# taz.de -- Überschattet vom Rücktritt ihrer ostdeutschen Sprecherin Christine Weiske, haben die Grünen gemeinsam mit dem Bündnis 90 eine neue Partei gegründet. Beim Bündnis war die Abstimmung durch einen Sonderweg für die Brandenburger ermöglicht worden. Aus Hannover Jürgen Voges
       
       ## Klares Votum für Vereinigung zweier Kulturen
       
       Der Jubel kam fast eine Stunde früher als erwartet. Es war 13.13 Uhr in der
       Niedersachsenhalle zu Hannover, als gestern die Delegierten des Bündnis 90
       zu den Grünen einzogen, um die Vereinigung in der neuen Partei „Bündnis
       90/Die Grünen“ zu beklatschen. Kurz nach den Grünen hatte auch das Bündnis
       mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit von 67 zu 9 Stimmen dem
       Assoziationsvertrag zugestimmt, der das Thema der beiden parallel
       verlaufenden Parteitage in Hannover war und der formaljuristisch einen
       Beitritt der Ostdeutschen zu den Grünen vorsieht. Zwei Urabstimmungen
       müssen den Beschluß jetzt noch absegnen. Sowohl die Mitglieder des
       Bündnisses als auch der Grünen müssen das Abkommen noch bestätigen.
       
       Zumindest räumlich waren die 600 Delegierten der Grünen und die rund
       hundert des Bündnis 90 bereits am Sonntag vormittag für zwei Stunden
       vereint gewesen: Gemeinsam folgten sie der Debatte über den Rücktritt der
       Bundesvorstandssprecherin Christine Weiske, in der sich die Enttäuschung
       der ostdeutschen Grünen Luft machte. Gemeinsam folgten sie den beiden
       Berichten aus der Verhandlungskommission, die die Ergebnisse der getrennten
       Parteitage vom Vortage über Nacht unter einen Hut gebracht hatten.
       
       Die Delegierten des Parteitages der Grünen dachten am Samstag abend schon
       an die wohlverdiente Bettruhe, als Christine Weiske gegen halb elf noch
       einmal das Wort ergriff. Selbst in der Herzensangelegenheit des gemeinsamen
       Parteinamens hatten sie zuvor ohne jedwede Aussprache für die Formel
       „Bündnis 90/Die Grünen“, Kurzform „Die Grünen“ gestimmt. Doch dann wurden
       sie von ihrer Bundesvorstandssprecherin noch einmal geweckt. Für Christine
       Weiske war es „zur Farce“ geworden, „Sprecherin der Partei zu sein, wenn
       hier mehr als die Hälfte der grünen Bundesversammlung gegen Ostdeutsche
       Interessen stimmt“. Weiske war vor allem die Diskussion um das
       Frauen-Statut „an die Nerven gegangen“. Bis zum Schluß hatte sie für die
       Übernahme des grünen Frauenstatuts in die neue Organisation gekämpft und am
       Ende verloren. Den später verabschiedeten Kompromiß kannte sie allerdings
       zum Zeitpunkt ihres Rücktritts noch nicht. Und am nächsten Morgen in der
       Aussprache über ihren Schritt waren dann von den Ost-Grünen auch noch ganz
       andere Töne zu hören: Die Ost-Grünen seien geopfert worden, von
       „Rechtsruck“ war da die Rede und davon, daß die West- zu Lasten der
       Ost-Grünen auf Erpressungen des Bündnis eingegangen seien. Allerdings
       sprachen in Hannover auch schon die reinen Zahlenverhältnisse gegen sie:
       Etwa 37.000 Mitglieder zählen die West-, etwa 1.000 die Ost-Grünen und
       zwischen 2.500 und 3.000 das Bündnis 90.
       
       ## Streit um Frauen-Statut schon am Samstag entschärft
       
       Den wohl einzig gravierenden Streit, den um das Frauenstatut, hatte das
       Bündnis 90 schon am Samstag nachmittag entschärft. Das Bündnis legte sich
       schnell noch selbst ein solches Statut zu, das sich allerdings in einem
       wichtigen Punkt von dem der Grünen unterscheidet. Von der Quotierungsregel,
       daß die Listeplätze, 1, 3, 5, usw. mit Kandidatinnen zu besetzen sind,
       sieht es ausgerechnet bei Platz eins eine Ausnahmen vor. Der kann auf
       Wunsch der Mehrheit der Frauen des jeweiligen ostdeutschen Landesverbandes
       auch mit einem Mann besetzt werden. Das kann allerdings bei nur zwei
       sicheren Listenplätzen dazu führen, daß am Ende aus diesem Land doch nur
       Männer in den Bundestag kommen.
       
       Als Gesamtkompromiß zwischen Grünen und Bündnis wurde schließlich nach
       langer Debatte in der Verhandlungskommission eine Art Vertagung
       ausverhandelt: Die neue Organisation „Bündnis 90/Die Grünen“ soll sich bis
       zum Ende des Jahres ein neues Frauenstatut geben, das von einer
       Bundesfrauenkonferenz ausgearbeitet werden soll. Bis dahin gilt im Westen
       das alte grüne Statut weiter. Die östlichen Landesverbände können sich
       eigene Statuten geben, die aber zum Ärger der bisherigen Ost-Grünen wohl
       den Vorstellungen des Bündnisses folgen werden.
       
       Bei den politischen Zielen der neuen „gemeinsamen Organisation“ konnte der
       Bundestagsabgeordnete Werner Schulz als Berichterstatter der nächtlichen
       Einigungsverhandlungen gleich am Sonntag morgen die Einigung bekanntgeben.
       „In den Abschnitt Grundkonsens und das politische Vorwort des
       Assoziationsvertrages haben wir alle eure Änderungsanträge eingearbeitet“,
       stellte der Politiker vom Bündnis 90 seine künftigen grünen Parteifreunde
       zufrieden. Den inhaltlichen Teil des Assoziationvertrages, der den Beitritt
       des Bündnis 90 zu den Grünen juristisch absichern soll, hatten die Grünen
       allerdings schon am Samstag nur noch in minimalen Formulierungen geändert
       sehen wollen. Das Politische Vorwort skizziert die Entstehung der beiden
       Organisationen in den beiden deutschen Staaten. Der Grundkonsens
       verpflichtet sie auf ihrem weiteren gemeinsamen Weg auf die Grundwerte
       „Menschenrechte, Ökologie, Demokratie, soziale Gerechtigkeit und
       Gleichstellung von Frauen und Männern“.
       
       Der Parteitag der Grünen hatte am Samstag zunächst das Recht der ehemaligen
       B-90-Mitglieder gestrichen sehen wollen, innerhalb der gemeinsamen
       Organisation eine „Vereinigung Bürgerbewegung“ zu bilden. Dieser
       „innerorganisatorischen Vereinigung“ sollte lediglich der Status einer
       parteiinternen „Arbeitsgemeinschaft“ zugestanden werden. Der
       Bündnis-90-Parteitag hatte parallel dazu für mehr Vetorechte der
       Ostdeutschen, etwa auch für den Bundesvorstand, gestimmt.
       
       Am Sonntag mittag waren dann beide genau wieder bei den ursprünglichen
       Vorschlägen des Assoziationabkommens angelangt. Die Grünen gestanden die
       Gründung einer „innerorganisatorischen Vereinigung Bürgerbewegung“ zu. Das
       Bündnis gab sich mit einem Vetorecht der ostdeutschen Landesverbände allein
       im Länderrat zufrieden. Dort soll nun eine Zweidrittelmehrheit der
       ostdeutschen Vertreter ein „Einspruchsrecht mit aufschiebender Wirkung bis
       zur nächsten Bundesversammlung haben“. Unstrittig war in Hannover von
       vornherein, daß im ersten gemeinsamen Bundesvorstand fünf der neun
       Mitglieder aus Ostdeutschland kommen müssen.
       
       Als erste segneten gestern die Grünen den Gesamtvertrag mit überwältigender
       Mehrheit ab. Sie mußten den Vertrag aber noch einmal „zurückholen“ und
       erneut abstimmen; sie hatten die Sonderregelung für das Land Brandenburg
       zunächst nicht aufgenommen. Dieses Thema, daß im Hintergrund des
       Parteitages fortwährend weiter kochte, kam am Ende durch einen
       „Sonderassoziationsvertrag“ vom Tisch, den die Branderburger Grünen und das
       dortige Bündnis 90 nun noch auszuhandeln haben.
       
       18 Jan 1993
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) jürgen voges
       
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