuführen, hält Alston entgegen, diese Theorie könne man nur „als
zynischen Versuch betrachten, die Verantwortung auf andere zu schieben“.
Und er fügte hinzu: „Die Institutionen der Justiz sind auf die schiefe Bahn
geraten, indem sie führende Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft statt
deren Mörder verfolgen.“ Joe Cawiding, Generalsekretär der Bayan Muna in
der Provinz Baguio, hat dies am eigenen Leib erfahren. Seit dem 1. Oktober
2007 sitzt er wegen angeblicher Verbindungen zur NAP im Gefängnis. „In
Wahrheit“, erklärt Santos Mero, der die Allianz der Völker der Kordillere
(CPA)[9]leitet, „wirft man ihm vor allem sein Engagement für die indigenen
Völker vor.“
Die Kordillerenregion, zu der die Provinz Baguio gehört, liegt im Zentrum
der Insel Luzón. In diesem Bergland gibt es große Gold- und
Kupfervorkommen, die schon im 19. Jahrhundert die Begehrlichkeiten
US-amerikanischer Firmen weckten. Heute verfügen die multinationalen
Bergbauunternehmen über Konzessionen, die sich bereits auf 1,2 der
insgesamt 1,8 Millionen Hektar großen Kordillerenregion erstrecken, und die
Regierung hat neuen Investitionen in diesem Sektor oberste Priorität
zugewiesen.
„Schon früh“, erzählt Mero, „haben die indigenen Völker sich der
Ausbreitung von Unternehmen widersetzt, die Bodenflächen zerstören,
Wasserläufe verschmutzen, den Wald abholzen und die Einwohner vertreiben.
Die CPA mobilisiert die Bevölkerung gegen den Bau neuer Staudämme zur
Energieversorgung der Unternehmen, und sie fordert Entschädigungen für die
betroffenen Gemeinden sowie die Renaturierung der aufgelassenen Minen.“
Doch die Organisation hat für ihren Widerstandsgeist einen hohen Preis
zahlen müssen. Im Juli 2006 wurde Markus Bangit, ein Mitglied des
CPA-Vorstands, an einer Bushaltestelle erschossen. Im selben Monat wurde
das Auto des CPA-Führers Constancio Claver unter Maschinengewehrfeuer
genommen, als er seine Tochter zur Schule brachte. Clavers Frau kam dabei
um, er und seine Tochter wurden verletzt und gingen danach ins Exil nach
Kanada.
Das Militär verschont auch nicht die Universität der Philippinen,
traditionell ein Zentrum des Widerstands. Am 26. Juni 2006 wurden Karen
Empeño und Sherlyn Cadapan, zwei Aktivistinnen der philippinischen
Studentenliga, von Soldaten gekidnappt, als sie ihre Eltern in der Provinz
Bulacan besuchten. Beide sind seitdem verschwunden.
Von der Armee entführt wurde am 28. April 2007 auch Jonas Burgos, aktives
Mitglied eines Bauernvereins und Sohn eines legendären Widerstandskämpfers.
Fünfzehn Videoautoren wollten darüber eine Dokumentation erstellen. Die
junge Fernsehproduzentin Sunshine Matutina sagt über ihre Motive: „Ich war
überhaupt nicht politisch aktiv, aber die Entführung von Jonas hat mich
total geschockt. Als mich dann Freunde von der Independent Filmmaker
Cooperative gefragt haben, ob ich einen Clip zu dem Thema machen will, habe
ich sofort zugesagt.“ Die fünfzehn Clips sollten unter dem Titel „Rights“
im September 2007 in einem der großen Kinocenter der Hauptstadt gezeigt
werden. Doch am Vorabend der Premiere untersagte die Zensurbehörde die
Vorführung mit der Begründung, der Film sei „parteiisch“.
Keine Probleme mit der Zensur hatte dagegen ein anderer Film. 2007 hatte
der US-amerikanische Nahrungsmittelkonzern Dole für seinen Betrieb auf der
Insel Mindanao Entlassungen angekündigt, die bei der Gewerkschaft Kilusang
Mayo Uno (KMU) auf heftigen Widerstand stießen. Daraufhin lud man die
Arbeiter zu einer Versammlung auf dem Fabrikgelände ein. Unter dem
wachsamen Auge der Armee wurde ihnen ein Film vorgeführt, der eine scharfe
antigewerkschaftliche Tendenz hatte und die KMU-Aktivisten als Komplizen
der NAP-Guerilla darstellte. In dem Film wirkten bekannte philippinische
Schauspieler mit. Doch es gab weder einen Abspann, noch wurde der Name des
Regisseurs genannt.
„Ein wahres Vorbild an Unparteilichkeit“, lautet der sarkastische Kommentar
von Daisy Arago, der Leiterin des Center for Trade Union and Human Rights
(CTUHR): „Es handelt sich um eine koordinierte Strategie der Unternehmen
und Behörden, die darauf abzielt, die Gewerkschaften zu zerschlagen, das
Arbeitsrecht auszuhebeln und den Investoren fügsame Arbeitskräfte zu
garantieren.“[10]
## Sonderwirtschaftszone hinter Mauer und Stacheldraht
Die Erfolge dieser Strategie lassen sich in den Sonderwirtschaftszonen
besichtigen, zum Beispiel in der Gegend von Cavite, rund 50 Kilometer
südlich von Manila. Hier liegt die Sonderwirtschaftszone Rosario mit 250
Unternehmen (Bekleidung, Elektronik), die 60 000 Arbeiter beschäftigen. Das
fast 300 Hektar große Areal ist von einer Betonmauer mit Stacheldraht
umgeben. Um hineinzukommen, muss man sich an einem Checkpoint vor
bewaffneten Wächtern ausweisen. Am 10. Juni 2007 gegen 20.30 Uhr passierten
neun Männer den Eingang, bewaffnet mit Brecheisen und Messern. Kein Wächter
war zu sehen, als die Eindringlinge auf die Streikposten vor der Firma
Chong Wong SA losgingen. Seit mehreren Monaten hatten die Frauen gegen
ungerechtfertigte Entlassungen protestiert.
Auch am darauffolgenden Morgen sahen die Wächter nicht hin, als etwa
zwanzig maskierte, mit M16-Gewehren bewaffnete Männer die Streikenden
attackierten. „Wir mussten uns auf den Boden legen“, erzählt Florencia
Arevalo, die Gewerkschaftssekretärin der Chong-Won-Arbeiterinnen, „sie
drohten uns zu erschießen, sie stahlen unsere Handys, Fotoapparate und
Handtaschen. Einer von ihnen wollte mich tatsächlich umbringen, aber dann
meinte ein anderer: ,Das gehört nicht zum Kontrakt‘. Als wir ihnen sagten,
wir würden Anzeige erstatten, haben sie nur gelacht und gewettet, dass wir
die Polizei nicht anrufen würden. Einer unserer Angreifer gab sogar damit
an, dass man ihm für die Niederschlagung unseres Streiks zwei Millionen
Pesos (33 000 Euro) bezahlt hätte.“
Tags darauf errichtete die Polizei zwei neue Kontrollposten. Sie hinderte
die Streikenden an einer Rückkehr auf das Werksgelände und lehnte es ab,
eine Anzeige aufzusetzen, mit dem Argument, man habe einen „Feiertag“.
„Keine Gewerkschaft, kein Streik! Das ist die Politik des
Provinzgouverneurs“, erklärt Pater Jo Dizon, Leiter des Workers Assistance
Center (WAC), „und um das zu erreichen, sind sie zu allem bereit.“ Im
Dezember 2006 wurde Jesús Buth Servida, ein Aktivist der Initiative
Solidarity of Cavite Workers (SCW), in seinem Auto erschossen. Zwei Monate
zuvor, am 3. Oktober 2006, war Monsignore Alberto Ramento, Bischof von
Tarlac und Präsident des Verwaltungsrats des WAC, in seinem Haus ermordet
worden. Der neueste Fall datiert vom 10. März 2008. An diesem Tag starb
Gerry Cristobal, ein weiterer Gewerkschaftsführer und führender
SCW-Aktivist, der bereits zwei Attentate überlebt hatte, im Kugelhagel
eines Mordkommandos. Die Attentäter flüchteten in einem grünen Toyota. Die
Polizei ließ verlauten, es habe sich um einen „Streit zwischen Autofahrern“
gehandelt.
Der Generalsekretär der Menschenrechtsorganisation Karpatan, Jigs Clamor,
weist darauf hin, dass die Bilanz des Regimes von Präsidentin Arroyo –
nahezu 900 außergerichtliche Hinrichtungen seit 2001 – noch schlimmer ist
als die des früheren Diktators Ferdinand Marcos. „Und mit den Morden an 47
Journalisten innerhalb der letzten sechs Jahre liegen die Philippinen auf
dem zweiten Platz in der Rangliste der für diese Berufsgruppe
gefährlichsten Länder der Welt“ (hinter dem Irak).[11]
UN-Sonderberichterstatter Philip Alston besteht darauf, dass die
Präsidentin als Oberbefehlshaberin der Streitkräfte konkrete Maßnahmen
ergreifen müsse, „um zu verhindern, dass die Operationen zur
Aufstandsbekämpfung zahlreiche Einzelpersonen, die für
zivilgesellschaftliche Organisationen arbeiten, ins Visier nehmen oder gar
zu deren Hinrichtung führen.“ Auch der Senat in Washington hat den
Philippinen bereits mit der Aufhebung der US-Wirtschaftshilfe gedroht.
Die Popularität der Präsidentin ist rapide gesunken; unter anderem aufgrund
der Anklagen wegen Wahlbetrugs, die sich vor allem auf die Wahlen von 2004
beziehen, und diversen Korruptionsaffären, in die Gloria Macapagal Arroyo,
Mitglieder ihrer Familie und ihre engste Umgebung verwickelt sind. Deshalb
bleibt der Präsidentin, die bei öffentlichen Auftritten stets von
Generalstabschef Hermogenes Esperon begleitet wird, nichts anderes übrig,
als sich immer mehr auf die Armee zu stützen. Deshalb wurden in letzter
Zeit zahlreiche (aktive oder pensionierte) Offiziere in hohe staatliche
Ämter berufen.
Doch selbst in den Reihen des Militärs macht sich Unruhe breit,
konstatierte ein Beobachter bereits im Sommer 2006: „Die ganz jungen
Offiziere sind unterbezahlt und werden in gefährliche und demoralisierende
Einsätze zur Aufstandsbekämpfung geschickt. Inzwischen akzeptieren sie
weder den Wohlstand und die Privilegien ihrer in Manila stationierten
Vorgesetzten noch die undurchschaubare Politik der Regierung.“[12]Es gab
bereits mehrere Putschversuche, die jedes Mal im Keim erstickt wurden. Der
letzte fand am 29. November 2007 statt, als etwa dreißig Offiziere unter
der Führung von Senator Antonio Trillanes – der Exoffizier hatte bereits
2003 den Versuch eines Staatsstreichs unternommen – ein großes Hotel in der
Hauptstadt besetzten und zum Sturz der Regierung aufriefen.
Die Machthaber reagierten sofort: Ein Panzer wurde losgeschickt, der direkt
in das Hotel hineinfuhr. Ohne jede Gegenwehr ließen sich die Meuterer
festnehmen. Bei der Gelegenheit nahm das Militär auch an die dreißig
Journalisten fest und konfiszierte ihr Material. Doch die Tatsache, dass
sich an der Seite der militärischen Rebellen mit Monsignore Julio Labayen
ein Bischof und mit Teofisto Guingona ein ehemaliger Vizepräsident der
Republik befanden, ist der deutlichste Beweis dafür, dass das Regime selbst
bei einem Teil der nationalen Oligarchie kein Vertrauen mehr genießt.
13 Jun 2008
## AUTOREN
(DIR) Philippe Revelli
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