# taz.de -- Tag der kurdischen Sprache: Auf zum fröhlichen Spracherwerb!
       
       > Verboten ist Kurdisch in der Türkei nicht mehr. Ab und an adressiert
       > sogar der Staat seine Bürger*innen auf Kurdisch. Aber sie sollten ihm
       > lieber nicht antworten.
       
 (IMG) Bild: Journalist NedimTürfent sitzt seit vier Jahren im Gefängnis
       
       Vermutlich haben Sie überhaupt keine Lust mehr auf Corona-Artikel, und ich
       kann das gut verstehen. Deshalb verschone ich Sie mit Details darüber, wie
       die Infektionsgefahr für uns politische Gefangene in der Türkei zu
       Haftverschärfungen in den so schon unwirtlichen Gefängnissen führt. Ich hab
       ohnehin fast so etwas wie eine Schreibblockade. Feiern wir lieber gemeinsam
       den heutigen Tag der kurdischen Sprache. Nicht mit linguistischen
       Abhandlungen, sondern eben so weit, wie die Grenzen meiner Sprache mir zu
       gehen erlauben. Immerhin schreibe ich diesen Brief aus der Haft in einer
       Fremdsprache, dem Türkischen. Er muss ja schließlich von den Behörden
       gelesen werden können, bevor er Sie erreicht.
       
       Für die vielen Millionen Menschen, die in der Türkei mit der Muttersprache
       Kurdisch aufwachsen, gibt es bis heute keine Möglichkeit, in dieser Sprache
       unterrichtet zu werden. Es ist erstens nach wie vor verboten, Kurdisch als
       Unterrichtssprache anzubieten. Zweitens gibt es einige Unstimmigkeiten, um
       nicht zu sagen Unverschämtheiten, bei der Umsetzung der Reformen zum Umgang
       mit dem Kurdischen. Die Türkei hat einen staatlichen Fernsehsender, der in
       kurdischer Sprache ausstrahlt, aber die einzige kurdischsprachige
       Tageszeitung, die unabhängige Welat ist natürlich verboten.
       
       Durch die östlichen Provinzen unseres gemeinsamen Landes fahren
       Streifenwagen, die über Lautsprecher in kurdischer Sprache die Bevölkerung
       ermahnen, bitte „zuhause zu bleiben“, während gleichzeitig die
       kommissarischen Regierungsverwalter nach Absetzung der gewählten
       Bürgermeister*innen allerorten umgehend kurdischsprachige Hinweisschilder
       von öffentlichen Gebäuden abmontieren ließen und lassen. Das heißt unterm
       Strich: Wenn du der Staat bist, darfst du Kurdisch sprechen, aber wenn du
       eine Kurdin bist, eher nicht. Was die Sprache selbst wohl dazu sagen würde,
       wenn sie sprechen könnte?
       
       Am neuen riesigen internationalen Flughafen von Istanbul wird Reisenden in
       36 Sprachen und 80 Dialekten kundennaher Service angeboten. Kurdisch
       befindet sich allerdings nicht darunter. Na ja, derzeit darf man ja eh
       nicht reisen. Wichtiger sind für die meisten von uns die Veröffentlichungen
       des Gesundheitsministeriums, das immerhin in sechs verschiedenen Sprachen
       die in der Türkei lebenden Menschen anspricht. Kurdisch ist nicht dabei.
       Und sprechen Sie die Sprache mal vor Gericht oder gar in einer Rede im
       Parlament, wenn Sie denn hineinkommen. In den offiziellen Protokollen steht
       dann immer nur „spricht in unbekannter Sprache“. Dies ist die bockige
       Feindseligkeit gegenüber dem Kurdischen, mit der sie dann umgehend an uns
       Appelle richten, doch die Einheit und den Zusammenhalt im Lande zu wahren.
       
       Dabei setzt sich die UNESCO seit 1953 weltweit für Grundschulunterricht in
       der Muttersprache ein. Es ist ein international verbrieftes Kinderrecht,
       das da bis ins Jahr 2020 hinein von der Türkei hartnäckig ignoriert wird.
       Kurdische Kinder müssen daher die ersten Schuljahre mit dem unvermittelten
       Erwerb einer Fremdsprache verbringen, statt dem Unterrichtsstoff folgen zu
       können. Wenn sich niemand um die kurdische Sprache kümmert und es uns nicht
       erlaubt wird, sie als Teil unseres alltäglichen öffentlichen Lebens zu
       nutzen, wird sie in absehbarer Zeit vermutlich aussterben.
       
       Natürlich sind wir Kurdinnen und Kurden in erster Linie verantwortlich
       dafür, dass es so weit nicht kommt. Wir können und sollten in unseren
       täglichen Interaktionen untereinander unsere eigene Sprache benutzen. Wir
       sollten sie unseren Kindern beibringen und zuhause, auf der Straße, beim
       Einkaufen sprechen. Wir sollten dafür kämpfen, dass die öffentliche Hand
       uns Kurdisch als Unterrichtssprache anbietet. In diesem Sinne wünsche ich
       Ihnen allen ein fröhliches, gesundes Fest der kurdischen Sprache und
       schließe mit einem herzlichen: Cejna Zimanê Kurdî Pîroz Be!
       
       Aus dem Türkischen von Oliver Kontny
       
       15 May 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nedim Türfent
       
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