# taz.de -- Widerstandskämpfer Georg Elser: „Krieg verhindern ist immer jut“
       
       > Ein Denkmal in Berlin erinnert an Georg Elser. Er versuchte 1939 Hitler
       > zu ermorden. Im Frühjahr 2022 gibt es da eine gewisse Assoziation.
       
 (IMG) Bild: Die Georg-Elser-Skulptur von Ulrich Klages, Berlin
       
       Tagsüber ragt ein schwarzer Strich über die Winterbäume. Geschmeidiger,
       runder als das Wirrwarr der blattlosen dunkelgrauen Äste – trotzdem fügt er
       sich ein in deren krakelige Schrift. Es ist ein dunkler Stahlträger, der
       als Silhouette an der Wilhelmstraße in Berlin aufsteigt und dennoch nicht
       auffällt.
       
       Eine Frau mit Kind an der Hand bleibt stehen. Doch, doch, sagt sie, das
       Denkmal habe sie schon wahrgenommen. Ob sie wisse, was es darstellt. „Ein
       Gesicht“, sagt sie. Und das stimmt ja auch – dieses Denkmal, das aus
       gebogenem Stahl besteht und die Straße überragt, zeigt ein menschliches
       Profil. Sie weiß auch, wer es ist: „Wilhelm“, sagt sie. „Wir sind in der
       Wilhelmstraße, also ist das Wilhelm.“ Als sie erfährt, dass dem nicht so
       ist, dass es das Profil von [1][Georg Elser] ist, der 1939, zwei Monate
       nach dem Einmarsch der Nazis in Polen, vergeblich versucht hatte, Adolf
       Hitler zu töten, wird sie unruhig. „Das ist mir jetzt peinlich, dass ich
       das nicht wusste“, sagt sie. Aber sie ist nicht die Einzige. Andere wissen
       es auch nicht.
       
       Berlin. Wilhelmstraße. Wer hier entlanggeht, ist in Körpernähe zur Macht.
       Am südlichen Ende steht die SPD-Parteizentrale und von der Marschallbrücke
       am nördlichen Ende aus ist der Reichstag zu sehen. Vorbeikommt, wer
       entlangflaniert, am Brandenburger Tor, an Ministerien und Botschaften
       einiger Länder. Auch an der stark bewachten britischen Botschaft, und links
       davon in Steinwurfnähe an jener von Russland. „Stop the war“ steht auf
       unzähligen Plakaten, die auf dem Mittelstreifen des Boulevards Unter den
       Linden gegenüber der [2][Botschaft] hängen und liegen.
       
       Einst war die Wilhelmstraße in Berlin mit den dortigen Herrschaftshäusern
       ranghoher Politiker und Militärs, was heute die Downing Street in London
       ist – ein Synonym für die Regierung. Vom Kaiserreich im 18. Jahrhundert bis
       zum Ende der Nazidiktatur war es so. An den Faschismus erinnert heute die
       Topographie des Terrors genau da, wo die Mauer nach dem Zweiten Weltkrieg
       die Wilhelmstraße abschnitt, sie teilte in West und in Ost. Im
       Prinz-Albrecht-Palais, das einst dort stand, war die Gestapozentrale. Auch
       das [3][Denkmal] für den Aufstand vom 17. Juni 1953 in Ostberlin liegt an
       der Wilhelmstraße.
       
       Obwohl so viel hier war, und ist, wirkt die Straße schmucklos.
       Plattenbauten wurden in der DDR auf die Grundstücke der im und nach dem
       Krieg zerstörten Herrschaftshäuser gesetzt. Auch dort, wo das Palais
       gestanden hatte, in der Wilhelmstraße 77, Mitte des 18. Jahrhunderts für
       den Kavalleriegeneral von der Schulenburg gebaut, später von Bismarck als
       Reichskanzlei genutzt, und noch später von Hitler. Ein leerer Platz
       erinnert hinter den Wohnhäusern, die heute anders nummeriert sind, an den
       Führerbunker, wo Hitler sich umgebracht hat. Der Diktator. Der Despot.
       
       Vor den Häusern an der Wilhelmstraße Ecke An der Kolonnade, da wo einst
       Hitlers Domizil war, ragt nun das stählerne Profil von Georg Elser in den
       Himmel, tagsüber kaum erkennbar. Nachts dagegen leuchtet es und überstrahlt
       Straße und Bäume. Ein Mann mit Einkaufstasche geht vorbei. Nein, das
       Denkmal sei ihm bisher nicht aufgefallen, wen es denn meine? „Ah, Elser.
       Wer ist das?“ Einer, der am 8. November 1939 im Bürgerbräukeller in München
       ein Attentat auf Hitler ausübte, das misslang. „Oh, krasser Typ.“ Ob man
       bei Tyrannenmord nicht im Stillen an Putin denke? „Im Stillen? Sie können
       das laut sagen. Alle denken daran, alle wünschen es sich.“
       
       Eine englisch sprechende Frau ist zum ersten Mal in der Gegend: „Who is
       it?“ Georg Elser. „What did he do?“ Tried to assassinate Hitler. „Really.
       Oh, that’s cool.“ Und einer mit Elektrozigarette in der Hand denkt, kaum
       hört er, dass das Denkmal an einen erinnert, der Hitler töten wollte,
       sofort daran, dass jetzt wieder so einer Krieg führt: „Es gibt viele, die
       sich wünschen, dass jemand den Mut hätte dazu.“ „Dazu“, mehr sagt er nicht.
       
       Elser sei ein Einzelgänger gewesen. Kunstschreiner von Beruf. Den
       Rotfrontkämpfern, den Kommunisten nahestehend. Er sah früh, dass das
       schlimm werden würde mit Hitler. Nächtelang ließ Elser sich heimlich im
       Bürgerbräukeller einschließen, höhlte einen Balken aus, platzierte den
       Sprengstoff, den Zeitzünder. Er wusste, dass Hitler abends vor jedem
       Jahrestag seines gescheiterten Putschversuchs vom 9. November 1923 im
       Bürgerbräukeller in Anwesenheit seiner Nazi-Entourage eine Rede hielt. Weil
       Hitlers Rückflug nach Berlin jedoch wegen Nebels abgesagt war, fuhr er mit
       einem Sonderzug und verließ, wie andere Nazigrößen auch, den
       Bürgerbräukeller früher. 13 Minuten später explodierte die Bombe und tötete
       sieben NSDAP-Mitglieder und eine Kellnerin.
       
       Eine junge Frau überquert die Straße vor dem Denkmal. „Nein, ich weiß
       nicht, wer das sein soll.“ Sie jobbt in der angrenzenden Shopping-Mall. Ihr
       Blick wandert den Stahlpfeiler nach oben zum Gesicht. „Ich hab schon
       gesehen, dass Touristen davor Selfies machen.“ Nur hochgeschaut habe sie
       nie, das Gesicht nicht gesehen. Als sie hört, dass Elser zu Anfang des
       Zweiten Weltkrieges versuchte, Hitler zu töten, sagt sie: „Wie aktuell.“
       Man wünsche es sich so sehr. Was? Sie schweigt. Und erzählt dann, dass sie
       von Leuten gehört habe, dass es im Juni, das seien so Prophezeiungen, ganz
       schlimm werden soll. Erst südlich der Donau soll man sicher sein, heiße es.
       „Meine Mutter will nach Salzburg.“ Sie fürchte auch, dass in der Mall, wo
       sie arbeitet, Bomben einschlagen könnten.
       
       Georg Elser wollte den Flächenbrand des Zweiten Weltkriegs verhindern. Er
       wurde festgenommen, als er versuchte, noch am Tag des Attentats in die
       Schweiz zu kommen. Er wurde verhört, gefoltert, kam ins KZ Sachsenhausen,
       später ins KZ Dachau. Keiner der Nazischergen wollte ihm glauben, dass er
       das Attentat alleine geplant und verübt hatte. Der Britische Geheimdienst,
       so die Vermutung, steckte dahinter. Nach dem Krieg wurden viele, die sich
       der Nazizeit widersetzt oder unter dem Terrorregime gelitten hatten,
       wissentlich vergessen. Auch Elser. Erst Jahrzehnte nach dem Krieg änderte
       sich das.
       
       [4][Ulrich Klages] heißt der Künstler, der die Ausschreibung für das vor
       elf Jahren eingeweihte Denkmal in Berlin gewann. In die Wilhelmstraße will
       er nicht kommen. Elser sei sicher ein Großer, ein Einzelgänger, einer, der
       etwas gesehen hat, sagt er bei einem Treffen in einem Imbiss in
       Charlottenburg. Ihm sei Elser immer ein Begriff gewesen, auch als noch
       niemand an ihn erinnerte, weil der Vater einer Freundin seiner Mutter im
       Bürgerbräukeller damals umkam. Teilnahmslos hätte die Mutter das erzählt.
       
       Dann allerdings wird es schwer, Klages zu folgen. Noch nie habe ein
       Attentat zu einer besseren Situation geführt. Weiter vermutet er, dass
       Elser auf Ruhm aus gewesen sei. Elser habe doch das Gartentor in Konstanz
       gekannt, von wo man in die Schweiz kam. „Warum hat er sich festnehmen
       lassen, eine Postkarte mit dem Bürgerbräukeller in der Tasche, Material für
       den Zünder?“ Und so eine Frage nach Tyrannenmord sei ohnehin abwegig.
       Überhaupt, ihm sei egal, was die Leute aus seinem „Denkzeichen“ machen, ob
       sie darin etwas Heroisches „oder eine Zigarettenwerbung“ sehen. Das
       Gespräch mit Klages geht gründlich schief.
       
       Am 9. April 1945, kurz vor Ende des Krieges, wurde Georg Elser auf
       Anordnung Adolf Hitlers im KZ Dachau erschossen. Per Genickschuss.
       
       Zurück in der Wilhelmstraße. In Arbeitshose und rotem Sweatshirt,
       Bierflasche in der Hand, lehnt ein Mann wartend am Stahlpfeiler des
       Denkmals. Klar weiß er, wer das war, an den hier erinnert wird. „Dit is
       eener, der versucht hat, den Krieg zu verhindern.“ Ob er einen Bezug zu
       heute sieht? „Krieg verhindern ist immer jut“, antwortet er.
       
       Noch einer, er trägt eine Krawatte mit Paisleymuster und ein Kind auf dem
       Arm, das ihm mit einem Stock im Gesicht herumfuchtelt, was er geduldig
       erträgt, weiß um die Geschichte von Elser. Der Zusammenhang zu heute sei
       klar. Er findet es erstaunlich, dass so schnell 100 Milliarden Euro für
       Rüstung locker gemacht wurden. „Und fürs Gesundheitssystem hat man keins.“
       Er fragt sich, warum nicht hingeguckt wurde, warum man Schröder machen
       ließ, Merkel machen ließ. Und er sei sich nicht sicher, ob er wolle, dass
       Putin ermordet werde und so der Verantwortung entgehe.
       
       Von der Schule auf der anderen Seite der Straße kommt eine Frau mit einem
       Jungen. Elser, nein, kenne sie nicht. „Was hat er gemacht?“, fragt sie mit
       russischem Akzent. Er hat versucht, Hitler zu ermorden. „Was bedeutet
       das?“, will der Junge sofort wissen. „Dafür bist du zu klein. Das hattet
       ihr noch nicht in der Schule“, antwortet sie und geht weiter. Der Junge
       insistiert: „Mama, sag doch, was ist ein Hitler?“
       
       10 Apr 2022
       
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