# taz.de -- Die Reise des Kim Jong Un
> von Philippe Pons
Der Regierungschef von Nordkorea unternahm seine erste Auslandsreise nicht
nach China, sondern nach Russland. Die bislang noch vorsichtige Annäherung
zwischen Moskau und Pjöngjang könnte das Gleichgewicht in der Region schon
bald ins Wanken bringen.
Wladimir Putin hat Kim Jong Un zu den Feierlichkeiten am 70. Jahrestag des
Sieges über Nazideutschland am 9. Mai dieses Jahres eingeladen. Damit wird
er wohl das erste Staatsoberhaupt sein, das Nordkoreas „Obersten Führer“
empfängt. Und auch für Kim Jong Un wird es die erste Auslandsreise sein,
seit er im Dezember 2011 die Nachfolge seines Vaters angetreten hat. Bei
dieser Visite wird er auch die Möglichkeit haben, andere Staats- und
Regierungschefs kennenzulernen und damit sein offizielles Debüt auf der
internationalen Bühne zu geben. Die Einladung Putins zeigt jedoch vor allem
eines: die rasche Annäherung zwischen der Demokratischen Volksrepublik
Korea und der Russischen Förderation.
Aufgrund der westlichen Sanktionen wendet sich Moskau gegenwärtig verstärkt
gen Osten. Zu dieser Neuorientierung gehören sowohl die Intensivierung der
Beziehungen mit China als auch die Wiederentdeckung der strategischen
Bedeutung Nordkoreas für die regionalen Gleichgewichte – das Land ist ein
Schnittpunkt der US-amerikanischen, chinesischen, südkoreanischen und
japanischen Interessen.[1]Pjöngjang wiederum geht es vor allem darum, neue
Partner zu gewinnen.
Ein kurzer Rückblick: Im Juli 1945 beschlossen die USA und die UdSSR in
Potsdam, die von Japan annektierte koreanische Halbinsel entlang des 38.
Breitengrads in zwei Besatzungszonen aufzuteilen. Mit der Gründung zweier
separater Staaten wurde diese Teilung jedoch bereits 1948 endgültig
besiegelt. Im Norden etablierte sich unter der Ägide Moskaus ein Regime
nach dem Vorbild der Ostblockstaaten unter Kim Il Sung; im Süden wurde ein
aus dem Exil in den USA zurückgekehrter Nationalist zum Präsidenten
gewählt.
Im Juni 1950 überschritten nordkoreanische Truppen mit Billigung Stalins
die Grenze. Das löste eine militärische Intervention der USA aus, die
aufgrund eines UN-Mandats von weiteren westlichen Streitkräften unterstützt
wurden. Pjöngjang wurde vor allem von der Volksrepublik China unterstützt,
die sich auch militärisch engagierte. Doch nach dem Ende des Koreakriegs
säuberte die nordkoreanische „Partei der Arbeit Koreas“ ihre eigenen Reihen
sowohl von Anhängern der Sowjetunion als auch von denen Chinas.
In den 1960er und 1970er Jahren nutzte das Regime die russisch-chinesische
Rivalität aus und betrieb gegenüber seinen beiden sozialistischen Mentoren
eine Art Schaukelpolitik, die ihm gewisse Freiräume verschaffte. Eine
solche Schaukelpolitik ist heute zwar nicht mehr möglich, aber Nordkorea
versucht durchaus, sich aus der politischen und wirtschaftlichen
Umklammerung Chinas zu befreien und seine Unabhängigkeit vom großen
Nachbarn zu wahren.
Kim Jong Un braucht also neue Partner – zumal Peking seit dem Amtsantritt
von Xi Jinping keinen Hehl aus seinem Unmut über das nordkoreanische Regime
macht. Deshalb hat Pjöngjang die Charmeoffensive gegenüber Russland
gestartet, die erstmals im Juli 2013 sichtbar wurde. Bei den
Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Beendigung des Koreakriegs würdigte
man nicht nur die damalige Unterstützung durch die Sowjetunion, sondern
betonte auch die „generationenübergreifende“ Freundschaft zwischen beiden
Ländern.
Dabei hatte Moskau nach dem Zusammenbruch der UdSSR im Jahr 1991 die
privilegierten Beziehungen zwischen den Bruderländern“ kurzerhand beendet:
Für russische Energielieferungen und Chemieprodukte zur Düngerherstellung
verlangte man fortan Weltmarktpreise. Die aber konnte Nordkorea nicht
bezahlen, was einer der Gründe für den wirtschaftlichen Niedergang und die
Hungersnot Ende der 1990er Jahre war.
Unter der Führung Putins erfolgte dann um die Jahrtausendwende ein neuer
Anlauf: Im Februar 2000 wurde ein neuer Freundschafts-, Nachbarschafts- und
Kooperationsvertrag unterzeichnet, im Juli desselben Jahres besuchte der
russische Präsident die nordkoreanische Hauptstadt. 2002 reiste Kim Jong Il
zum Gegenbesuch nach Moskau, und 2011 traf er sich mit dem damaligen
russischen Präsidenten Medwedjew im sibirischen Ulan-Ude.
## Transsibirische Eisenbahn bis nach Südkorea
Zwei Großprojekte wurden in dieser Zeit beschlossen: eine Gaspipeline, die
russisches Gas durch nordkoreanisches Gebiet nach Südkorea bringen soll,
und eine Bahnverbindung zwischen der russischen Grenzstadt Chassan und der
nordkoreanischen Sonderwirtschaftszone Rason.[2]Das zweite Projekt ist Teil
des umfassenderen Plans, die Streckenführung der Transsibirischen Eisenbahn
bis nach Südkorea zu verlängern. Diese neue Verbindung würde die Lieferzeit
für Waren, die derzeit noch über den Suezkanal transportiert werden, um
zwei Drittel verkürzen.
Die erste Etappe des Bahnprojekts wurde bereits im September 2013
abgeschlossen: Dank Moskauer Finanzierungshilfe in Höhe von 340 Millionen
Dollar konnten 54 Schienenkilometer wieder instand gesetzt werden. Seitdem
kann Russland den Hafen von Rason als Containerterminal nutzen, was den
Hafen von Wladiwostok etwas entlastet. Russland will außerdem in den
Bergbausektor des Nachbarlands einsteigen. Um die Voraussetzungen dafür zu
schaffen, soll fast die Hälfte des gesamten nordkoreanischen Schienennetzes
– insgesamt 7 000 Kilometer – modernisiert werden.
Die vorgesehene Pipeline und die „transkoreanische“ Bahnstrecke sind nicht
nur eine große finanzielle Herausforderung. Sie werfen auch komplexe
Sicherheitsfragen auf, vor allem für Südkorea. Obwohl die Regierung in
Seoul dem Projekt bislang nicht zugestimmt hat, scheint sie auch nicht
gänzlich abgeneigt zu sein. Dafür spricht etwa, dass Vertreter des
staatlichen südkoreanischen Eisenbahnunternehmens Korail im April 2014 an
einer internationalen Konferenz über den eurasischen Eisenbahntransport
teilgenommen haben. Inzwischen haben Korail, der Stahlproduzent Posco und
die Hyundai-Reederei sogar die Hälfte der russischen Anteile des
russisch-nordkoreanischen Gemeinschaftsunternehmens übernommen, das die
Bahnlinie zwischen Chassan und Rason betreibt.
Als Zeichen ihres guten Willens hat die russische Regierung im April 2014
Nordkorea 90 Prozent seiner alten Schulden aus sowjetischen Zeiten
erlassen, was 10,9 Milliarden Dollar ausmacht. Die verbleibenden 10 Prozent
sollen für Energieprojekte in der Volksrepublik verwendet werden.
Das bislang recht überschaubare Handelsvolumen (2013 waren es 100 Millionen
Dollar) könnte sich bis 2020 verzehnfachen. So hat Russland beispielsweise
seit 2013 Erdöl im Wert von 36 Millionen Dollar nach Nordkorea exportiert –
ein Anstieg um 58,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dabei haben Moskau
und Pjöngjang vereinbart, ihre bilateralen Handelsbeziehungen in Rubel
abzuwickeln, um die Abhängigkeit vom Dollar zu reduzieren.
Russland hat weder die Absicht noch die Mittel, China als wichtigsten
Partner Nordkoreas abzulösen. Doch die Rückkehr auf das koreanische
Spielfeld könnte durchaus geopolitische Bedeutung gewinnen, weil der Kreml
damit über einen weiteren Trumpf im Konflikt mit Washington verfügt. Da
Russland für eine Einigung über die nukleare Abrüstung Nordkoreas auf dem
Weg des Dialogs eintritt, blockiert es in gemeinsamer Front mit China jede
Resolution des UN-Sicherheitsrats, die Pjöngjang unter starken Druck setzen
würde. Moskau will ebenso wie Peking das Gleichgewicht auf der koreanischen
Halbinsel wahren.
Die Nordkorea-Frage gehörte bislang zu den wenigen, bei denen Russland und
die USA kooperiert haben. Und auch was die atomare Entwaffnung Nordkoreas
und die Unterzeichnung des Nonproliferationsabkommens betrifft, war man
sich durchaus einig. Bei den Verhandlungen mit den beiden Koreas, China,
Japan und den USA hat Russland die Rolle des Verteidigers von Nordkorea den
Chinesen überlassen. Aber in schwierigen Situationen ist Moskau mehrfach
als Mediator eingesprungen – wie 2007 bei der Affäre um die Delta Asia Bank
von Macao, die von Washington beschuldigt wurde, nordkoreanisches Geld zu
waschen.
Angesichts der Sanktionen der USA und der EU gegen Russland könnte Moskau
allerdings versucht sein, diese „Neutralität“ aufzugeben und sich der
Position Pekings anzunähern.[3]Mit dem Ergebnis, dass Russland und China
gemeinsam dagegen opponieren, Nordkorea durch Isolierung zur Aufgabe seines
Atomprogramms zu zwingen.
9 Apr 2015
## AUTOREN
(DIR) Philippe Pons
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